Den Trumpismus verstehen: Die Außenpolitik des neuen amerikanischen Präsidenten
Jack Thompson fragt nach den außenpolitischen Prioritäten der Trump-Administration. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass der neue US-Präsident keine strategische Leitvision hat, abgesehen von der vagen Überzeugung, dass die liberale Weltordnung den Vereinigten Staaten nicht nützt.
„Amerika zuerst“ ist das Schlagwort, mit dem Donald Trump selbst seine Außenpolitik beschreibt. Es erinnert an das Kredo einiger konservativer Nationalisten vor dem Kalten Krieg, die an die Vereinigten Staaten appellierten, sich nicht in die Probleme Europas und Ostasiens hineinziehen zu lassen und sich auf ihre nationalen Interessen zu konzentrieren. In gewisser Weise ist „Amerika zuerst“ ein passendes Schlagwort für die Ziele Trumps. Er hat (wenn auch nicht konsequent) die Bedeutung der North Atlantic Treaty Organization (NATO) und von Bündnissen mit Japan und Südkorea heruntergespielt. Auch die liberale Weltordnung hat er scharf kritisiert. Nach Ansicht Trumps ist das Netzwerk von Sicherheitsbündnissen, Freihandelsabkommen und internationalen Organisationen, das die Vereinigten Staaten seit Beginn der Epoche des Kalten Kriegs aufbauten, gut für andere Länder und für Mitglieder der globalistischen Elite, schlecht dagegen für viele Amerikaner – insbesondere amerikanische Arbeiter.
Insgesamt aber sind die historischen Parallelen von „Amerika zuerst“ eher irreführend als erhellend. Das hängt damit zusammen, dass ungeachtet aller oberflächlichen Ähnlichkeiten mit den dreißiger und frühen vierziger Jahren die Rahmenbedingungen von Trumps Amtszeit ganz andere sind. Die Vereinigten Staaten sind keine aufstrebende Weltmacht, die sich aufgrund ihrer geografischen Isolation aus den Konflikten Eurasiens heraushalten könnte, wie es Politiker glaubhaft (wenn auch nicht unbedingt zutreffend) vor dem Zweiten Weltkrieg behaupten konnten. Vielmehr sind sie eine Supermacht, die im Verhältnis zu aufsteigenden Mächten wie China oder wiederauflebenden Mächten wie Russland in allmählichem Niedergang begriffen ist. Auch Zeit und Raum sind dramatisch eingeschrumpft, sodass sich Probleme und Bedrohungen überall auf der Welt innerhalb von Minuten oder auch augenblicklich auf die Vereinigten Staaten auswirken können. Selbst der Mythos von der Festung Amerika lässt sich nicht länger aufrechterhalten.
Auch kulturelle und ökonomische Ressentiments funktionieren in den zeitgenössischen Vereinigten Staaten anders. Während in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre ein Großteil der Bevölkerung massive Wohlstandsverluste erlitt – die Arbeitslosigkeit erreichte 25 Prozent und blieb während der gesamten Dauer der Krise zweistellig – sind diese heute begrenzter. Gewisse Regionen und bestimmte Bevölkerungsgruppen stehen heute ökonomisch deutlich schlechter da, und die Löhne der meisten Amerikaner haben stagniert. Andererseits haben viele Gemeinden von der Globalisierung profitiert, und diese hat mehr Rückhalt in der Bevölkerung, als es viele Kommentatoren oftmals wahrhaben wollen. Wissenschaftler sind sich uneins in der Frage, in welchem Ausmaß diese Wohlstandsverluste dazu beigetragen haben, dass unverhohlener Rassismus und ein aggressiver Nativismus unter kulturell konservativen Weißen wiedererstarkt sind, aber diese Debatte ist in gewisser Weise irrelevant. Entscheidend ist, dass viele Amerikaner wütend und fest davon überzeugt sind, dass Politiker sich nicht für ihre Belange interessieren. Das bietet einem Politiker neuen Typs unverhoffte Chancen, und es stellt einen Bruch mit der traditionellen Staatskunst dar.
Ungeachtet der nahezu einhelligen Verurteilung durch liberale Intellektuelle hat der Wahnsinn des Donald J. Trump in der Außenpolitik doch Methode. Anders als alle US-Präsidenten seit Harry Truman tritt er dabei selbstverständlich nicht als Führer der freien Welt auf. Doch wenn man nur genau genug hinsieht, ergibt „Amerika zuerst“ zumindest aus Trumps Perspektive eine Art perversen Sinn. Um dies zu verstehen, müssen wir drei Faktoren betrachten: die Eigenart und den Ursprung der Weltanschauung des Präsidenten, den politischen Kontext, in dem diese entstanden ist, und seine vorrangigen Ziele für die nächsten Jahren. Erst dann können wir beginnen, die wahrscheinlichen Konsequenzen der Politik des Präsidenten zu ermessen.
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Der vollständige Beitrag ist erschienen in Sirius – Zeitschrift für Strategische Analysen, Heft 2 / 2017: https://www.degruyter.com/view/j/sirius.2017.1.issue-2/issue-files/sirius.2017.1.issue-2.xml
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