Mediale Parallelwelt. Der Aufstieg des grassierenden Populismus hat eine Ursache
Lange blieb unbeachtet, wie erfolgreich rechtspopulistische Politiker und Parteien sich moderne Technologien zunutze machen. Ihre Politik der Effekte, Symbole und Zuspitzung findet in den sozialen Medien ihr ideales Mittel. Florian Hartleb setzt sich in diesem Standpunkt mit den teils skrupellosen Praktiken und hinterhältigen Mobilisierungsstrategien von Populisten auseinander. Als ein Gegenmittel fordert er von der Politik mehr Aufrichtigkeit: Mitunter schade es nicht, wenn sie „reinen Wein“ einschenke.
Der US-Präsidentschaftswahlkampf von 2016 zeigte deutlich, dass sich durch die Digitalisierung das politische Leben statt in einer Öffentlichkeit in unterschiedlichen Welten abspielt. Die traditionellen Medien haben sich blamiert, hatten sie doch den Kandidaten und jetzigen Präsidenten Donald Trump längst abgeschrieben – mehr noch, ihn nicht für voll genommen, abgewertet. Sie dachten, durch Qualitätsjournalismus, eine Recherche über Fakten, stellt sich die Luftblasenrhetorik quasi von selbst bloß – ein gewaltiger Irrtum, der nicht zu den neuen Anforderungen des politischen Diskurses passt. Die Tektonik von modernen Wahlkämpfen hat sich fundamental verändert, wurde gar erschüttert: Aufmerksamkeit bekommt derjenige, der Skandale am laufenden Band produziert. Glaubwürdigkeit, Nachhaltigkeit und Wertebewusstsein werden dann nachrangig und dringen nicht mehr durch. Über die mitunter unanständigen Twitter-Nachrichten von Trump wurde hingegen ständig in den traditionellen Medien berichtet – als Aufmacher. Lange blieb unbeachtet, wie erfolgreich rechtspopulistische Politiker und Parteien sich moderne Technologien zunutze machen. Ihre Politik der Effekte, Symbole und Zuspitzung findet in den sozialen Medien ihr ideales Mittel. Ein Beispiel ist die „being safe-Funktion“ auf Facebook als Unmittelbar-danach-Handlung, wenn ein Terroranschlag passiert, um die momentane Panikmache jenseits jeglicher statistischen Wahrscheinlichkeit noch einmal zu vergrößern. Der Live-Ticker tut sein Übriges. Europas Rechtspopulisten nutzen die Plattform für Vorverurteilungen, Verdächtigungen und Verlautbarungen. Vor allem können sie hier ihre Politik des „Eliten-Bashing” noch effektiver betreiben. Besonders professionell agiert hierbei die österreichische FPÖ, die eigene Medienkanäle, sogenannte owned media, einsetzt. Über ihre Website und YouTube betreibt sie einen eigenen TV-Kanal.
Freilich gibt es unter den Populisten auch „Medienverweigerer“, zumindest, was das klassische Fernsehformat anbetrifft. Trump, Strache & Co. greifen nach öffentlichen Debatten in den etablierten Medien gerne auch darauf zurück, die Moderatoren offensiv anzugehen und sich in den eigenen Kanälen über deren angebliches Fehlverhalten zu mokieren. Beppe Grillo in Italien etwa ruft dazu auf, keine Zeitungen mehr zu kaufen. Für ihn sind die Journalisten Teil der „Politikerkaste“. In seinem eigenen populären Blog hingegen verbreitet er „Fake-News“. In der Echtzeit der sozialen Medien greifen Populisten wie auch mitunter etablierte Politiker – je nach Ansicht – zum Fauxpas oder kalkulierten Eklat. Jeden Terroranschlag nutzen sie zu einer Generalabrechnung. Donald Trump führte sogar einen erfolgreichen Twitter-Wahlkampf. Schon 2012 twitterte er in seinem ihm eigenen Duktus: „Thanks – many are saying I’m the best 140 character writer in the world. It’s easy when it's fun.” Fest steht: Ein anarchischer, pseudoemanzipatorischer Empörungskosmos hat die geregelte Guckkastenwelt des Fernsehens abgelöst. Der Trump-Wahlkampf via Twitter zeigte das in seinem bisher schärfsten Ausmaß. Politiker, Journalisten, Wissenschaftler und überzeugte Demokraten wirken seltsam ratlos: Zu massiv bestimmen Populisten politische Debatten, trivialisieren und zerstören sie – bei Wahlkämpfen und Wahlen und in der täglichen Arbeit, ob im Parlament, am „Stammtisch” oder im virtuellen Raum. Kein Wunder: Die Mobilisierungsstrategie des Populismus basiert auf Raubrittertum, einer Kultur der Hinterhältigkeit, auf schwer greifbaren und im „Alltagsverstand“ eher latent präsenten Glückserwartungen, dem Bedürfnis nach sozialer Anerkennung und kultureller Identität. Populisten machen sich isolierte Fakten in einer „Dauerbeschallungsgesellschaft” zunutze, konstruieren darin eine Bestätigung ihrer ohnehin feststehenden Meinung. Passen Fakten nicht zum eigenen Weltbild, schieben sie den Medien oder dem politischen Gegner die Schuld in die Schuhe. Populistische Parteien agieren mit einer Politik der Beschwerdeführung, die wenig Skrupel kennt. Gerne setzen sie speziell in Wahlkämpfen ein „Negative-Campaigning“ ein. Die Reizschwelle ist niedrig, moralische Bedenken wirft der Populist über Bord. Der Zweck heiligt die Mittel. Ein einzelnes Beispiel gilt als erweckendes, erkenntnisbringendes „Aha-Erlebnis”, um Missstände zu instrumentalisieren und generalisieren.
Typische, immer wiederkehrende Phrasen der Rechtspopulisten sind etwa:
• Wir sind keine Partei, sondern eine Bewegung!
• Wir sagen die Wahrheit!
• Wir holen uns unser Land zurück, das vom Untergang bedroht ist!
• Wir sorgen für eine neue, korruptionsfreie Republik!
• Wir entsorgen das Land von den „Altparteien“ und kämpfen gegen die „Parteienherrschaft“!
• Wir sind „Volkes Stimme“! Wir vertreten auch die „schweigende Mehrheit“ und die Benachteiligten!
• Der Nationalstaat geht durch Masseneinwanderung und die Regelungswut der „Eurokraten“ unter.
• Unsere Zukunft steht durch Islamisierung auf dem Spiel!
• Der islamistische Terrorismus zerstört unsere Demokratie!
• Wir müssen unser Land vor der Globalisierung schützen!
Mit punktuellen Verbalradikalitäten schafft der Populist einen Gegenpol zur monotonen Statement-Routine des zeitgenössischen Politjargons. Etablierte Politiker greifen oft zu einer Beschwichtigungsrhetorik und Handschüttelmentalität, ignorieren anstehende, eher unangenehme Themen wie die Folgen von Masseneinwanderung, Überalterung und eines Glaubwürdigkeitsverlusts tragender gesellschaftlicher Säulen wie Kirchen oder Vereine. Obwohl sich der Populismus teilweise einer stupiden Rhetorik bedient und gebetsmühlenhaft seine Pauschalurteile wiederholt, machen es ihm daher die Defizite der überdehnten Parteiendemokratie, die in vielen westlichen Demokratien vorherrschen, recht einfach. Hinzu kommt eine Großbürokratie, die in heiklen Fragen klare Aussagen scheut und Berichte über den Dienstweg abschiebt. Insoweit kann der Populismus sogar eine gewisse Korrektiv-Funktion entfalten, wenn er auf strukturelle Veränderungen drängt.
Hier müssen sich etablierte Politiker den Vorwurf machen lassen, auf berechtigte Argumente der Skeptiker im Vorfeld gar nicht eingehen zu wollen. Mitunter schadet es nicht, wenn die Politik „reinen Wein einschenkt”. Dazu zählt, über die kurz- und mittelfristigen Kosten der Integration von Flüchtlingen in Deutschland aufzuklären und vorhandene Ängste in Teilen der Bevölkerung anzuerkennen. Die Menschen haben die große Sorge, dass Deutschland die Herausforderung nicht bewältigt. Auch mittelständische Unternehmer zweifeln daran, dass, ob geringer Qualifikationen und Sprachkenntnisse, eine Integration möglich ist. Überwiegend gilt das als Ausschlusskriterium für feste Jobs, wie Umfragen schon mitten in der Willkommenseuphorie ergeben haben. Ein Wachstum kann dann nur auf Pump erfolgen; Gesellschaft und Politik stehen daher umso mehr vor der Aufgabe, Verteilungskämpfe mit einheimischen Geringverdienern durch Bildungs- und Qualifikationsangebote abzufangen.
Der Beitrag ist die Schlussfolgerung des Autors aus seinem gerade erschienenen politischen Sachbuch „Die Stunde der Populisten. Wie sich unsere Politik trumpetisiert und was wir dagegen tun können“ (Wochenschau-Verlag: Schwalbach/Ts. 2017).
Repräsentation und Parlamentarismus