/ 05.06.2013
Markus C. Kerber
Europa ohne Frankreich? Deutsche Anmerkungen zur französischen Frage
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2006 (edition suhrkamp 2100); 222 S.; 9,50 €; ISBN 978-3-518-12100-9Kann Frankreich angesichts des eigenen Selbstverständnisses als einer besonderen Nation das europäische Einigungswerk konsequent mittragen? Kerber, Professor für Wirtschafts- und Finanzpolitik in Berlin und Absolvent der Ecole Nationale d’Administration, zweifelt daran, und zwar auf sehr polemische Art und Weise. Als Kern des Problems macht er die etwa 10.000 Angehörigen der Pariser Oligarchie aus, die er nicht mit dem Rest der Bevölkerung verwechselt wissen will. „Dieses Elitekartell ist sich nur in einem einig: die Macht zu erhalten.“ (12) Leider untermauert Kerber diese These nicht nur mit konkreten (und durchaus überzeugenden) Beispielen aus den deutsch-französischen Beziehungen oder der EU-Politik, sondern mutmaßt auch ausgiebig über die politische Kultur dieser Elite, die er von Falschheit und Eigennutz bestimmt sieht. Dies liest sich zwar kurzweilig, ist aber sicher zu pauschal. Auch hätte man gerne etwas über die innenpolitische Diskussion in Frankreich erfahren. Im Fazit besteht für Kerber dennoch kein Zweifel, dass die Europäische Union nur mit Frankreich existieren kann, empfiehlt den Deutschen aber eine bessere Strategie in dieser „liaison dangereuse“ (20). Zu beenden sei auf jeden Fall der „ewige Verzicht auf Politik aus schlechtem Gewissen in Anbetracht von 1870/71, 1914/18 und 1940-44“ (22). Als Instrument einer fairen politischen Auseinandersetzung sollte das europäische Gemeinschaftsrecht dienen. Kerber ist der Ansicht, dass Frankreich von einer solchen tatsächlichen Europäisierung auch innenpolitisch profitieren würde. Im Anschluss an diese Polemik sind verschiedenen Beiträge Kerbers aus früheren Jahren zum Thema abgedruckt. Erwähnenswert ist noch die Vorgeschichte dieses Buches: 1999 vereinbarten Kerber und der Suhrkamp-Verleger Unseld die Publikation. Das Manuskript schmorte aber fünf Jahre lang bei Suhrkamp, nach dem Tod Unselds wurde es abgelehnt. Kerber klagte die Veröffentlichung ein. Zu verstehen ist die ablehnende Haltung des Verlags nicht: Eine Polemik muss nicht völlig zutreffend sein, kann aber wie in diesem Fall durchaus den Blick schärfen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.61 | 2.21 | 2.23 | 2.3 | 3.1 | 3.7 | 2.35
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Markus C. Kerber: Europa ohne Frankreich? Frankfurt a. M.: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/8234-europa-ohne-frankreich_10856, veröffentlicht am 25.06.2007.
Buch-Nr.: 10856
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