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/ 31.05.2013
Ion Iliescu

Aufbruch nach Europa. Rumänien - Revolution und Reform 1989 bis 1994

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 1995; 324 S.; 48,- DM; ISBN 3-412-03495-9
Spätestens seit Bertolt Brecht ist bekannt, daß ein Gespräch über Bäume das Schweigen über Untaten einschließen kann. Iliescu, seit 1990 Staatspräsident Rumäniens, tritt den Beweis an, daß Ähnliches auch für ein Buch über Revolution und Reform (so der Titel der Originalausgabe) in Rumänien gelten kann. Iliescus Bekenntnis zur Demokratie, sein Plädoyer für eine sozial abgefederte Marktwirtschaft und sein engagiertes Eintreten für eine Reintegration Rumäniens in Zentraleuropa dürften breite Zustimmung auch in der westlichen Welt finden. Dennoch ist Iliescus "politische Meditation" (7) über weite Strecken problematisch. So bleibt etwa seine eigene Rolle in den entscheidenden Tagen des Sturzes Ceausescus nebulös. Ereignisse wie die rumänisch-ungarischen Auseinandersetzungen in Tîrgu Mure im März 1990, der Einsatz der Bergarbeiter gegen Demonstranten auf dem Bukarester Universitätsplatz im Juni desselben Jahres und der Sturz des Premiers und Antipoden Iliescus, Petre Roman, 1991 erfahren eine einseitige und verzerrende Darstellung. Alles das Bild des erfahrenen, moderaten Staatsmanns Iliescu Störende wird systematisch ausgeblendet. Unerwähnt bleiben auch die zeitweilige Regierungsbeteiligung ultranationalistischer Parteien und die fortdauernde Diskriminierung der ungarischen Minderheit in einzelnen Bereichen, die Zweifel am Realitätsgehalt der von Iliescu propagierten liberalen Minderheitenpolitik aufkommen lassen. Bei aller Distanzierung zum ancien régime bleibt Iliescu doch Kind seiner Epoche. Sein Erfolg beruht vielleicht gerade darauf, daß er nach der blutigen Revolution statt für eine radikale Zäsur für die allmähliche Transition eingetreten ist und sich als Garant für (partielle) Kontinuität und - eine seiner Lieblingsvokabeln - Sicherheit präsentiert hat. Gerade wegen seiner "Repräsentativität" für das Rumänien der "unvollendeten Revolution" (Gabanyi) wäre es interessant gewesen, mehr über seine Person und sein politisches Wirken zu erfahren. Gerade das aber leistet sein Buch ebensowenig wie es den Anspruch einlöst, "zur Klärung mancher Augenblicke der Geschichte" (7) beizutragen.
Michael Edinger (ME)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Sonderforschungsbereich 580, Universität Jena (www.uni-jena/svw/powi/sys/edinger.html).
Rubrizierung: 2.622.22.212.22 Empfohlene Zitierweise: Michael Edinger, Rezension zu: Ion Iliescu: Aufbruch nach Europa. Köln/Weimar/Wien: 1995, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/482-aufbruch-nach-europa_241, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 241 Rezension drucken
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