Jørgen Randers, Till Kellerhoff: Tax the Rich: Warum die Reichen zahlen müssen, wenn wir die Welt retten wollen
Die ungleiche Vermögensverteilung hängt eng mit der Klimakrise zusammen, argumentieren Jørgen Randers und Till Kellerhoff in „Tax the rich“ und fordern daher eine konsequente Besteuerung von Vermögen und massive staatliche Investitionen in den Klimaschutz. Rezensent Vincent Wolff stimmt den Forderungen der Autoren grundsätzlich zu, kritisiert aber, dass sie mit ihrem Fokus auf die Superreichen die „strukturellen Hintergründe des Klimawandels und die Kollektivität des Problems“ ausblenden.
Eine Rezension von Vincent Wolff
„Eine geringe Steuererhöhung für einen kleinen Teil der reichsten Menschen der Welt würde die Finanzierung der globalen Energiewende ermöglichen“ (14), konstatieren Jørgen Randers und Till Kellerhoff gleich zu Beginn ihres Buches. Für die Autoren hängen die Vermögensverhältnisse eng mit dem Klimawandel und der Klimakrise zusammen: „[D]ie beiden drängendsten Krisen der Menschheit – die ökologische und die soziale – [sind] eng miteinander verwoben“ (22). Dies sei durch die neoliberale Politik der vergangenen Jahrzehnte verstärkt und durch Inflation und sinkende Reallöhne verschärft worden. Die Finanzialisierung der Volkswirtschaft habe ihr Übriges getan, die Lohn- und Kapitalverhältnisse zu entkoppeln. So sei die Ungleichheit global gewachsen. Nun komme es darauf an, „unsere Ökonomien umzubauen“ (25). Doch gerade dieser systemische Aspekt wird im Buch nur am Rande berührt, obwohl „ein ‚verantwortlicher‘ Kapitalismus […] uns nicht retten [wird]“ (52). Wie die systemische Alternative aussehen kann, bleibt unbeantwortet, den Autoren geht es vor allem um die Fiskalpolitik und die steuernde Rolle des Staates zur Bekämpfung der Klimakrise.
„Niemals zuvor haben wir so grundlegende Veränderungen in so kurzer Zeit erlebt“ (13), schreiben die beiden Verfasser zu Beginn ihres Buchs. Der Gedanke, dass wir an einem entscheidenden geschichtlichen Moment stehen und jetzt handeln müssen, zieht sich durch das Werk. Unabhängig von der geschichtlichen-empirischen Beurteilung dieser These, erklärt dies den drängenden Charakter des Werkes. „Uns ist klar, dass es jetzt einen gewaltigen Sprung nach vorne braucht“ (13), denn „für Milliarden Menschen überall auf der Welt wird die Lage zusehends schlimmer“ (17). Insgesamt werde es immer schlimmer, das Gleichgewicht zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen habe sich in den vergangenen Jahrzehnten verschoben: „Die Wirtschaft und insbesondere die Großkonzerne haben ein gewaltiges Übergewicht erhalten“ (35). War dies denn jemals anders?
Was muss jetzt passieren?
Die Autoren fordern substanzielle Investitionen in eine klimaneutrale Wirtschaft analog zum Marshall-Plan. Ähnlich dem Sputnik-Schock benötige es jetzt koordinierte Anstrengungen, die staatlich getrieben seien und so in der Breite zu einer neuen Wirtschaft führten. Es sei jetzt notwendig, die Wirtschaft „grundlegend um[zu]bauen, und das in beispiellosem Tempo“ (72). Das bedeutet für Randers und Kellerhoff aber vor allem auch eine konsequente Besteuerung von Vermögen in Deutschland. Der Staat benötige für diese Maßnahmen Geld und das sei fairerweise vor allem bei Besserverdiener*innen zu holen. Würde die Bundesrepublik Vermögen ebenso hoch besteuern wie Frankreich, das Vereinigte Königreich oder die USA, könne der Fiskus 120 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen. Dabei gehe es aber nicht nur um Deutschland, es benötige einen globalen Ansatz zur Verhinderung von Steuerflucht, damit Vermögen nicht direkt abfließe. Weltweite Mindeststeuersätze seien beispielsweise dafür ein erster wichtiger Schritt, verbunden mit einer Lockerung der Schuldenbremse.
Randers und Kellerhoff fordern ein nationales Vermögensregister, um Vermögen zu erfassen. Ohne diesen ersten Schritt sei eine lückenlose Besteuerung kaum möglich. Insgesamt gehe es um zwei Maßnahmen: das Ausweiten der Besteuerung auf ausgewählte Gruppen und das Schließen von Schlupflöchern in der gegenwärtigen Steuer-Gesetzgebung. Die Autoren plädieren dafür, deutliche Ermessensspielräume im Erbschaftssteuerrecht für Betriebsvermögen zu belassen, entscheidend sei schließlich der Zugriff auf die Milliardenvermögen in privater Hand. Das könne mit einer Mindest-Erbschaftssteuer gelingen, die über einen längeren Zeitraum gestreckt sei. So werde der Staat möglicherweise stiller Teilhaber eines Unternehmens und gefährde nicht das wirtschaftliche Wohlergehen eines Betriebs. Wichtig sei, große Vermögen angemessen zu besteuern. Das könne auch bei privaten Vermögen durch eine Kombination von Mindest-Steuern und längeren Laufzeiten gut gelingen.
Dabei schwanken die Autoren zwischen einem normativen und einem praktischen Dafürhalten. Es gehe darum, dass „die finanziellen Bürden von jenen getragen werden sollen, die auch die Mittel dazu haben“ (72). Ähnlich wie nach dem Zweiten Weltkrieg seien jetzt kollektive Anstrengungen vonnöten, um die Herausforderungen zu stemmen. Damals sei die Reichensteuer von einer konservativen Regierung eingeführt worden und „der fruchtbare Boden, der das ermöglichte, existiert heute wieder“ (73).
Das helfe der Gesellschaft insgesamt, so gehe auch der Erfolg der AfD und von Populist*innen insgesamt auf die Ungleichheit und damit verbundene Unsicherheit zurück. Sollte es nicht dazu kommen, sei mit Aufständen zu rechnen, so eine Prognose des Buches. Sollten die Reichen nicht ihren fairen Anteil leisten, reiche es nicht aus, sich zu verbarrikadieren: „Vor dem herannahenden Sturm jedenfalls wird sie keine noch so hohe Mauer schützen“ (29).
Sind „die Reichen“ Schuld am Klimawandel?
„Zwei Dinge wachsen bei den reichsten Menschen der Welt rapide: [D]as eine ist ihr Reichtum, das andere die Menge an CO2-Emissionen, die sie verursachen“ (5). Dieser Gedanke zieht sich durch das ganze Buch. Laut Randers und Kellerhoff seien es die „Armen [die,] die Last der Klimakrise zu tragen haben, die die Reichen wesentlich verursachen“ (15). In eine ähnliche Richtung stößt auch Marlene Engelhorn in ihrem Vorwort zu dem Buch: „Macht an und für sich ist weder gut noch schlecht“ (10), nur um wenige Zeilen später zu ergänzen, „wer privilegiert wird, stellt die eigenen comfort zone über die Rechte von vielen“ (10, Hervorhebung im Original). Nicht nur angesichts der externen Faktoren (privilegiert werden statt klarer Agency) diffundiert hier die Verantwortung vor den Augen der Leser*innen. Um wen geht es hier genau – und wer hat welche Verantwortung? „Die oberen zehn Prozent [der Weltbevölkerung sind] für fast die Hälfte der Treibhausgasemissionen verantwortlich“ (20). Diese 800 Millionen Menschen werden hier als „Reiche“ betrachtet. Dennoch treffen viele der später beschriebenen Maßnahmen eine sehr viel kleinere Gruppe. Diese begriffliche Unschärfe schadet der Argumentation der Autoren.
Auf diese Weise wird impliziert, dass das Verhalten reicher Menschen eine entscheidende Auswirkung auf den Klimawandel habe. Das übersieht zum einen die strukturellen Hintergründe des Klimawandels und die Kollektivität des Problems. Zum anderen impliziert der Gedanke, dass ein anderes Verhalten der reichen Individuen etwas am Klimawandel ändern würde. Dies unterschätzt die kollektive Komponente des marktwirtschaftlichen Systems mit seinen Sachzwängen, dieses manichäische Weltbild wird der Tatsachenbeschreibung des Klimawandels nicht gerecht. Den weltweit weitaus größten Anteil an den CO2-Emissionen hat der Energiesektor; dafür sind nicht nur die „Reichen“ verantwortlich, sondern das System, das zum Systemerhalt auf günstige fossile Brennstoffe angewiesen ist. Selbstverständlich sind Kurzstrecken-Flüge wohlhabender Menschen im Privatflugzeug klimaschädlich. Doch das Zurückführen des Klimawandels auf die Verantwortung von Besserverdiener*innen missversteht die Verantwortung für den Klimawandel.
Zum Teil wird dies von den Autoren auch konstatiert: „[D]er menschengemachte Klimawandel ist das wohl größte Versagen des Marktes in der Geschichte“ (36). Daher sei der Markt auch das falsche System, um die Klimakrise zu lindern. Deshalb weisen die Verfasser auch den Emissionshandel ETS und andere Marktmechanismen zurück.
Die Autoren zweifeln grundsätzlich am System: „Wir müssen das System verändern, damit es etwas unterstützt, was es eigentlich vermeiden will: Investitionen in Aktivitäten, die weniger rentabel sind als die Alternativen“ (42). Denn grüne Lösungen seien teurer als Konventionelle: „Die Kilowattstunde Strom wird dadurch zunächst teurer“ (42). Analog dazu müsse auch die Landwirtschaft grün werden und daher würden die Lebensmittel zwangsläufig teurer werden. Spannenderweise ist genau die Verteuerung von Lebensmitteln aber ein Argument der Autoren gegen den Emissionshandel. Dieser würde zum einen nicht helfen, da nur 20 Prozent der weltweiten Emissionen überhaupt in den Zertifikathandel integriert seien. Zum anderen würde es Menschen mit niedrigem Einkommen unverhältnismäßig stark belasten. Außerdem sei zweifelhaft, ob das System wirklich dauerhaft etabliert werde.
Wo ist der rote Faden?
Schlagkräftige politische Bewegungen für mehr soziale Gerechtigkeit sind aktuell kaum auszumachen und die Angst von Besserverdiener*innen vor politischem Unmut scheint aktuell unbegründet. Schon Louis Althusser verwies darauf, dass zwar in letzter Instanz das Primat des Ökonomischen herrsche, aber eben auch nur dort. So wichtig und richtig das Anliegen der Autoren ist, so weit weg sind ihre Analysen von den aktuellen politischen Debatten. Gerade die These, gegenwärtig bestehe ein Möglichkeitsfenster für mehr Umverteilung, verdient empirische Belege. Woher kommt dieser sozialpolitische Optimismus?
Zudem engt die Ablehnung des Emissionshandels den politischen Spielraum bei der Bekämpfung des Klimawandels unnötig ein. Ja, das System ist bisher nur beschränkt im Einsatz und nur in einigen Teilen der Welt. Aber das spricht nicht gegen den Mechanismus an sich. Tatsächlich kann der Emissionshandel ein Baustein hin zu einer klimaneutralen Zukunft sein.
Zudem fehlt zuweilen die begriffliche Trennschärfe. Der Kapitalismus und die Märkte werden aufgrund ihrer Ergebnisse gescholten und zurecht die verheerenden Markt-Ergebnisse dargestellt. Doch bis auf allgemeine Hinweise zur Veränderung fehlt es an einer Darlegung alternativer Wege. Eine aktive Rolle des Staates als Investor wird gefordert, gepaart mit Steuererhöhungen. Aber soll der Rest des marktwirtschaftlichen Systems unangetastet bleiben? Hier öffnen sich Lücken, die noch geschlossen werden sollten.
Zusammenfassend wird das Buch aber seinem Titel gerecht. Die beiden Autoren überzeugen auf wenigen Seiten mit durchdachten finanzpolitischen Reform-Vorschlägen und entkräften zentrale Gegenargumente. Die Notwendigkeit größerer Investitionen in eine klimaneutrale Zukunft wird stringent dargelegt, auch wenn der Nexus Reichensteuer-Klimakrise stellenweise gewollt erscheint. Die Forderungen bleiben richtig und sind ein bestechendes Plädoyer an die politischen Entscheider*innen, das Problembewusstsein über die Klimakrise auch in steuerpolitische Maßnahmen umzumünzen.
Demokratie und Frieden