/ 05.06.2013
Karl Reinhard Lohmann
Konkurrenz und Solidarität. Rationale Entscheidungen in den Grenzen sozialer Strukturen
Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 1998 (Campus Forschung 767); 314 S.; kart., 68,- DM; ISBN 3-593-36107-8Diss. Göttingen. - Die in den Sozialwissenschaften zu beobachtende hohe Attraktivität entscheidungstheoretischer Ansätze beruht nicht zuletzt darauf, daß sie von sehr bescheidenen normativen Prämissen hinsichtlich der die Akteure leitenden Handlungsorientierungen ausgehen und deshalb eine breite Anwendungsfähigkeit zu besitzen scheinen. Lohmann möchte gegenüber diesen stark abstrahierenden Modellen eine Interpretation von Koordinationskonflikten unter Knappheitsbedingungen vorschlagen, die sich enger an unsere Intuitionen und Alltagserfahrungen hält und zugleich Möglichkeiten einer rationalen Konfliktlösung anbietet. Für diese Zwecke entwickelt er einerseits in einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Marktmodell der klassischen Ökonomik (69 ff.) und der spieltheoretischen Modellierung von Koordinationskonflikten (147 ff.) die These, daß Entscheidungen rationaler Personen nicht unabhängig voneinander beschrieben werden können. Andererseits geht es ihm um den Nachweis, daß die Rationalität von Konfliktlösungen in ihrer Zustimmungsfähigkeit liegt und diese wiederum eine gleichrangige Berücksichtigung der Kriterien von Effizienz und Gerechtigkeit voraussetzt (21 ff.). Der letzte Teil der gut formulierten und überzeugend gegliederten Studie schlägt am Beispiel von Aushandlungskonflikten als Voraussetzung rationaler Koordinationslösungen einen "schwachen" Solidaritätsbegriff vor (201 ff.), der eine symmetrische Verteilung der Ausgangspositionen der beteiligten Akteure impliziert.
Inhalt: I. Gerechte und effiziente Koordination: 1. Das Koordinationsproblem: 1.1 Knappheit als Ausgangspunkt: Vertreibung aus dem Schlaraffenland; 1.2 Effizienz und Gerechtigkeit als Kriterien der Zustimmung zu Koordinationslösungen; 1.3 Koordination ein Problem der Politischen Philosophie oder der (ökonomischen) Theorie rationaler Entscheidung? 2. Politische Ökonomie: Der Januskopf des Liberalismus: 2.1 Ökonomischer und politischer Liberalismus; 2.2 Das Problem öffentlicher Güter; 2.3 Anomalien: Von "fairem" Kaffee und "ökologischen" Bankgeschäften. II. Der Markt als Koordinationsmechanismus: 3. Der ideale Markt - Vom Schlaraffenland nach Epikurion: 3.1 Grundbegriffe und Geltungsanspruch der Theorie idealer Märkte; 3.2 Prognostische Erfahrungswissenschaft oder Theorie praktischer Rationalität?; 3.3 Koordination als Gleichgewicht der Interessen. 4. Das Problem des Personenbegriffs in der Ökonomik: 4.1 Ökonomische Präferenzen oder Wünsche?; 4.2 Der Einfluß der Population auf die Möglichkeit der Präferenzerfüllung; 4.3 Identität der Person in der ökonomischen Welt. 5. Die Möglichkeit von Regeln in Epikurions Markt-Anarchie: 5.1 Regelfolgen und Handlungsgründe; 5.2 Regeln im Rahmen einer Theorie von Präferenzen und Restriktionen; 5.3 Die indirekte Nutzenfunktion oder die ökonomische Theorie der Präferenzen. 6. Von der Vielzahl guter Gründe und von Metapräferenzen: 6.1 Verschiedene Arten guter Gründe; 6.2 Metapräferenzen über Präferenzen oder Metapräferenzen über Eigenschaften; 6.3 Begründung und soziale Strukturen. III. Strategische Wahl und Koordination: 7. Das Hobbessche Problem: Koordination in nicht-kooperativen Spielen: 7.1 Koordination in Spielen; 7.2 Hobbes' Problem: Über die Dysfunktionalität der Vernunft; 7.3 Rationale Toren im nicht-kooperativen Spielen. 8. Lockesche Hoffnung: Kooperative Lösungen: 8.1 Das Recht auf Aneignung: Lockes Proviso; 8.2 Die Symmetrie-Annahme: Keine Macht für niemand; 8.3 Das Symmetrieargument: Kein Ausweg aus dem Dilemma. 9. Koordination als iteriertes oder dynamisches Spiel: 9.1 Pläne in wiederholten Spielen; 9.2 Kooperation in iterierten Spielen; 9.3 Die Konsistenzannahme in dynamischen Spielen; 9.4 Abhängigkeit der Entscheidungen und die Möglichkeit von Drohungen. IV. Rationalität und Koordination: 10. Verhandlungsspiele: 10.1 Verhandlungen zwischen realen Personen; 10.2 Das Nash-Zeuthen-Verhandlungsmodell. 11. David Gauthiers Reformulierung des Lockeschen Programms: 11.1 Das Gauthier-Programm; 11.2 Das Translucency-Argument; 11.3 Die Gauthier Verhandlungslösung. 12. Kuchenteilungsregeln oder Philosophie mit Kindern: 12.1 Macht im Spiel durch ungleiche Ausgangspositionen; 12.2 Positionale Rechte und soziale Strukturen; 12.3 Gleichberechtigung und ungleiche Auszahlungen; 12.4 Strukturelle Restriktionen rationaler Entscheidungen in Kuchenteilungsspielen; 12.5 Strukturell-rationale Wahl? Einwände und Erwiderungen. 13. Schlußbemerkungen und Anwendungsbeispiele oder Wer kann einen Kuchen teilen?: 13.1 Abgrenzungsprobleme I: "Dicke" Theorien expressiver Rationalität; 13.2 Abgrenzungsprobleme II: Zwischen politischer Gerechtigkeit und ökonomischer Wahl unter Unsicherheit; 13.3 Noch einmal von "fairem" Kaffee und "ökologischen" Bankgeschäften; 13.4 Epilog zu Solidarität und Konkurrenz oder "Ein neues Lied, besseres Lied!".
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.45
Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Karl Reinhard Lohmann: Konkurrenz und Solidarität. Frankfurt a. M./New York: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6451-konkurrenz-und-solidaritaet_8761, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 8761
Rezension drucken
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
CC-BY-NC-SA