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/ 04.06.2013
Gerhard Stapelfeldt

Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Kritik der ökonomischen Rationalität. Zweiter Band

Hamburg: Lit 1998 (Spuren der Wirklichkeit 15); 646 S.; brosch., 99,- DM; ISBN 3-8258-3627-4
Dies ist der zweite Band eines ebenso umfangreichen wie ambitionierten Werkes, in dem der Autor - Privatdozent am Institut für Soziologie der Universität Hamburg - eine auf vier Teile angelegte "Kritik der ökonomischen Rationalität" entwirft, deren Ziel die "Explikation des Zusammenhangs von Modernisierung und struktureller Gewalt in der Weltgesellschaft" ist (10). Während der erste Band in theoriekritischer Absicht die Geschichte der ökonomischen Rationalisierung als - kapitalismusbedingte - Verallgemeinerung von Irrationalität entwickelt (siehe ZPol 4/00: 1.606), widmet sich dieser Band einer "soziologisch reflektierte[n] Darstellung der Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland" (12). Die schon im Titel enthaltene Anspielung auf Weber artikuliert das Selbstverständnis des Autors, von der ökonomischen Struktur ausgehend - und mit Mitteln eines an Adorno geschulten "weberianischen" Marxismus –, die gesellschaftliche "Physiognomie" bestimmen zu können. In der Hauptsache behandelt Stapelfeldt die Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik bis zur deutschen Vereinigung (125 ff.), die Wirtschaftspolitik bis 1990 (243 ff.) und die sozialökonomischen Folgen der - vorrangig wirtschaftstechnokratisch betriebenen - Vereinigung selbst (375 ff.). Diese Fallstudie zur politischen Ökonomie Deutschlands fügt sich insofern in die Gesamtkonzeption des Werkes, als Stapelfeldt sie in den Rahmen der Frage nach der "kollektiven Identität der Deutschen" stellt. Einleitend entwickelt er die These, derzufolge sowohl die Bildung des deutschen Nationalstaats als auch die politische Identität der Bundesrepublik stets unter dem Primat der Ökonomie gestanden habe (17 ff.). Der Band schließt eine kritische Auseinandersetzung mit prominenten soziologischen Modellen ("technischer Staat", "Erlebnisgesellschaft", "Risikogesellschaft") ein, die - aus der Sicht Stapelfeldts - eine affirmative Deutung der "entpolitisierten" deutschen Gesellschaft formulieren (491 ff.). Inhaltsübersicht: 1. Zum Verhältnis von autoritärer Politik-Ökonomie und kollektiver Identität der Deutschen: 1.1 Die Genese des deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert; 1.2 Vom Kaiserreich zum Nationalsozialismus; 1.3 Volks-Wirtschaft und technokratische Politik nach 1945. 2. Die Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik Deutschland bis 1990 im Kontext: Krisentendenzen der Marktwirtschaft: 2.1 Entwicklungen und Umstrukturierungen der Ökonomie; 2.2 Die erste Phase (1948-1960): Restauration des Kapitalismus; 2.3 Die zweite Phase (1960-1966/67): Endphase des 'Wirtschaftswunders'; 2.4 Die dritte Phase (1966/67-1975): Globale Krise der Wachstums-Gesellschaft; 2.5 Die vierte Phase (1975-1982): Übergang in die Dauerkrise struktureller Massenarbeitslosigkeit. "Krise der Arbeitsgesellschaft?"; 2.6 Die fünfte Phase (1982-1990): Wachstum und Massenarbeitslosigkeit. Die Ausbreitung relativer Armut in der "Erlebnisgesellschaft". 3. Die Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik Deutschland bis 1990: Wirtschaftskrisen und technokratische Politik: 3.1 Die erste Phase der Sozialen Marktwirtschaft (1948-1960); 3.2 Die zweite Phase der Sozialen Marktwirtschaft (1960-1966/67); 3.3 Keynesianische Globalsteuerung (1966/67-1975); 3.4 Wirtschaftspolitisches Krisenmanagement der Regierung Helmut Schmidt (1974/75-1982); 3.5 Der Neoliberalismus der Regierung Helmut Kohl (1982-1990). 4. Wirtschaftsentwicklung und Wirtschaftspolitik in Deutschland nach der Vereinigung: 4.1 Die prinzipiell möglichen Strategien zur Verwirklichung der deutschen Einheit, die im Zusammenbruch der DDR enthalten waren; 4.2 Die marktdogmatisch-technokratische Verwirklichung der deutschen Einheit durch Bundesregierung sowie Treuhandanstalt und ihre sozialökonomischen Folgen in Ostdeutschland; 4.3 Revision der marktoptimistischen Politik nach der Bundestagswahl vom 2.12.1990; 4.4 Rückwirkungen der Transformationskrise auf Westdeutschland: Überlagerung von marktwirtschaftlicher Systemkrise und Transformationskrise seit 1992; 4.5 Modernisierung und strukturelle Gewalt. 5. Kritik des neoliberalen Kapitalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Unvollständige Skizzen über strukturelle Gewalt: 5.1 Der "technische Staat": Ent-Politisierung der Politik und Ent-Moralisierung der Gesellschaft; 5.2 Verinnerlichung des Arbeitszwanges und Arbeitslosigkeit. Ar­beit als Unterdrückung und Selbstunterdrückung; 5.3 Entqualifizierung von Bedürfnissen und Waren: Bedürfnisbefriedigung als entfremdete Arbeit entindividualisierter Subjekte - Kritik der 'Erlebnisgesellschaft' (G. Schulze); 5.4 Entqualifizierung der äußeren Natur: "Natur im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit" und abstraktes Ich - Kritik der 'Risikogesellschaft' (U. Beck); 5.5 Die "Welt der identischen Fälle": "Grenzen der Aufklärung" und konformistischer Protest - Kritik der Individualisierungsthese.
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.32.372.342 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Gerhard Stapelfeldt: Wirtschaft und Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland. Hamburg: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/4665-wirtschaft-und-gesellschaft-der-bundesrepublik-deutschland_10406, veröffentlicht am 25.06.2007. Buch-Nr.: 10406 Rezension drucken
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