/ 22.06.2013
Karsten Wilke
Die "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit" (HIAG) 1950-1990. Veteranen der Waffen-SS in der Bundesrepublik
Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2011; 464 S.; 58,- €; ISBN 978-3-506-77235-0Geschichtswiss. Diss. Bielefeld; Begutachtung: M. Kessel, H.-W. Schmuhl. – Der Autor untersucht die Geschichte der HIAG in der Bundesrepublik zwischen 1950 und 1990 vor dem Hintergrund eines sich gesellschaftlich wandelnden Umganges mit der NS-Geschichte. Wilke wählt eine doppelte Perspektive: Einerseits untersucht er die Haltung der organisierten SS-Veteranen gegenüber Politik und Gesellschaft, andererseits die Reaktionen auf und den Umgang mit diesem Verband, der als soldatischer Interessensverband zeitweise bis zu 20.000 Mitglieder aufbieten konnte. In der klar gegliederten Forschungsarbeit wird die Geschichte der HIAG „als Abfolge von Integration und Desintegration, von Mäßigung und Radikalisierung, von öffentlicher Präsenz und Rückzug“ (33) beschrieben. Deutlich wird, wie die HIAG in der Praxis eine Fortführung der SS unter demokratischen Bedingungen war, inszeniert als Soldatenbund und Interessenverband. Wilke belegt schlüssig, wie in den 1950er-Jahren viele Politiker und staatliche Stellen mit erkennbar systemoppositionell auftretenden Akteuren kooperierten und die HIAG an der zeitweisen Exkulpierung der Waffen-SS erfolgreich mitwirken konnte. Zwar lässt sich der Verband nicht generell in die Geschichte des Rechtsextremismus einordnen, zumal sich die Führung offiziell regelmäßig von rechtsradikalen Positionen abgrenzte, gleichwohl finden sich aber in den Verlautbarungen gerade der HIAG-Basis „durchgängig antidemokratische, rassistische und antisemitische Positionen“ (426). Unter einer gewandelten Öffentlichkeit geriet die HIAG spätestens in den frühen 1980er-Jahren immer stärker in die Defensive, sodass die 1990 erfolgte Auflösung des Verbandes nicht nur generationell – mit dem Aussterben der Betroffenengeneration – zu erklären ist. Wilkes Studie ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der Bundesrepublik und ihrer politischen Kultur und speziell auch der Veteranenkultur.
Christoph Kopke (CKO)
Dr. phil., Dipl.-Pol., wiss. Mitarbeiter, Moses Mendelsohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 2.313 | 2.35 | 2.37
Empfohlene Zitierweise: Christoph Kopke, Rezension zu: Karsten Wilke: Die "Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit" (HIAG) 1950-1990. Paderborn u. a.: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/34176-die-hilfsgemeinschaft-auf-gegenseitigkeit-hiag-1950-1990_40994, veröffentlicht am 12.01.2012.
Buch-Nr.: 40994
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Dr. phil., Dipl.-Pol., wiss. Mitarbeiter, Moses Mendelsohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Universität Potsdam.
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