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/ 03.06.2013
Claus Koch

Das Ende des Selbstbetrugs. Europa braucht eine Verfassung. Traktat

München/Wien: Carl Hanser Verlag 1997; 220 S.; geb., 34,- DM; ISBN 3-446-18937-8
Mit der in Maastricht beschlossenen Währungsunion sei das Ende des Selbstbetrugs Europas erreicht worden. Europa, genauer die Europäische Union, werde nicht mehr länger ohne eine politische Form auskommen können. Die Methode Monnet, eine auf technokratischer Basis errichtete europäische Marktgesellschaft, die des Politischen entbehre und lediglich zu einem "Europa der 50.000" (16) europäischen Technokraten führe, sei an ihr Ende gelangt. Sie konnte aus Europa keine politische Gemeinschaft und keine europäische Gesellschaft machen, darin liege der Selbstbetrug. Was Europa nun benötige, will es das eigene kulturelle und politische Erbe antreten, sei eine politische Integration, die von einem Gründungsakt eingeleitet werde und erstritten von den Völkern Europas zu einer europäischen Verfassung führe. "Eine europäische Verfassung kann man sich vorstellen, den Weg zu ihr einstweilen nicht" (14), denn die Notwendigkeit einer Verfassung wird zwar gesehen, aber die Not, die zu einer Verfassung führt, ist noch nicht eingetreten. Dies liegt weitgehend daran, daß der Wirtschafts- und Sozialfrieden noch besteht, die Marktregulierung funktioniert und die Nationalstaaten, so schwach sie auch geworden sind, noch immer ein Mehr an Stärke gegenüber einem wirklichen politischen Projekt Europas aufweisen. Dies sind die Kernthesen, mit denen der Autor den Befund beschreibt, der getragen ist von der politischen Idee eines Gründungsaktes, der allein aus einer Gesellschaft eine politische Gemeinschaft macht. Im ersten Drittel des Traktats befaßt sich der Autor mit dem bislang erfolgreichen Weg der wirtschaftlichen Integration, seinen Besonderheiten und Defiziten. Charakteristisch ist das Entstehen einer europäischen Marktgemeinschaft, dem europäische kulturelle Elemente fehlen und das auf den Beschlüssen politischer Exekutiven errichtet einen Raum ohne Öffentlichkeit bildet. Ohne Bürger bleibt die Union ohne politische Legitimität, ohne gesellschaftliche Annäherung und ohne eine gesamteuropäische gesellschaftliche Bewegung, von der die Union getragen werden könnte. In diesem Demokratiedefizit ist die Keimzelle europäischer Selbstzerstörung angelegt. Das zweite Drittel des Traktats widmet sich inneren Problemen des Nationalstaates, die den europäischen Staaten gemeinsam sind und zu denen gehören: Die Krise des Sozialstaates, der Sozialversicherung und der Arbeitsnation; die Krise der Sozialdemokratie und der sozialdemokratischen Parteien, die zu keinem Zeitpunkt eine politische Idee von Europa hatten; die Leere, die der Siegeszug des Kapitalismus und die Währungsunion hinter sich lassen, und die eigentliche Zerstörung des homo oeconomicus, der nie ein bloßer Nutzenmaximierer war, sondern auch eine Gesellschaft repräsentierte. Im letzten Drittel wendet sich der Autor wieder europäischen Themen zu. Eurozentrismus als Gegenmodell zum amerikanischen Provinzialismus und zur Regionalautonomie; die Stärke der Europäischen Union, die sie der Schwäche des Nationalstaates verdankt; den Elementen einer europäischen Verfassung und der Notwendigkeit einer Verfassungsbewegung der Europäer, die in Selbstverantwortlichkeit als Bürger einer europäischen Nation erkennen, daß sie als Staatsnationen nicht mehr weiter bestehen können und daher für eine Einheit durch eine politische Verfassung Europas eintreten.
Martina Böhner (Bö)
Dr.
Rubrizierung: 3.13.2 Empfohlene Zitierweise: Martina Böhner, Rezension zu: Claus Koch: Das Ende des Selbstbetrugs. München/Wien: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2801-das-ende-des-selbstbetrugs_3690, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 3690 Rezension drucken
CC-BY-NC-SA
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