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Rezension / 28.01.2022

Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse

Berlin, Suhrkamp Verlag 2021

Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl diagnostiziere in ihrem Buch „Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse“ die Übernahme neurechter Inhalte im Gewand traditionell-konservativer Parteien, konstatiert Rezensent Oliver Kannenberg. Unter dem Begriff des radikalisierten Konservatismus verstehe sie die „Transformation bestehender konservativer Großparteien“. Dabei konzentriere sie ihre Darstellung auf die USA unter Donald Trump sowie auf Österreich unter Sebastian Kurz. Strobl biete eine ausführliche Analyse der Regierungsführung und Rhetorik von Sebastian Kurz und zeige, dass die Grenze zwischen konservativen Politiker*innen und der Neuen Rechten in Österreich fließend sei.

Der Aufstieg rechtspopulistischer Parteien beschäftigt (in unterschiedlichen Dimensionen) nahezu jedes europäische Land und geht mit einer gesellschaftlichen Polarisierung und Verrohung der politischen Kultur einher. Auch in dem vorpolitischen Raum gewinnen national-identitäre bis rechtsextreme Organisationen an Aufwind. Der wachsende Zuspruch der Wählerinnen und Wähler resultiert zwar aus Verlusten aller Parteien des politischen Spektrums, beschäftigt die konservativen Parteien jedoch noch aus einem weiteren Grund. Wie halten Sie es mit den ideologisch nahestehenden, aber gesellschaftlich weitestgehend verpönten Rechtspopulisten? Verschiedene Strategien von Dämonisierung über Abgrenzung bis hin zur Kooperation wurden europaweit nicht nur diskutiert, sondern auch ausprobiert. Einer besonderen Reaktion widmet sich die Publizistin Natascha Strobl in ihrem Buch „Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse“ und diagnostiziert eine Übernahme neurechter Inhalte im Gewand traditionell-konservativer Parteien.

Die in Wien lebende Politikwissenschaftlerin gilt als profunde Kennerin der Neuen Rechten in Deutschland und Österreich und ist unter anderem für ihre Twitter-Kurzanalysen (#NatsAnalysen) zu diesen Themen bekannt. Den Einstieg in das 150-seitige Werk wählt die Autorin über einige grundlegende Ausführungen zur Entstehung des Konservativismus als Großideologie des 18. beziehungsweise 19. Jahrhunderts sowie der Abgrenzung desselben gegenüber Faschismus und Nationalsozialismus. Darauf aufbauend werden Wesensmerkmale der Neuen Rechten, ihre Ursprünge in Frankreich und die inhaltlichen Rückgriffe auf Antonio Gramsci sowie die konservative Revolution der Zwischenkriegszeit erläutert. Diese einführenden Bemerkungen sind insgesamt sehr knapp gehalten, reichen aber als Fundament für die darauf aufbauende Analyse aus.

Was ist also dieser radikalisierte Konservatismus? Strobl versteht darunter die „Transformation bestehender konservativer Großparteien“ (30). Diese kündigen im Zuge der Transformation den seit Jahrzehnten bestehenden Nachkriegskonsens mit ihren (sozial-)demokratischen Konterparts auf. Dabei handeln die Parteien nicht mehr als Summe der einzelnen Mitglieder. Vielmehr steuert ein kleiner Führungskreis, stark hierarchisch um den (überwiegend männlichen) Vorsitzenden geordnet, die Geschicke der Partei und bedient sich dabei der zur Genüge verfügbaren Ressourcen. Strobl widerspricht der These der Kaperung von außen, die hinsichtlich der Republikanischen Partei unter Donald Trump durchaus gängig ist: „Konservative Parteien werden nicht von außen übernommen, sondern Tendenzen innerhalb dieser verstärken sich“ (33). Es bleibt die Frage nach der Ideologie des radikalen Konservatismus. Im Mittelpunkt stehe „die Betonung der Differenz“, die als Leitlinie der gesellschaftlichen Polarisierung diene. Damit würden „die Feindbilder der traditionellen extremen Rechten mit jenen des Neoliberalismus“ (56) kombiniert.

Den Kern des Buches, die Analyse des radikalisierten Konservatismus unter Donald Trump und Sebastian Kurz, die auf den ersten Blick doch zwei völlig unterschiedliche Charaktere sind, erfolgt in sechs Schritten. Der Bruch mit informellen und formalen Regeln (1) gehört dabei Strobl zufolge ebenso in das Repertoire des radikalisierten Konservatismus wie eine übersteigerte Polarisierung (2) und die Konzentration auf ihre Führungsperson (3). Auch Kurz‘ Attacken gegen die Korruptionsstaatsanwaltschaft oder die im Falle Trumps tatsächlich physischen Übergriffe seiner Anhängerinnen und Anhänger beim Sturm auf das Kapitol vor nunmehr einem Jahr bettet die Autorin in ihre Analyse unter dem Punkt „Angriff auf demokratische Institutionen“ (4) ein. Zudem spielt natürlich auch die mediale Inszenierung (5) in Kombination mit dem Schaffen von Parallelrealitäten (6) beziehungsweise „alternativer Fakten“, wie es die ehemalige Trump-Beraterin Kellyanne Conway selbst ausdrückte, eine entscheidende Rolle. Beide Aspekte sind eng miteinander verzahnt. Die eigene Sichtweise wird bevorzugt über die wohlgesonnenen Medienhäuser immer und immer wieder verlautbart. So kann der Inhalt noch so abstrus und abwegig sein, er verfängt und erweitert so das Spektrum (scheinbar) legitimer Meinungen.

Die gesamte Analyse konzentriert sich im Wesentlichen auf den radikalisierten Konservatismus in den USA und Österreich. Einerseits zeigt der gewählte Vergleich zwischen Trump und Kurz, dass der radikalisierte Konservatismus nicht nur wie der Elefant im Porzellanladen auftritt, sondern eben auch in Form des wohlartikulierten, jungen Vorzeige-Konservativen aus dem Wiener Bürgertum. Letzteres könnte sogar die gefährlichere Erscheinungsform für den Bestand liberaler Demokratien sein, wirken die Beispiele aus Kurz‘ ÖVP gegen die zahlreichen übergroßen Absurditäten der Trump‘schen Präsidentschaft beinahe wie Bagatellen, die sie natürlich keineswegs sind. Grundsätzlich werden jedoch, auch aufgrund der eher essayistischen Form, strukturelle Unterschiede im politischen System (präsidentielles Regierungssystem in den USA gegenüber dem parlamentarischen in Österreich) oder dem grundsätzlichen Organisationsaufbau der Parteien (Wahlparteien in den USA gegenüber Mitgliederparteien in Österreich) außer Acht gelassen. Lediglich an sehr wenigen Stellen sind Verweise zu weiteren konservativen Politikern wie zum Beispiel Boris Johnson zu finden. Dieses Vorgehen hinterlässt unweigerlich die Frage, inwiefern auch andere Länder von einem radikalisierten Konservatismus betroffen sind.

Der im Ausblick angestellte Vergleich mit der Weimarer Republik wurde zwar bereits vielfach bemüht, wird dadurch jedoch nicht zutreffender. Zu unterschiedlich sind politische Systeme und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Zu stark ist die Überzeugung von den Vorzügen der parlamentarischen Demokratie in der Gesellschaft verankert. Dennoch sollte keineswegs die Gefahr einer Verharmlosung der Neuen Rechten im Allgemeinen und einer konservativen Annäherung an deren Akteure und Inhalte im Speziellen unterschätzt werden. Diesbezüglich macht Strobl den vielleicht wichtigsten Punkt, wenn sie auf die Gefahren von extremem Gedankengut in einer etablierten, staatstragenden Partei hinweist: „Die Akteur:innen des radikalisierten Konservatismus bringen das Spielfeld zum Kippen“ (149).

Insgesamt punktet Strobls Buch mit der sehr kenntnisreichen Analyse der Regierungsführung und Rhetorik des inzwischen Ex-Bundeskanzlers Sebastian Kurz sowie dem Aufzeigen einer fließenden Grenze zwischen konservativen Politikerinnen und Politikern und der Neuen Rechten in Österreich. An eben diesen Stellen wird die jahrelange Beschäftigung der Autorin mit der Materie deutlich.

Doch es gibt auch Punkte in diesem Buch, die kritisch zu beurteilen sind. So erwartet man nach den ersten Schritten in Strobls Analyseteil beinahe sehnsüchtig eine Auseinandersetzung mit dem Populismus-Begriff. Ist Populismus ein fester Bestandteil des radikalisierten Konservatismus? Gibt es trennende Elemente oder könnte Rechtspopulismus gar synonym verwendet werden? Ist der radikalisierte Konservatismus vielleicht eine von zahlreichen Spielarten des Rechtspopulismus? Diesem Wunsch kommt Strobl leider ebenso wenig nach wie einer klaren Trennung der eigenen Analysekategorien, was sich nicht zuletzt an der einen oder anderen Wiederholung zeigt. So bekommt die geneigte Leserin beziehungsweise der geneigte Leser nach der Lektüre zwar in Summe eine Ahnung, wie sich konservative Parteien von Einzelpersonen instrumentalisieren und radikalisieren lassen, jedoch bleibt offen, was genau „der“ radikalisierte Konservatismus ist. Vielmehr werden zwei Varianten eines Konservatismus, der sich eindeutig radikalisiert hat, beschrieben. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass eine trennscharfe Abgrenzung und Definition womöglich nie das Anliegen der Autorin war. Ist man sich dieser inhaltlichen Einschränkung bewusst, bietet Strobls Werk durchaus kurzweilige Unterhaltung.

CC-BY-NC-SA
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Externe Veröffentlichungen

Natascha Strobl / 14. 10.2021

Beiseitegetreten

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Julian Nida-Rümelin / 09.03.2020

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