/ 05.06.2013
Erhard Treutner
Kooperativer Rechtsstaat. Das Beispiel Sozialverwaltung
Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1998 (Schriften zur Rechtspolitologie 6); 292 S.; brosch., 68,- DM; ISBN 3-7890-5397-XIn zahlreichen Studien etwa der Policy-Forschung oder der neueren Organisationstheorie wird - unter dem Schlagwort des "kooperativen Staates" - ein Formenwandel von "Staatlichkeit" behauptet, demzufolge sich die Ausübung staatlicher Funktionen mehr und mehr von einer hoheitlich gestützten Durchsetzung kollektiv verbindlicher Entscheidungen auf Aushandlungen mit gesellschaftlichen Akteuren verlagere. Eine derartige Tendenz, theoretisch teils als Steuerungsverzicht beklagt, teils als Indikator zunehmender reflexiver Steuerung begrüßt, spiegelt gewiß den generellen Autonomiegewinn von Organisationen in der Umwelt des politisch-administrativen Systems wider, sie darf jedoch nicht für alle Politikfelder in gleicher Weise behauptet werden. Treutner, durch zahlreiche Arbeiten zur Verwaltungsforschung ausgewiesen, analysiert dieses Phänomen im Bereich der Sozialverwaltung sowohl unter systematischen wie unter empirischen Ansprüchen. Anders als in einer Vielzahl von Studien zum "Dritten System" an der Schnittstelle von Selbsthilfeorganisationen und neuen sozialen Bewegungen sucht der Verfasser methodisch sowohl die Ebene administrativer Strukturen als auch die der Akteure gleichrangig zu berücksichtigen. Die ersten beiden Kapitel entwickeln den Stand der Diskussion zunächst bezogen auf unterschiedliche Konzeptualisierungen des Verhältnisses von Staat und gesellschaftlichen Akteuren (18 ff.) und anschließend mit Blick auf korrespondierende Veränderungen im sozialstrukturellen Kontext des administrativen Systems (47 ff.). Den Schwerpunkt des Buches bilden dann sehr detaillierte Analysen der zunehmenden Bedeutung kooperativen Staatshandelns im Sozialbereich am Beispiel von Selbsthilfeförderungen und arbeitsmarktpolitischen Interventionen ("Erster" wie "Zweiter Arbeitsmarkt" - 114 ff.). Im Schlußteil werden die Befunde wiederum systematisch zusammengeführt und - nicht zuletzt auch normativ unter Betonung der Sozialstaatsfunktionen - mit dem Begriff des "kooperativen Rechtsstaates" von alternativen Konzepten, wie dem des "Verhandlungsstaates", abgehoben (209 ff.). Angesichts der jüngsten Mode, den Modernisierungsbedarf im administrativen Sektor allein mit betriebswirtschaftlichen Kalkülen zu buchstabieren, kann man dieser sorgfältig gearbeiteten Studie nur breite Resonanz zumal bei den für die Lehre im Bereich von Sozialplanung und Public Management Verantwortlichen wünschen.
Aus dem Inhalt: 2. Zur Bedeutung gesellschaftlicher Akteure für das staatlich-administrative Handeln (Stand der Diskussion): 2.1 Entwicklung der sozial- und verwaltungswissenschaftlichen Diskussion; 2.2 Kooperatives staatlich-administratives Handeln in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen: 2.2.1 Formen kooperativen Zusammenwirkens öffentlicher und privater Akteure; 2.2.2 Verhandlung und Kooperation in der planenden Verwaltung, insbesondere in der Bauplanungs- und Bauordnungsverwaltung; 2.2.3 Kooperative Formen staatlich-administrativen Handelns im Bereich des Umweltschutzes; 2.2.4 Kooperative Formen staatlich-administrativen Handelns in der Wirtschaftsförderung. 3. Zum Zusammenhang von gesellschaftlichem Wandel und kooperativem staatlich-administrativem Handeln: 3.1 Wandel struktureller Bedingungen der Gesellschaft; 3.2 Gesellschaftliche Wandlungsprozesse auf der Ebene der Subjekte; 3.3 Steigende Bedeutung verwaltungsexterner Akteure für staatliches Handeln. 4. Kooperatives Staatshandeln im Sozialbereich: 4.1 Bisherige Formen des Staatshandelns im Sozialbereich; 4.2 Kritik der staatlichen Handlungsformen im Sozialbereich; 4.3 Ist mehr kooperatives Staatshandeln im Sozialbereich möglich. 5. Zunehmende Bedeutung kooperativen Staatshandelns im Sozialbereich: 5.2 Zunehmende Bedeutung kooperativer Handlungsformen am Beispiel der staatlichen Selbsthilfeförderung; 5.3 Kooperatives Staatshandeln im Rahmen der staatlichen Förderung Zweiter Arbeitsmärkte; 5.4 Zunehmende Bedeutung kooperativer Regulierungsformen im Bereich des Ersten Arbeitsmarkts. 6. Staatliches Handeln bei zunehmender Bedeutung außerstaatlicher Akteure: 6.1 Selektiv wachsende Bedeutung kooperativen staatlichen Handelns im Sozialbereich; 6.2 Entwicklung zum kooperativen Rechtsstaat; 6.2.1 Zum Verhältnis von Kooperation und rechtsstaatlicher Steuerung; 6.2.2 Kooperativer Verhandlungsstaat oder kooperativer Rechtsstaat?; 6.3 Tendenzen zu neuen kooperativen Formen und Instrumenten staatlichen Handelns; 6.3.1 Veränderung der Gesetzgebung; 6.3.2 Prozedurales Recht; 6.3.3 Problemangemesseneres staatliches Handeln durch mehr Publikums-Beteiligung sowie entsprechenden organisatorischen und personellen Wandel. 7. Trend zum "kooperativen Rechtsstaat".
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.325 | 2.342 | 5.41
Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Erhard Treutner: Kooperativer Rechtsstaat. Baden-Baden: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/7575-kooperativer-rechtsstaat_10074, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 10074
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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