Greg Mills: Rich State, Poor State: Why Some Countries Fail and Others Succeed
Warum scheitern manche Staaten, während andere trotz ähnlicher Herausforderungen erfolgreich sind? Greg Mills untersucht diese Frage mit einem Fokus auf Afrika. Er argumentiert, dass Afrikas Probleme weniger im Kolonialismus, sondern in schlechter Politik wurzeln und zeigt auf, was afrikanische Staaten von Ländern wie Singapur lernen können, wo Diversifizierung, Bildung und soziale Projekte zu Wohlstand geführt haben. Unser Rezensent Rainer Lisowski lobt das Buch als lehrreich und augenöffnend, bemängelt jedoch, dass es keine klare Lösung für den Umgang mit systemischer Korruption biete.
Eine Rezension von Rainer Lisowski
Viele werden sich noch aktiv an die Zeit um das Jahr 1994 erinnern, als Nelson Mandela aus dem Gefängnis entlassen wurde und das Apartheitsregime in eine Demokratie umgeformt wurde. Bis heute ist Südafrika eine der wenigen Demokratien auf dem afrikanischen Kontinent. Leider hat sich seit diesem hoffnungsvollen Anfang vor dreißig Jahren vieles zum Schlechteren gewandelt. Vor allem die grassierende Korruption, der schleppende Aufbau eines Sozialstaats, die explodierende Kriminalität und die lahmende Wirtschaft machen dem Land zu schaffen. Greg Mills, Direktor der wirtschaftswissenschaftlichen Denkfabrik „Brenthurst Foundation“ und in zahlreichen Organisationen international präsent, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Frage, was manche Länder erfolgreich macht und andere nicht. Genau dieser Frage geht auch sein aktuelles, in Südafrika weit rezipiertes Buch nach, dessen Untertitel das zentrale Erkenntnisinteresse auf den Punkt bringt: Why some Countries succeed and others fail?
Das Buch ist folgendermaßen aufgebaut: Auf eine Einleitung folgen fünf inhaltliche Kapitel, die nach Kontinenten strukturiert sind: Afrika, Asien, Europa, Lateinamerika, Nordafrika und der Nahe Osten. Die Kapitel ihrerseits sind in zwei bis vier Unterkapitel gegliedert, die einerseits inhaltliche Schwerpunkte legen – etwa: wirtschaftliche Diversifikation, Agenten des Wandels –, aber andererseits bestimmte Länder in den Fokus nehmen. Ein Beispiel: In „Challenges of Diversification“ analysiert Mills den Fall Botswanas, einem der nördlichen Nachbarn Südafrikas. Vor der Entdeckung der reichen Diamantvorkommen habe das Land vor allem Rindfleisch produziert. Es habe aber schnell gelernt, den Ressourcenreichtum für sich zu nutzen, indem es mit der Minengesellschaft DeBeers lohnende Verträge abschloss (39 ff.). Dann aber setzte das ein, was die Volkswirtschaftslehre als „Dutch Disease“ bezeichnet: Dank des Ressourcenreichtums stelle sich ein immer höheres Einkommen quasi von allein ein und darum werde wirtschaftspolitisch nicht mehr daran gearbeitet, die Wertschöpfungsketten des Landes weiterzuentwickeln und zu vertiefen. Damit fehlten auf längere Sicht aber auch zusätzliche Standbeine und mehr Arbeitsplätze sowie eine Risikoabsicherung, wenn die Minen einmal ausgebeutet sind. Spätestens dann komme es zu Konflikten im Staat, denn am Ende laute die Frage der Menschen nun einmal: „Was tut die Regierung für mich?“ (45). Mills‘ Vorwurf: Viele afrikanische Staaten würden das positive Beispiel der ehemaligen Entwicklungsländer Asiens ignorieren, die reich geworden seien, weil sie unerlässlich nach höheren Zielen gegriffen hätten. Staatseinnahmen aus einfachem Produktionsgewerbe sei klug investiert worden, um ein regulatorisches Umfeld für höherwertige Produktion zu schaffen, beispielsweise von Elektrotechnik. Zeitgleich seien Aus- und Weiterbildungseinrichtungen geschaffen worden, um entsprechend ausgebildete Fachkräfte vorhalten zu können.
Mills versucht durch diese und zahlreiche weitere Beispiele eine Reihe robuster und leicht nachvollziehbarer Handlungsvorschläge herauszuarbeiten. Und es ist klar, an wen er sich damit wendet: An die Regierung und Verwaltung Südafrikas und anderer Schwellen- und Entwicklungsländer. Ihnen möchte er Hinweise geben, wie sie Wirtschaftspolitik aus seiner Sicht langfristig erfolgreicher gestalten können. Und damit meint er: Eine Wirtschaftspolitik, die nachhaltig erfolgreich und von den natürlichen Ressourcen abgekoppelt ist und die die Mehrzahl der Menschen am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben lässt.
Dabei geht Mills für viele seiner südafrikanischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die auf Themen rund um den Kolonialismus besonders sensibel reagieren, sicher an die Grenzen des Erträglichen. Etwa, wenn er im Fall Singapurs darauf hinweist, dass es keine gute Wirtschaftspolitik sei, wenn man gefangen in der eigenen Vergangenheit verbleibe. Dass diese Vergangenheit für Singapur (wie auch für Afrika) hart war, wird - mit sarkastischem Unterton – überdeutlich: „[…] the appropriation, utilisation and development of colonial Singapore might have represented the best of the British empire, the social and political aspects, founded in bigotry, disopression and exploitation, illustrated the worst, and would not have been out of place in colonial Africa” (99). “Colonised cousins” (101) seien sie gewesen, Singapur und Afrika. Aber dort würden die Parallelen dann enden, denn Singapur habe sich durch sein eigenes Handeln wirtschaftlich weiterentwickelt, ohne irgendwelche Hilfe von außen. Und ohne obsessive Beschäftigung mit der Vergangenheit.
Positiv ist zu erwähnen, dass Mills an dieser wie an allen anderen Stellen des Buches die Lee Kuan Yew-Falle umgeht. Damit ist Folgendes gemeint: Im Jahr seiner Unabhängigkeit, war der asiatische Zwergstaat Singapur bettelarm, das Pro-Kopf-Einkommen entsprach etwa dem Jordaniens. Unter der autoritären Führung des "Gründervaters" und langjährigen Ministerpräsidenten Lee Kuan Yew entwickelte sich der asiatische Tigerstaat rasant. Politische Freiheiten gab es kaum - aber die Lebenssituation der Menschen besserte sich dramatisch. Heute liegt das Pro-Kopf-Einkommen deutlich über dem Deutschlands, etwa 90 Prozent der Menschen leben in einer Eigentumswohnung (in Deutschland besitzen etwas über 40 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ihr eigenes Zuhause). Darüber hinaus verfügt Singapur über exzellente und breit zugängliche Bildungs- und Gesundheitssysteme. „Singapore’s transition from urban slum to global city is unparalleled” (114). Gleichzeitig ist Singapur bekannt für sein rigides politisches System und so könnte der Schluss naheliegen, dass ein Land zur Entwicklung einer Art benevolenten Entwicklungsdiktatur benötige. Eben dies glaubt Mills nicht. Er versucht statt der Fokussierung auf das politische System und das Zustandekommen der politischen Führung deren Erfolgsrezepte herauszuarbeiten. Mills hält ein autoritäres Politikbild gerade für Afrika angesichts seiner Erfahrungen mit „Strongmen“ für gefährlich.
Die Rezepte, sprich die wirtschaftspolitischen policies Singapurs, ließen sich seiner Meinung nach aber durchaus übertragen. Auch für Singapurs Regierung sei es Ende der 1960er-Jahre, als das Land noch bitterarm war, gerade erst Unruhen erlebt hatte und die Führung der PAP-Partei noch keineswegs sattelfest war, eine überaus schwere politische Entscheidung gewesen, den bestehenden Central Provident Fund (CPF) auf staatlichen Wohnungsbau auszuweiten und mehr Geld von den Bürgerinnen und Bürgern zu verlangen (102). Der Lohn der Mühe heute: Fast alle Menschen in Singapur leben in ihren eigenen vier Wänden, was Singapurs Regierung stets als die wichtigste Sozialabsicherung betrachtete. Afrikas Staatsführungen sollten ihren armen Bevölkerungen ebenfalls zumuten, Geld in solche Staatsfonds einzuzahlen, um mit diesem Geld dann public housing-Programme zu finanzieren.
Für viele, die davon überzeugt sind, dass Afrika vor allem an den Folgen der Kolonialisierung leide, ist Mills‘ Analyse eine gute Quelle aus erster Hand. Mills bestreitet an keiner Stelle, dass der Kolonialismus Afrika nicht nur menschlich, sondern vor allem auch wirtschaftlich geschadet habe. Ebenso macht er aber deutlich, dass Afrikas heutige Probleme an ganz anderer Stelle liegen: An schlechter Politik. Viel von der Misere sei selbstverschuldet. Und Mills ist davon überzeugt, dass es den Ländern und Menschen des Kontinents viel besser gehen könnte, wenn sie aus den Erfahrungen zum Beispiel asiatischer Länder lernen würden, die ebenso wie afrikanische Länder unter dem Kolonialismus gelitten haben, aber heute Afrika wirtschaftlich um ein Vielfaches enteilt sind.
Mills‘ gut lesbares Buch enthält viele sinnvolle und teilweise auch augenöffnende Lektionen. Aber es bleibt ein Problem, auf das auch Mills keine rechte Antwort weiß. Geht man einige Schritte zurück und fragt sich, was das wichtigste Werkzeug in seiner ausgearbeiteten Instrumentenkiste ist, lautet die Antwort: Der Staat. Was aber, wenn dieser Staat von ganz oben bis ganz unten Opfer einer grassierenden Korruption ist – und die Bevölkerung nicht den Willen oder die Möglichkeit hat, dem ein Ende zu setzen? Man darf sich die Korruption ja nicht so vorstellen, dass sie nur wenige in den Top-Etagen betrifft. Sie betrifft in der Regel den ganzen Staat und es beginnt auf kleinster Ebene: Der Schalterbeamte, der einen Antrag nur dann schnell bearbeitet, wenn ein Geldschein an den Antrag geheftet wird, der seinerseits aber seiner Vorgesetzten von dem Geld einen Löwenanteil abgeben muss, die aber ihrerseits auch wieder einen Großteil nach oben weiterreichen muss. Irgendwann ist das ganze System so belastet, dass eine echte Änderung schwer möglich erscheint. Und zynisch betrachtet macht dann aus dieser Perspektive auch der ganze Papierkram „Sinn“, der die Wirtschaft oftmals stranguliert. Für Sambia zählt er im Fall von Handelseinfuhren im Jahr 2022 die bürokratischen Notwendigkeiten auf: Covid Check, Passcheck, Zahlung einer Versicherung, Kontrolle des Fahrzeugs, Zahlung einer Straßenmaut, Zahlung einer CO2-Steuer, Brückennutzungsmaut, Zahlung einer örtlichen Steuer und schließlich die eigentliche Zollerklärung (46). Kurzum: Jede Menge Möglichkeiten, um Banknoten an den Anträgen zu verlangen.
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