/ 12.06.2013

Birte Wassenberg / Frédéric Clavert / Philippe Hamman (Hrsg.)
Contre l' Europe? Anti-européisme, euroscepticisme et alter-européisme dans la construction européenne de 1945 à nos jours (Volume 1): les concepts
Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011 (Studien zur Geschichte der Europäischen Integration 11); 498 S.; 56,- €; ISBN 978-3-515-09784-0Der durchgängig dreisprachige Band (französisch, englisch, deutsch), dessen Haupttitel glücklicherweise noch mit einem Fragezeichen versehen ist, erscheint in einer Zeit, in der das europäische Integrationsmodell nach dem Motto „in varietate concordia“ kaum noch zu retten zu sein scheint. Zu tief sind die Zerwürfnisse, wie sie sich angesichts der Euro-Krise offenbaren, als dass die ohnehin nur schwach ausgeprägte politische Dimension der europäischen Integration über all diese Konflikte einfach so hinwegzugehen vermag. Anti-Europäismus, so die zentrale These, von der die Beiträge des Bandes getragen werden, ist jedoch kein neues, etwa 2005 anlässlich der negativen Referenden zum EU-Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden entstandenes Phänomen. Seine Wurzeln reichen weiter zurück, bis in die Zwischenkriegszeit des 20. Jahrhunderts. So entsteht das Bild eines Spannungsfelds zwischen Integrationsbefürwortern und ihren Gegnern, in dem die jeweilige Meinungsführerschaft stark fluktuiert. Die Gründe und Grade der Ablehnung einer nicht nur ökonomisch, sondern auch politisch tragfähigen Einigung Europas sind, wie Marie-Thérèse Bitsch in der Einleitung des Bandes betont, vielfältig und unterschiedlich stark ausgeprägt – manche rational einsichtigen Argumente, wie etwa das einer immer noch mangelhaften demokratischen Legitimität des europäischen Projekts stehen neben unterschiedlichen Dimensionen von Angst - Angst vor Konkurrenz, Veränderung, Angst vor dem Unbekannten oder einer radikalen Liberalisierung des Marktes, noch verstärkt durch national verankerte „Furcht und Groll, Missverständnisse und Enttäuschungen“ (25). Anti-Europäismus erweist sich als ein politisches Phänomen, das so vielschichtig ist, wie die Europäische Union selbst. Mit Blick auf das, was trotz der hier nur kurz skizzierten Widerstände gegen ein europäisches Einigungsprojekt (das im Kern eben nicht bloß ein ökonomisches, sondern ein Friedensprojekt gewesen ist) erreicht worden ist zeigt sich, dass Beschränkungen im Denken über das politisch Mögliche sich nur zu oft als unhaltbar erwiesen haben. Und wem Europa zu kompliziert erscheint, so hat Jean-Claude Juncker einmal trefflich bemerkt, der solle einmal die Soldatenfriedhöfe in Nordfrankreich besuchen. Europa – und der Umgang mit Anti-Europäismus sowie Euroskeptizismus – bleibt eine Aufgabe. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 3.1 | 3.4 | 2.22 | 2.61 | 2.63
Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Birte Wassenberg / Frédéric Clavert / Philippe Hamman (Hrsg.): Contre l' Europe? Anti-européisme, euroscepticisme et alter-européisme dans la construction européenne de 1945 à nos jours (Volume 1): les concepts Stuttgart: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/14491-contre-l-europe-anti-europisme-euroscepticisme-et-alter-europisme-dans-la-construction-europenne-de-1945--nos-jours-volume-1-les-concepts_40538, veröffentlicht am 16.06.2011.
Buch-Nr.: 40538
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Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
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