/ 03.06.2013
Ralf Stettner
"Archipel GULag": Stalins Zwangslager - Terrorinstrument und Wirtschaftsgigant. Entstehung, Organisation und Funktion des sowjetischen Lagersystems 1928 - 1956
Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 1996; 448 S.; 68,- DM; ISBN 3-506-78754-3Vergangenheitsbewältigung, in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs ständiges Thema, ist in Rußland noch immer kein Thema: Die Archive, denen genauere Informationen über das sowjetische Lagersystem zu entnehmen wären, sind weiterhin unter Verschluß, ein Teil der Akten wurde nach dem Ende der Sowjetunion vernichtet. So ist der Autor der vorliegenden Untersuchung auf möglicherweise geschönte, von den wenigen Wissenschaftlern mit privilegiertem Zugang ausgewertete Primärquellen angewiesen. Sekundärquellen wie z. B. Häftlingsberichte und -befragungen dienen der Kontrolle und Ergänzung. Obwohl bereits von Lenin inauguriert, wurde das sowjetische Lagersystem, so Stettners Ausgangsthese, doch erst unter Stalin entscheidender Wirtschaftsfaktor. Den GULag als Terrorinstrument und Wirtschaftssystem auszuweisen, ist das Anliegen, das Stettner mit seinem "ersten Versuch einer Organisationsgeschichte des GULag" (19) verfolgt.
Teil A seiner Arbeit behandelt Voraussetzungen und Rahmenbedingungen des GULag, das heißt die Entwicklung der verschiedenen Lagerarten sowie deren rechtliche, ökonomische und politische Grundlagen. Teil B befaßt sich mit der Organisation des sowjetischen Lagersystems - dem inneren Aufbau, aber auch dem Alltag der Häftlinge. In Teil C bilanziert Stettner seine Ergebnisse unter den beiden Aspekten der Herrschaftssicherungs- und der Wirtschaftsfunktion des GULag.
So vorläufig die Resultate dieses Buches in Anbetracht der unbefriedigenden Quellenlage auch sein mögen - daß die schonungslose Auseinandersetzung mit dem sowjetischen System der Zwangsarbeiterlager und der bereits von Trotzki 1918 mit Regimegegnern beschickten Konzentrationslager überfällig ist, sollte langsam nicht nur der russischen, sondern auch der westlichen Intelligenzija klar sein, die allzulange über dem berechtigten Entsetzen angesichts der nationalsozialistischen Greuel das Erschrecken vor dem sowjetischen Vernichtungswillen, der sich in den Lagern dokumentierte, vergaß.
Barbara Zehnpfennnig (BZ)
Prof. Dr., Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 2.62 | 2.25 | 2.21
Empfohlene Zitierweise: Barbara Zehnpfennnig, Rezension zu: Ralf Stettner: "Archipel GULag": Stalins Zwangslager - Terrorinstrument und Wirtschaftsgigant. Paderborn u. a.: 1996, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/2976-archipel-gulag-stalins-zwangslager---terrorinstrument-und-wirtschaftsgigant_3896, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 3896
Rezension drucken
Prof. Dr., Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
CC-BY-NC-SA