#Nachgefragt!BTW21 Rückblick und Ausblick. Unsere Kurzinterview-Reihe zur Bundestagswahl in Runde 2.1
Vor der Bundestagswahl baten wir 13 Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler*innen um kurze Statements zu den Themen der Bundestagswahl: Welche Themen werden die Wahl prägen? Welche werden zu kurz kommen? Nach der Bundestagswahl wollten wir erneut die Einschätzung unserer Interviewpartner*innen hören: Ist der Wahlkampf so verlaufen, wie erwartet? Vor welchen Aufgaben sehen sie die Politikwissenschaft in der nächsten Wahlperiode? In Runde 2.1 mit dabei: Anna-Sophie Heinze, Christoph Butterwegge, Claudia Kemfert, Michael Koß und Christiane Fröhlich.
Vor der Bundestagswahl baten wir 13 Politik-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler*innen um kurze Statements zu den Themen der Bundestagswahl: Welche Themen werden die Wahl prägen? Welche werden zu kurz kommen? Nach der Bundestagswahl wollten wir erneut die Einschätzung unserer Interviewpartner*innen hören: Ist der Wahlkampf so verlaufen, wie erwartet? Vor welchen Aufgaben sehen sie die Politikwissenschaft in der nächsten Wahlperiode? Ab dem 25. Oktober 2021 publizieren wir die Antworten der zweiten Runde!
1. Haben die von Ihnen im ersten Interview benannten Themen die erwartete Rolle im Bundestagswahlkampf gespielt?
Ich hatte gesagt, der Umgang mit der Pandemie werde eine zentrale Rolle spielen und der Klimawandel prominentes Thema sein. Ich würde sagen, der Umgang mit der Pandemie hat überraschend wenig Raum eingenommen – es ist ja nicht so, als sei die Pandemie vorbei. Doch der Klimawandel wurde in den vielfältigen Formaten des Wahlkampfs durchaus prominent und regelmäßig diskutiert. Allerdings ist ja immer die Frage, wie konstruktiv und lösungsorientiert in einem Wahlkampf über solche Themen gesprochen werden kann. Statt inhaltlicher Diskussionen und zukunftsweisender Konzepte gab es viele gegenseitige Beschuldigungen, Grabenkämpfe und auch Pseudodiskussionen, zum Beispiel darüber, unter welcher Regierung Autofahren denn nun teurer wird. Spoiler: Unter jeder! Ähnlich gelagert war die Diskussion über einen angeblich drohenden „Linksrutsch“, die leider die Auseinandersetzung über konkrete Ziele und ihre Umsetzung überlagert hat.
2. Was hat dazu beigetragen, dass die Themen (nicht) die Rolle gespielt haben, die Sie erwartet hatten?
Insgesamt spielt die Pandemie im gesamtgesellschaftlichen Diskurs keine so große Rolle mehr. Das ist wohl einer der Gründe, warum sie auch im Wahlkampf weniger Raum eingenommen hat als erwartet. Der Klimawandel ist dagegen ein Dauerthema, das von vielfältigen kritischen Nachfrager*innen dankenswerterweise immer wieder angesprochen wird, sodass sich die verschiedenen Parteien auch im Wahlkampf immer wieder dazu verhalten mussten.
Die Themen, denen ich wenig Aufmerksamkeit vorhergesagt hatte – Rassismus, Antisemitismus und Islamophobie in der deutschen Gesellschaft, Rechtsextremismus, Deutschlands koloniales Erbe – blieben tatsächlich weitgehend unbeachtet. Stattdessen ist eine offen rechtsradikale Partei zum zweiten Mal zweistellig in den Deutschen Bundestag gewählt worden. Eine kritische Auseinandersetzung mit diesen Themen ist daher aus meiner Sicht weiterhin dringend notwendig.
3. Welche Aufgaben sehen Sie für die Politikwissenschaft und die benachbarten Disziplinen in der nächsten Wahlperiode?
Wissenschaft kann eine Grundlage sein für gut informierte, zukunftsorientierte Politik. Ich denke, wir müssen uns als Sozialwissenschaftler*innen weiterhin und noch viel mehr in unserer Arbeit mit den drängendsten Problemen unserer Zeit beschäftigen und unsere Ergebnisse dann auch aus dem Elfenbeinturm heraus in die Gesellschaft tragen. Das kostet Zeit und Kraft, und für die Karriere im Wissenschaftssystem ist es weder unbedingt erforderlich noch in jedem Fall förderlich. Unerlässlich ist es trotzdem.
[W]ir müssen uns als Sozialwissenschaftler*innen weiterhin und noch viel mehr in unserer Arbeit mit den drängendsten Problemen unserer Zeit beschäftigen und unsere Ergebnisse dann auch aus dem Elfenbeinturm heraus in die Gesellschaft tragen. Das kostet Zeit und Kraft, und für die Karriere im Wissenschaftssystem ist es weder unbedingt erforderlich noch in jedem Fall förderlich. Unerlässlich ist es trotzdem.
1. Haben die von Ihnen im ersten Interview benannten Themen die erwartete Rolle im Bundestagswahlkampf gespielt?
Transnationale Fragen haben aus meiner Sicht nicht die zentrale Rolle gespielt, die ich erwartet hatte. Letztlich schien doch für viele Wähler*innen das Ausmaß der Umverteilung, also ein sozioökonomisches Thema, eine mindestens ebenso wichtige Rolle zu spielen.
2. Was hat dazu beigetragen, dass die Themen (nicht) die Rolle gespielt haben, die Sie erwartet hatten?
Ursache dafür scheint mir, dass vielen die eigenen Belange und kurzfristiger Nutzen wichtiger sind als das große Ganze und langfristige Lösungen.
3. Welche Aufgaben sehen Sie für die Politikwissenschaft und die benachbarten Disziplinen in der nächsten Wahlperiode?
Die Politikwissenschaft sollte die nächste Legislaturperiode vor allem aus der Perspektive der Demokratie begleiten. Die Bildung von Mehrheiten muss möglich bleiben, gleichzeitig gilt es einzuschreiten, wenn die in Deutschland unumgänglichen Kompromisse mit dem Verdikt des „Umfallens“ belegt werden.
1. Haben die von Ihnen im ersten Interview benannten Themen die erwartete Rolle im Bundestagswahlkampf gespielt?
Die Themen Klimaschutz und Umsetzung der Maßnahmen haben durchaus eine Rolle gespielt, wenn auch weniger intensiv als von mir vermutet und gewünscht. Es war kein Klima-Wahlkampf.
2. Was hat dazu beigetragen, dass die Themen (nicht) die Rolle gespielt haben, die Sie erwartet hatten?
Zum einen wurden zu wenig Inhalte besprochen und diskutiert. Stattdessen fand eher ein Charakterwahlkampf statt. Zum anderen haben Populisten das Thema Klimaschutz genutzt, um es gleich zu Beginn im Keim zu ersticken. Den Medien ist es nicht genug gelungen, eine ausreichend tiefe Debatte zum Thema zu führen.
3. Welche Aufgaben sehen Sie für die Politikwissenschaft und die benachbarten Disziplinen in der nächsten Wahlperiode?
Die Themen Klimawandel und Klimaschutz aus politikwissenschaftlicher Sicht zu analysieren. Insbesondere da umfassende Klimaschutzmaßnahmen notwendig sein werden, um vereinbarte Ziele zu erreichen. Bisher ist aus politikwissenschaftlicher Sicht zu wenig bekannt, warum es kaum gelingt, die notwendigen politischen Maßnahmen zur Vermeidung des Klimaschutzes und zur Erreichung der Klimaziele umzusetzen.
1. Haben die von Ihnen im ersten Interview benannten Themen die erwartete Rolle im Bundestagswahlkampf gespielt?
Die wichtige Frage, wer die Kosten der Covid-19-Pandemie tragen soll beziehungsweise wie der Staat die dadurch enorm gestiegenen Schulden der öffentlichen Hand tilgen kann, hat im Bundestagswahlkampf nur ganz am Rande eine Rolle gespielt, nämlich dann, wenn es um die Zukunft der „Schuldenbremse“ und der „Schwarzen Null“ ging. Dabei dürften nach Bildung der neuen Bundesregierung verschärfende Verteilungskämpfe das Thema automatisch auf die politische Agenda befördern. Unabhängig davon, welche Parteien und Personen demnächst Regierungsverantwortung tragen, werden sie dem Problem nicht ausweichen können, welche Bevölkerungsgruppen finanziell stärker belastet werden. Dass der Klima-, Umwelt- und Naturschutz trotz des Hochwassers an Erft, Swist und Ahr sowie der Flutkatastrophe im Sommer 2021 keine entscheidende Rolle gespielt hat, lag daran, dass es Bündnis 90/Die Grünen und vor allem ihrer Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock aufgrund mangelnder Erfahrung und Professionalität nicht gelungen ist, sich als ernst zu nehmende Regierungsalternative zu präsentieren.
2. Was hat dazu beigetragen, dass die Themen (nicht) die Rolle gespielt haben, die Sie erwartet hatten?
Zentral dafür waren zweifellos die extrem starke Personalisierung des Wahlkampfes und die von drei TV-Triellen unterstrichene Fokussierung auf die Kanzlerkandidat*innen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Dadurch kam es zur Entpolitisierung des Wahlkampfes, wenn man unter einem „politischen Wahlkampf“ versteht, dass unterschiedliche Parteiprogramme, ideologische Positionen und Zukunftsvisionen seinen Dreh- und Angelpunkt bilden. Dies war in den Wochen vor dem 26. September 2021 aber kaum der Fall. Wie von mir vermutet, wurden soziale Fragen, etwa die wachsende Alters- und die skandalös hohe Kinderarmut, anfangs weitgehend ausgeklammert und erst in der Schlussphase des Wahlkampfes nicht mehr ignoriert.
3. Welche Aufgaben sehen Sie für die Politikwissenschaft und die benachbarten Disziplinen in der nächsten Legislaturperiode?
In der nächsten Legislaturperiode müssen die Politikwissenschaft und ihre Nachbardisziplinen analysieren, inwiefern sich die Polarisierung der Gesellschaft in Arm und Reich fortsetzt und ob die Regierungsverantwortung tragenden Parteien stärker als ihre Vorgänger dem Anspruch gerecht werden, den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Wenn sich die Finanz-, Steuer- und Sozialpolitik der neuen Bundesregierung nicht an diesem Ziel orientiert, wird die Gesellschaft noch stärker auseinanderdriften.
1. Haben die von Ihnen im ersten Interview benannten Themen die erwartete Rolle im Bundestagswahlkampf gespielt?
Ja, wie erwartet haben klima- und umweltpolitische Fragen im Sommer 2021 Corona wieder von Platz 1 der wichtigsten politischen Probleme in Deutschland verdrängt.
2. Was hat dazu beigetragen, dass die Themen (nicht) die Rolle gespielt haben, die Sie erwartet hatten?
Zum einen hat die Corona-Pandemie etwas an Bedeutung verloren, da durch den Impffortschritt und das Infektionsgeschehen zunehmend Lockerungen im öffentlichen Leben möglich waren. Zum anderen hat die Flutkatastrophe in Südwestdeutschland die Dringlichkeit klima- und umweltpolitischer Fragen ein weiteres Mal in aller Vehemenz vor Augen geführt.
3. Welche Aufgaben sehen Sie für die Politikwissenschaft und die benachbarten Disziplinen in der nächsten Wahlperiode?
In meinen Augen müssen wir uns noch stärker mit der Frage beschäftigen, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt und die liberale Demokratie (in Deutschland) gestärkt werden können. Auch wenn es im Moment nicht (mehr) im Fokus steht: Viele Menschen wenden sich von den etablierten Parteien ab und sind unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie. Hier müssen dringend effektive Gegenmaßnahmen erforscht und angewandt werden.
Repräsentation und Parlamentarismus
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