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/ 30.07.2015
Christian Nürnberger

Die verkaufte Demokratie. Wie unser Land dem Geld geopfert wird

München: Ludwig 2015; 368 S.; geb., 19,99 €; ISBN 978-3-453-28070-0
Christian Nürnberger, freier Autor und Journalist, der über einen beeindruckenden Erfahrungsschatz als gescheiterter Bundestagskandidat für die SPD in Bayern verfügt, liefert ein vom Titel her zwar nicht neues, inhaltlich jedoch äußerst spannendes Buch. Im Kern geht es ihm um die Frage, wie es hat geschehen können, dass die Demokratie in Deutschland durch den Markt, gar den totalen Markt, ersetzt werden konnte – und was das für die Generation der heute 20‑jährigen bedeuten wird. Und natürlich geht es auch darum – so viel Raum für Hoffnung bleibt immerhin – zu ergründen, ob ein derartiges Politmanagement nun Schicksal, oder ob es noch im Sinne einer Redemokratisierung korrigierbar ist: „Eine prosperierende Zone des Friedens und der Freiheit in ganz Europa und darüber hinaus erscheint von heute aus betrachtet wie ein utopischer Traum. Aber wenn wir es wollen, bleibt es kein Traum.“ (17) – Warum eigentlich? Nürnbergers Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der politischen Parteien ist ebenso erschüttert, wie in die des Marktes: „Statt Solidarität lernen Kinder von heute Konkurrenz.“ (341) Was also bleibt, wenn es gilt, die derzeit massiv durch egoistische Partikularismen bedrohte europäische Friedensordnung zu erhalten? Der Einzelne, so lautet Nürnbergers zunächst erstaunliche Antwort: „Die Bürger selbst müssen ran“ (342). Jeder kann sich entscheiden, ob und was er konsumieren möchte, inwieweit „grüne Technik“ (254) Einzug in den jeweiligen Alltag halten soll und ob dieser autonom, etwa durch Genossenschaften organisiert werden soll. Dass ein unkoordiniertes Bürgerengagement die etablierten institutionellen Gefüge demokratischer Politik nicht wird ersetzen können, ist dem Autor durchaus klar. Sein Konzept der Bürgerdemokratie indes scheint bislang nicht wesentlich mehr zu sein, als das Vertrauen in die politische Gegenmacht einer sich zunehmend besser organisierenden Masse: „Es gibt Hoffnung, die Gegenmacht ist längst am Entstehen, und es fehlt jetzt nur noch das Bewusstsein dafür, dass diese Millionen Menschen auf der Welt, die da verstreut vor sich hinarbeiten, zusammen gehören und das Potential in sich tragen, zur großen Gegenmacht zu werden.“ (351) Eine Ergänzung und ein Einwand zu Nürnbergers Hoffen auf eine solche, globale Bürgerdemokratie: Die sich jüngst (2014) formierende Strömung des Konvivialismus verfolgt mit ihrem „Konvivialistischen Manifest“ (siehe Buch‑Nr. 46447) eine ähnliche Sorge und Hoffnung wie er; ob sich indes im Zeitalter der Psychopolitik, wie Byung‑Chul Han die digitalisierte und sich selbst optimierende Moderne in Anknüpfung an Foucault jüngst beschrieben hat, überhaupt noch Raum findet, Freiheit und Demokratie jenseits des Marktes zu denken, ist ein ganz anderes, noch wesentlich fundamentaleres Problem.
{LEM}
Rubrizierung: 2.32.3312.3332.342 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Christian Nürnberger: Die verkaufte Demokratie. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38697-die-verkaufte-demokratie_46996, veröffentlicht am 30.07.2015. Buch-Nr.: 46996 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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