Beschränkungen von Grundrechten in der Pandemie
Rezensent Max Lüggert nimmt zwei Publikationen in den Blick, in denen die Beschränkungen von Grundrechten in der Pandemie thematisiert werden. Während es um deren politischen Folgen aus staatsrechtlicher Sicht in dem von Robert van Ooyen und Hendrik Wassermann edierten Beiheft zur Zeitschrift Recht und Politik „Corona und Grundgesetz“ geht, präsentieren Hannes Hofbauer und Stefan Kraft in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband „Herrschaft der Angst“ eine umfassendere Kritik an den Corona-Maßnahmen. Sie sehen, so Lüggert, „in der pandemischen Situation einen Moment, in dem politische und mediale Eliten gezielt Angst erzeugen, um neue Regeln zu erlassen".
Schon seit mehr als einem Jahr beschäftigt die Corona-Pandemie die ganze Welt und betrifft somit auch Deutschland. Neben den verheerenden gesundheitlichen Auswirkungen mit Millionen Erkrankten und Toten ergaben sich auch schwerwiegende Folgen in Wirtschaft, Gesellschaft und nicht zuletzt Politik. Der hochansteckende Charakter des Coronavirus, verbunden mit teils dramatischen Krankheitsverläufen und der Unkenntnis, wie diesem neuen Virus in der Behandlung beigekommen werden kann, erforderten eine Beschränkung zwischenmenschlicher Kontakte.
Um diese Verringerung der Kontakte zu realisieren, wurden ab März 2020 in Deutschland verschiedene Maßnahmen getroffen, die allerdings zu einer Einschränkung von Grundrechten führten, wie es sie in dieser Form in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Auflagen für die Durchführung von Demonstrationen oder Gottesdiensten bedeuten eine Limitierung von Grundrechten. Das gilt auch für Quarantäneanforderungen oder die zeitweise Schließung von Betrieben in unterschiedlichen Branchen.
Vor dem Hintergrund dieser beispiellosen Maßnahmen ist es nicht verwunderlich und grundsätzlich begrüßenswert, dass dieses Thema auch in der Fachliteratur ausführlich rezipiert wird. Anhand von zwei Titeln soll ein kurzer Blick in diese Debatte erfolgen.
„Corona und Grundgesetz“
Robert Christian van Ooyen und Hendrik Wassermann haben in einem Beiheft zur Zeitschrift Recht und Politik verschiedene Beiträge zusammengefasst, die in der Zeitschrift seit März 2020 erschienen sind und sich den politischen Folgen der Pandemie aus staatsrechtlicher Sicht widmen.
In ihrem einleitenden Beitrag geben die Herausgeber einen kritischen Einstieg in den Band. Zwar erkennen sie an, dass das Grundgesetz nicht wirklich für die Herausforderungen einer Pandemie vorbereitet war und die politischen Strukturen zudem stabil geblieben sind. Dennoch führen beide aus, dass die Ausübung grundlegender bürgerlicher Rechte begründungspflichtig wurde, was eine freiheitliche Staatsordnung nicht vorsieht. Angesichts der hohen Geschwindigkeit, mit der die einschneidenden Maßnahmen beschlossen wurden (und zwar weitgehend ohne korrigierendes Eingreifen von Verwaltung und Justiz) und sogar in der Bevölkerung weitgehend akzeptiert wurden, kommen die Autoren zu dem Schluss, dass in der ersten Phase der Pandemie nicht nur die verschiedenen Verfassungsorgane, sondern auch die Verwaltung, die Medien sowie die Bevölkerung „als Hüter der Verfassung“ (10) versagt haben.
Wolfgang Zeh führt anschließend aus, wie sich die Pandemiepolitik auf das Parlament auswirkte und stellt fest, dass sich in der exekutiv geprägten Krisenreaktion ein Defizit in der Nachvollziehbarkeit und Legitimität staatlichen Handelns eingestellt hat. Darüber hinaus merkt er an, dass der Deutsche Bundestag und die Landesparlamente nicht nur in ihrer Rolle als Kontrollinstanz der Regierung eingeschränkt waren, sondern auch ihrer Funktion als öffentliche Diskussionsforen nicht in Gänze nachgekommen sind. Zeh hätte sich mehr Initiative von Seiten der Parlamente gewünscht, die auch ohne bestimmte Vorlagen Debatten zu den Corona-Maßnahmen hätten initiieren können.
Stephan Rixen ist etwas nachsichtiger. „Moderne Gesellschaften sind konstitutiv krisenanfällig“ (67), so lautet die einleitende Feststellung seines Beitrags. Weiterhin weist er auf eine rechtliche Besonderheit der Maßnahmen hin. Denn anders als es bei vielen rechtlichen Maßnahmen üblich ist, setzen Maßnahmen zum Infektionsschutz an, bevor sich handfeste Gefahren materialisiert haben, was wiederum eine besondere Sensibilität in der Ausgestaltung der Maßnahmen erfordert. Das Infektionsschutzgesetz – ein zentraler Baustein in der rechtlichen Reaktion auf die Pandemie – war nach Rixens Darstellung zu Beginn mit der Offenheit formuliert, die angesichts des geringen Kenntnisstandes zu diesem Zeitpunkt nötig war. Zukünftig gelte es aber Fragen der Verhältnismäßigkeit neu zu bewerten, Fachleute auch außerhalb der Medizin einzubeziehen und vor allem, die Abstimmungsrunden von Bund und Ländern besser zu institutionalisieren, falls dieses Forum weiterhin in Anspruch genommen wird.
Sophie Thürk und Thomas Winter befassen sich mit einem eher praktischen Thema, nämlich der Möglichkeit von Entschädigungen, die sich besonders durch die angeordnete Schließung von Betrieben ergeben können. Zur Begriffsklärung führen sie aus, dass diese von Soforthilfen und anderen Mitteln zu unterscheiden sind, da Letztere höchstens lindernde Wirkung entfalten. Mit ausführlichen Hinweisen auf relevante Rechtsnormen schildern Thürk und Winter mögliche Wege für Entschädigungen, die sich aus dem Tatbestand der Amtshaftung ergäben. Dabei kommen sie allerdings zu dem Ergebnis, dass die rechtlichen Hürden relativ hoch sind. Somit sei nicht damit zu rechnen, dass es viele erfolgreiche Klagen auf Entschädigung geben wird.
Abschließend für diesen Band sei noch auf den Beitrag des FDP-Bundestagsabgeordneten Marco Buschmann verwiesen, der aus einer Innensicht eines Politikers eine Untersuchung des geänderten Paragrafen 28a des Infektionsschutzgesetzes vornimmt. Auch er unterschätzt das gesundheitliche Risiko der Pandemie nicht und sieht die Gefahr, dass Triagen oder andere Maßnahmen, die sich aufgrund der Überlastung des Gesundheitssystems ergeben könnten, einen Verstoß gegen die Schutzpflicht der Menschenwürde darstellen können. Zugleich listet er aber mehrere, vor allem handwerkliche Mängel des Gesetzes auf. Die notwendige Verbindung von Tatbeständen und Rechtsfolgen sei nicht immer eindeutig und das Gebot des Gesundheitsschutzes werde seiner Ansicht nach zu oft pauschal gegenüber anderen Rechten und Geboten bevorzugt. Zuletzt kritisiert er die Festlegung bestimmter Inzidenzstufen für die Aktivierung bestimmter Maßnahmen als zu ungenau – eine Position, die mittlerweile auch aus Reihen der aktuellen Regierungsfraktionen vernommen werden kann. Somit kommt Buschmann zur Einschätzung, dass beim Infektionsschutzgesetz noch Änderungsbedarf besteht; entweder auf dem Wege gesetzlicher Änderungen oder durch gerichtliche Klärungen.
Das von van Ooyen und Wassermann herausgegebene Beiheft bietet in der Summe einen fundierten und präzisen Einblick in die juristischen Zusammenhänge der Corona-Politik.
„Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand“
Eine umfassendere Kritik an den Corona-Maßnahmen möchten Hannes Hofbauer und Stefan Kraft in ihrem Sammelband „Herrschaft der Angst“ präsentieren. Sie sehen in der pandemischen Situation einen Moment, in dem politische und mediale Eliten gezielt Angst erzeugen, um neue Regeln zu erlassen und deren Befolgung zu erzwingen. Der Band soll dabei darlegen, dass es historische Anknüpfungspunkte für diese politische Technik gibt. Daher wollen die Herausgeber mit kritischen Beiträgen einen Kanal für „emanzipatorische Positionen“ (8) bilden. Michael Meyen widmet sich in seinem Beitrag ausführlich der Verarbeitung der Pandemie in den Leitmedien. Diese sieht er dabei nicht als kritische Beobachter der politisch Handelnden, sondern gleichsam als Komplizen in der Schaffung einer Angstkulisse, die abweichende Meinungen nicht mehr repräsentiert. Er weist dabei zutreffend auf problematische Tendenzen wie die Auswahl von Themen allein entlang der Aufmerksamkeit, die sich damit konstruieren lässt, und die teils engen persönlichen Verquickungen zwischen politischen und journalistischen Eliten hin. Seine Analyse bleibt jedoch unvollständig, wenn er in der Liste unterdrückter Stimmen auch Attila Hildmann erwähnt, ohne auf dessen Aufrufe zur Gewalt und seine fortwährend irreführenden Äußerungen einzugehen.
Ein zentrales Instrument in der Bekämpfung der Pandemie, nämlich die Impfung, wird von Maria Wölfingseder näher beleuchtet. Zwar gesteht sie eingangs zu, dass Impfungen bei der Ausrottung einiger Krankheiten einen entscheidenden Beitrag geleistet haben, ist aber dennoch der Meinung, dass Impfungen heute oft keine eindeutigen Vorteile bringen. Hinter deren Verbreitung stünden die geschäftlichen Interessen großer Pharmaunternehmen. Dieser Punkt ist sicherlich zu beachten, insbesondere in Zusammenhang mit dem Einfluss dieser Unternehmen in internationalen Organisationen wie der WHO. Doch auch in ihrer Argumentation zeigen sich Lücken. So nennt sie mit den Masern eine ansteckende Krankheit als ein Beispiel, in dem Herdenschutz durch Impfungen erreicht werden kann. Nach jetzigem Kenntnisstand ist die Situation mit dem Coronavirus aber ähnlich – eine teils hochansteckende Krankheit, die bei unzureichender Behandlung schwere gesundheitliche Schäden verursachen kann. Die Möglichkeit, dass die medizinischen Grundlagen den Einsatz von Impfungen als Mittel zur Eindämmung der Pandemie effektiv erscheinen lassen können, wird von Wölfingseder nicht ernsthaft in Betracht gezogen.
Eine Schleife zu einem anderen Themenkomplex zieht Imad Mustafa, der in seinem Beitrag bestehende Ressentiments gegen Muslime in der Assoziation mit Terrorismus betrachtet. Er argumentiert, dass spätestens mit den Terroranschlägen des 11. September 2001 in westlichen Gesellschaften ein einheitliches Bild des Islam und seiner Gläubigen erzeugt wird, das der religiösen und kulturellen Realität nicht entspreche. Weiterhin sieht er einen einseitigen Druck, der auf muslimische Gemeinschaften ausgeübt wird – die Aufforderung zur Distanzierung vom Terrorismus kombiniert mit der Forderung einer assimilatorischen Eingliederung in westliche Gesellschaften. Mustafa schildert viele zutreffende Zusammenhänge, dennoch steht sein Text neben einer Reihe ähnlicher Beiträge zu diesem Thema aber ein Stück weit abgeschlossen von den restlichen Aufsätzen des Sammelbandes.
Insgesamt weist der Band eine gewisse Spannung auf: Einerseits wird in seinen Beiträgen eine argumentative Engführung in der öffentlichen Debatte um die Pandemie diagnostiziert, andererseits liefert er selbst ebenfalls oft eher einseitige Argumentationen. Die vorgebrachten Einwände lenken einen notwendig kritischen Blick auf die (Fehl-)Entwicklungen, die sich durch Corona ergeben haben; eine wirkliche Differenzierung zeigt sich allerdings selten.
Fazit
Die Pandemie ist noch lange nicht gestoppt und sie wird sicherlich auch künftig gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Auswirkungen haben. Die hier besprochenen Bände liefern unterschiedliche Perspektiven, um die Hintergründe der Pandemie-Politik besser zu verstehen – es wird spannend zu sehen, wie sich die kommende Bundesregierung nach der Wahl im September weiter der Eindämmung des Virus und seinen Folgen stellt.
Demokratie und Frieden
Rezension / Michael Kolkmann / 10.03.2021
Martin Florack / Karl-Rudolf Korte / Julia Schwanholz (Hrsg.): Coronakratie. Demokratisches Regieren in Ausnahmezeiten
Wie belastbar sind Demokratien in Ausnahmezeiten? So lautet die zentrale Frage dieses Sammelbandes, in dem eine Zwischenbilanz der bisherigen deutschen Corona-Politik gezogen wird und der „Reaktionen von Politik und Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven illustriert“. Die Pandemie stelle eine besondere Herausforderung für die Demokratie dar, so Rezensent Michael Kolkmann. Doch die Zwischenbilanz könne uns optimistisch stimmen, halten die Herausgeber fest: Für die Bundesrepublik habe sich bisher gezeigt, „wie resilient und stabil“ unsere Demokratie in der Krise geblieben sei.
Rezension / Sven Jochem / 10.03.2021
Matthias Lemke: Deutschland im Notstand? Politik und Recht während der Corona-Krise
Höhlen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie das Fundament unserer Demokratie aus? Um diese Frage zu beantworten und die Pandemiepolitik Deutschlands in der ersten Welle zu beurteilen, bietet Matthias Lemke eine chronologische Darstellung einzelner Entscheidungen auf Bundes- und Landesebene. Dabei identifiziert er drei Phasen des Krisenmanagements. Auf dieser Basis formuliert er sieben Thesen. Diese bettet der Autor – nach Meinung des Rezensenten Sven Jochem – gut und abwägend in den einschlägigen Forschungsstand ein. Zusätzlich zur Rezension hat Sven Jochem drei Fragen an den Autor formuliert, die dieser mündlich beantwortet hat.
Rezension / Rainer Lisowski / 20.11.2020
Tamara Ehs: Krisendemokratie. Sieben Lektionen aus der Coronakrise
Die Coronakrise und ihre Auswirkungen auf die Demokratie, insbesondere auf die Grund- und Freiheitsrechte, erscheinen wie eine erste Blaupause für den politischen Ausnahmezustand, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen und der Shutdown das nächste Mal aufgrund von Dürreperioden und Hitzetagen verordnet wird“, lautet die Einschätzung von Tamara Ehs. Sieben Lehren seien beim Umgang mit einer möglichen neuen Krise zu berücksichtigen, etwa eine aktive Rolle des Parlaments, das Alleingänge der Regierung unbedingt verhindern müsse. Soziales Vertrauen, Aufklärung und Eigenverantwortung seien wichtig.
Externe Veröffentlichungen
Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V. / 11.02.2021
Corona und Grundrechte: Fragen und Antworten
Universität Konstanz Stabsstelle Kommunikation und Marketing / 29. 07.2021
Universität Konstanz
Jos Schnurer / 11.05.2021
Rezension zu: Hannes Hofbauer, Stefan Kraft: Herrschaft der Angst. Von der Bedrohung zum Ausnahmezustand.
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Mehr zum Themenfeld Parlamente und Parteiendemokratien unter Druck