/ 08.12.2016
Frank Decker
Der Irrweg der Volksgesetzgebung. Eine Streitschrift
Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2016; 183 S.; brosch., 16,90 €; ISBN 978-3-8012-0469-3Auf der internationalen Ebene, schreibt Frank Decker, sind „die direktdemokratischen Verfahren seit den 1970er Jahren im Vormarsch“ (171). In einer Zeit, in der die liberale repräsentative Demokratie in vielerlei Hinsicht unter Druck steht, ist es in der Tat an der Zeit, die Frage nach grundlegendem Reformpotenzial zu stellen. Decker geht es in seiner Streitschrift um die Frage, ob sich ein Mehr an Demokratie durch den Ausbau direktdemokratischer Verfahren – wie etwa durch Volksentscheide – erreichen ließe. Deren Erfolgschancen sieht der Autor indes skeptisch: „Der Verfasser ist nämlich überzeugt, dass die Volksgesetzgebung ein unehrliches Versprechen abgibt, das auf der Bundesebene noch weniger einlösbar sein dürfte als in den Ländern. Aus seiner Sicht kann der Weg für eine zielführende Diskussion um geeignete plebiszitäre Verfahren erst dann frei werden, wenn die Forderung nach einer Übernahme der Volksgesetzgebung in das Grundgesetz fällt.“ (7) Was aber heißt das, ‚unehrlich‘? Laut Decker wird direkte Demokratie, die „im engeren Sinne“ (30) dann plebiszitäre Entscheidungsrechte bedeutet, zwar von einer „mehrheitlichen Unterstützung der Bevölkerung“ (42) getragen. Deren im Unterschied zum Repräsentativverfahren unzweifelhaft gegebene höhere Mitwirkung dürfe aber nicht mit mehr Responsivität gleichgesetzt werden. Mit anderen Worten: Der Nachweis dafür, dass direktdemokratische Verfahren den Willen des Souveräns besser abzubilden vermögen, als das bei der Repräsentation des Wählerwillens durch ein Parlament der Fall ist, steht aus. „Ein demokratischer Mehrwert der direkten Demokratie“, so Deckers Zwischenfazit, „ist unter dem Strich also weder normativ noch empirisch begründbar“ (51). Was allerdings ließe sich an Verfahrensalternativen in den Bestand des politischen Institutionengefüges der Bundesrepublik integrieren? Ein relativ großes Potenzial sieht Decker im Instrument des „obligatorischen Verfassungsreferendums“ (161) oder im durch das Parlament auszulösenden „einfachen Referendums“ (162), die beide eine „plebiszitäre Ergänzung des Grundgesetzes“ (175) bedeuten würden. Während das erstgenannte Verfahren eine automatische Befragung über Kernbelange der Verfassungsgesetzgebung brächte, zielt das zweite auf eine politische Zusatzlegitimation – in Form von bloßer Zustimmung oder einer Entscheidung. Gerade bei den einfachen Referenden wird aber deren inhärente Problematik deutlich: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Volksbefragung zu einem Ergebnis führt, das mit dem im parlamentarischen Betrieb erzielten nicht übereinstimmt, ist durchaus gegeben. Eine Systemblockade wäre die Folge. Was Deckers Streitschrift also auf beeindruckende Weise zeigt: Es gibt noch viel Diskussions‑ und Konzeptionsbedarf.
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Rubrizierung: 2.32 | 2.33 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Frank Decker: Der Irrweg der Volksgesetzgebung. Bonn: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/40176-der-irrweg-der-volksgesetzgebung_48058, veröffentlicht am 08.12.2016. Buch-Nr.: 48058 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA