Autoritärer Fortschritt. Wie ist auf Chinas wachsenden politischen Einfluss in Europa zu reagieren?
Zu den Standardaussagen der KPCh gehört, man wolle anderen Ländern nicht das eigene politische System aufdrängen. Zwar propagieren die Funktionäre, anders als zu Maos Zeiten, tatsächlich nirgends jenseits der eigenen Grenzen die Übernahme eines marxistisch-leninistischen Einparteiensystems; doch es mehren sich Indizien, dass sie an einer globalen Stärkung autoritär-illiberaler Strukturen arbeiten. Die Institute GPPI und MERICS legen gemeinsam mit „Authoritarian Advance“ eine sorgfältig recherchierte Untersuchung über die Einflussnahme chinesischer Staats- und Parteiakteure in Europa vor.
Thorsten Benner/Jan Gaspers/Mareike Ohlberg/Lucrezia Pogetti/Kristin Shi-Kupfer: Authoritarian Advance. Responding to China’s Growing Political Influence in Europe. Berlin: Global Public Policy Institute (GPPI) und Mercator Institute for China Studies (MERICS), Februar 2018.
Zu den Standardaussagen von Chinas Führung gehört, man wolle anderen Ländern nicht das eigene politische System aufdrängen und hebe sich damit positiv vom westlich-liberalen Missionseifer ab. Zwar propagieren chinesische Funktionäre, anders als zu Maos Zeiten, nirgends jenseits der eigenen Grenzen die Übernahme eines marxistisch-leninistischen Einparteiensystems; doch es mehren sich Indizien, dass die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) an einer globalen Stärkung autoritär-illiberaler Strukturen arbeitet. Die beiden in Berlin beheimateten Institute GPPI und MERICS haben mit ihrem gemeinsamen Papier „Authoritarian Advance“ eine sorgfältig recherchierte Untersuchung über die Einflussnahme chinesischer Staats- und Parteiakteure in Europa vorgelegt. Der Ton ist ernst, aber nicht alarmistisch. Die Autoren empfehlen den EU-Staaten entschiedene Gegenmaßnahmen.
Der Befund der Studie lautet: Der zunehmende Einfluss der chinesischen Regenten und ihr selbstbewusstes Werben für das eigene, autoritäre Modell stellen die Interessen und die liberal-demokratischen Werte der Europäischen Union vor erhebliche Herausforderungen – in einer Zeit, in der Liberalismus und westliche Gemeinsamkeiten ohnehin stark unter Druck geraten sind. Im Vergleich zu den medial vielbeachteten Einflussversuchen von Putins Russland verfügten die Mächtigen Chinas über umfassendere Ressourcen und vielseitigere Instrumente. Anders als Moskau versuche Beijing nicht, disruptiv zu wirken und populistische Stimmungen anzufachen, sondern arbeitete unauffälliger, aber gründlicher an einem langfristigen Einflussgewinn in Europa.
Das Vorgehen der Staats- und Parteispitze Chinas speise sich aus einem defensiven und einem offensiven Motiv: Zum einen werde das Machtmonopol im eigenen Land durch Entlastung von äußerem Druck stabilisiert; zum anderen solle das eigene Ordnungs- und Modernisierungsmodell als Alternative zur liberal-demokratischen Regierungsweise popularisiert werden. Im Gegensatz zu den destruktiven Absichten des Putin-Zirkels wünsche Peking zwar durchaus eine stabile und wirtschaftlich intakte EU, jedoch solle diese nicht zu einer kraftvollen Werte- und Interessenpolitik fähig sein und aus transatlantischen Bindungen gelöst werden. In der Gegenwart scheinen die Aussichten für dieses Vorhaben vergleichsweise günstig.
Die Einflussnahme schreite in drei europäischen Arenen voran: Erstens bei Eliten aus Politik und Wirtschaft; zweitens in den Medien; drittens in Universitäten und anderen akademischen Foren. Seit der großen Finanzkrise von 2008 hat die Volksrepublik bekanntermaßen auch in Europa viel investiert und akquiriert. Seit 2012 trifft sich die chinesische Regierung jährlich auf den sogenannten 16+1-Gipfeln mit den Regierungschefs aus 16 mittel- und osteuropäischen Staaten. Chinas Projekt einer „neuen Seidenstraße“ lässt europäische Regierungen auf weitere milliardenschwere Investitionen hoffen, um die offensiv geworben wird. All dies, so die Verfasser, schaffe Beijing politisches Kapital und Hebel, um eine einheitliche europäische Haltung zu unterminieren, wenn sie nicht im Interesse der chinesischen Offiziellen liege. In den Ländern Süd- und Osteuropas seien diese Entwicklungen am weitesten gediehen: So hätten die ungarische und die griechische Regierung wiederholt die kritische Erwähnung Chinas in gemeinsamen Erklärungen der EU-Mitgliedstaaten verhindert, in denen es um Menschenrechte oder um die Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer ging. Chinas Staats- und Parteiführung versuche, über persönliche Kontakte und Personalpolitik kritische Stimmen im Regierungs- und Verwaltungsapparat anderer Staaten zu marginalisieren und wohlwollende Kräfte zu fördern; den Autoren zufolge sei dieser personelle Einfluss in Tschechien am stärksten ausgeprägt. Auch mehrere ehemalige Spitzenpolitiker aus Westeuropa seien mittlerweile als Lobbyisten für chinesische (Wirtschafts-)Interessen tätig: Die Studie nennt den früheren französischen Premierminister Jean-Pierre Raffarin, die britischen Ex-Premiers Gordon Brown und David Cameron sowie den früheren deutschen Vizekanzler Philipp Rösler.
Jenseits materieller Interessen seien unterschiedliche Gruppen in Europa aus ideologischen Gründen näher an die Volksrepublik gerückt: Anklang finde die Ablehnung eines auf der Freiheit des Individuums gründenden Universalismus, dem der Vorrang des Nationalen als (eigentlich paradoxer) Gegen-Universalismus entgegengehalten werde. Zu den Politikern, die sich auf von der KPC gesponserten Veranstaltungen nahezu wörtlich der Rhetorik aus Beijing bedienten, gehören sowohl Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orbán als auch Tschechiens Kommunistenführer und stellvertretender Parlamentspräsident Vojtěch Filip. In Deutschland sind Kontakte chinesischer Diplomaten zur AfD dokumentiert. Der in der Studie erwähnte Umstand, dass die skurrile Kleinstpartei „Bürgerrechtsbewegung Solidarität“ zu den Ansprechpartnern des offiziellen Chinas gehört, spricht allerdings dagegen, dass bereits große Geländegewinne in der deutschen Parteienlandschaft stattgefunden haben.
Die zweite Arena des von MERICS und GPP beschriebenen „Vormarschs“ seien die europäischen Medien. Hier versuche der chinesische Einparteienstaat, positivere Darstellungen der Volksrepublik unterzubringen und werbe für einen „konstruktiven“ statt kritischen Journalismus: Nach dieser Vorstellung sei es nicht Aufgabe der Medien, die Mächtigen zu kontrollieren und sie gegebenenfalls zu kritisieren, sondern mit ihnen zu kooperieren. Seit 2011 haben mehrere europäische Zeitungen, darunter die Süddeutsche Zeitung und das Handelsblatt, die bezahlte Beilage China Watch in ihre Blätter aufgenommen. China Watch ist ein Produkt der staatlichen Zeitung China Daily (Zhōngguó Rìbào) und veröffentlicht nach eigener Aussage „stories about contemporary China’s dynamic development.“ Wenngleich die gegenwärtige europäische Medienlandschaft noch weit von einem „konstruktiven Journalismus“ nach dem Geschmack der KPC-Spitze entfernt sei, gelte es zu bedenken, dass die angespannte Finanzlage vor allem des seriösen Printjournalismus in Zukunft zum Einfallstor für Zuwendungen aus China werden könnte.
Die dritte von den Autoren berücksichtige Arena sind Universitäten und Thinktanks. Die Staats- und Parteiführung würde gerne steuern und kontrollieren, wie im Ausland über China geforscht, gelehrt und gedacht werde. Zu diesem Zweck investiere sie in den Ausbau von ihr gewogenen Denkfabriken und Dialogforen wie dem China-CEEC Think Tanks Network, das mittel- und osteuropäische Institute und Hochschulen mit dem chinesischen Staats- und Parteiapparat verbindet. Als weitere Instrumente stehen ihr in Europa über 160 Konfuzius-Institute und die Chinese Students and Scholars Association (CSSA) mit über 300 europäischen Ablegern zur Verfügung, davon 56 in Deutschland. Die Haupttätigkeit der CSSA ist, im Ausland studierende Chinesen zu unterstützen. In Großbritannien sind Fälle bekannt geworden, in denen die chinesische Botschaft in London die jeweilige CSSA-Gruppe vor Ort eingeschaltet hat, um gegen universitäre Debatten zur Menschenrechtslage in China oder zur politischen Lage Hongkongs zu protestieren. Wenngleich die CSSA in Europa bisher kaum politisches Profil zeigen, gehen die Autoren davon aus, dass das amtliche China in Zukunft zunehmend chinesische Studiernde dafür instrumentalisieren werde, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Wie auch bei den europäischen Medien sei nicht auszuschließen, dass europäische Universitäten aufgrund ihrer schwierigen finanziellen Lage empfänglich für Angebote aus dem Reich der Mitte werden könnten, mit denen materielle Zuwendung Selbstzensur und Werteexport im Sinne der KPC erkaufen würde. Jüngere Entwicklungen in Australien dienen der Studie als warnendes Beispiel.
Die Autoren raten den EU-Staaten, die Abwehr illiberaler Einflussversuche aus der Volksrepublik zur Priorität zu machen. Das Handeln sei vor allem dann erfolgversprechend, wenn das gemeinsame Gewicht der Europäischen Union in die Waagschale geworfen werde. Kritisiert werden in diesem Zusammenhang die privilegierten bilateralen Beziehungen Deutschlands und Frankreichs zu China, die einer gemeinsamen EU-Position im Einzelfall bereits zuwidergelaufen seien. Zu den empfohlenen Gegenmaßnamen zählen: Die in Europa klaffenden Informations- und Wissenslücken sollten durch die Förderung von hochkarätiger und von Peking unabhängiger China-Expertise geschlossen werden sowie Zuwendungen an Parteien von außerhalb der EU verboten werden; es gelte, sorgfältige politische Prüfmechanismen für Investitionen zu entwickeln, um gezielte Übernahmen von systemisch wichtiger Infrastruktur zu verhindern. Die Autoren dürften begrüßen, dass die Bundesregierung im Juli 2018 aus sicherheitspolitischen Gründen die Beteiligung eines chinesischen Staatsunternehmens bei einem deutschen Stromnetzbetreiber verhindert hat. Die Verfasser betonen zudem, dass die Europäer aus berechtigter Sorge nicht ihrerseits zu illiberalen Maßnahmen greifen dürften. Ein kapitaler Fehler wäre es etwa, chinesischen Bürgern in Europa generell mit Misstrauen zu begegnen und damit unbeabsichtigt das von Beijing vertretene Narrativ eines heuchlerischen Westens zu bestätigten.
Die Studie hat mittlerweile sowohl in den USA als auch in China Resonanz gefunden: Der renommierte Sino-Politologe Andrew Nathan (Columbia University) hat sie in Foreign Affairs als „bahnbrechend“ bezeichnet. Die in Beijing erscheinende Global Times, die zum Verlag des KP-Zentralorgans Rénmín Rìbào gehört, hat den – vermeintlichen – Tenor der Untersuchung unter der Überschrift „Misguided academics promote China-EU confrontation“ zurückgewiesen.
Letztgenannter Titel ist eines der vielen Beispiele für sprachliche Kniffe offizieller Kommunikationspolitik: Zur Rhetorik der Mächtigen in Beijing, im Westen oft unhinterfragt und unbedacht übernommen, gehört die umstandslose Ineinssetzung von Sprachregelungen der KP mit der Perspektive Chinas, als spreche hier ein Kollektivindividuum mit einer Stimme über seine Sicht der Dinge. Ein sich derart unproblematisch einstellender Gleichklang scheint in einem so vielfältigen, komplexen Land wie China aber sehr fraglich.
Doch in der internationalen Politik zählt nicht nur komplexe Realität, sondern auch – offenbar mit zunehmender Tendenz – deren diskursive Vereinfachung bis hin zu reinen Phantasieprodukten. Es sollte nicht unterschätzt werden, dass das „Modell China“ die Phantasien identitärer, illiberaler und populistischer Kräfte anregt sowie für eine diffuse „Der-Westen-ist-am-Ende“-Stimmung eine plausible Systemalternative bereitstellt, in der die Quadratur des Kreises scheinbar gelungen ist: Von oben gesteuerte Modernität ohne Liberalität sowie Prosperität ohne Kontrollverlust. Einstweilen besteht eine solche Alternative freilich nur in der Vorstellungswelt. Neben vielen anderen offenen Fragen darf bezweifelt werden, dass Chinas Weg imitierbar ist. Die unbestreitbaren Erfolge Pekings der vergangenen 40 Jahre verdanken sich sehr spezifischen Voraussetzungen, nicht zuletzt der Größe und geografischen Lage Chinas, und zudem einer von Populisten in Frage gestellten fruchtbaren Umwelt: einer regelbasierten und offenen Weltwirtschaft, in der die Vereinigten Staaten eine führende Rolle eingenommen haben.
Erstveröffentlichung der Rezenion in:
SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Band 2, Heft 4, Seiten 418–420, ISSN (Online) 2510-2648, ISSN (Print) 2510-263X, DOI: https://doi.org/10.1515/sirius-2018-4019
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