Evan Osnos: Joe Biden. Ein Porträt
Eine Stimme, die man im Zuge der amerikanischen Berichterstattung zur Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden häufiger hörte, war die von Evan Osnos. Der Buchautor („Große Ambitionen. Chinas grenzenloser Traum“) und Journalist begleitet Bidens politische Karriere seit mehreren Jahren. Sein etwa 260 Seiten starkes Porträt über ihn basiert auf einer lockeren Serie von Artikeln, die zwischen 2011 und 2020 im Magazin „The New Yorker“ erschienen. Zudem führte Osnos mit Biden im Laufe der Jahre mehrere Interviews; auch sprach er zweimal mit Barack Obama und mit vielen anderen Weggefährten sowie Angehörigen Bidens.
Weggefährten hat man einige, wenn man wie Joe Biden über fünf Jahrzehnte politische Ämter innehatte. Doch dies ist keine Biografie des 46. amerikanischen Präsidenten; der Untertitel „Ein Porträt“ ist ebenso geschickt wie passend gewählt. Dem Werdegang bis zum Amt des Vizepräsidenten widmet Osnos darum auch weniger als ein Viertel des Buches. Denn dieses ist – und das liegt sicherlich begründet in der Entstehung aus Zeitschriftenartikeln – mindestens so sehr ein Porträt des Landes, das Biden führen und befrieden soll, wie des Mannes, der diese Aufgabe vor sich hat.
Wichtig zu erwähnen ist, dass das Buch vor der Präsidentschaftswahl 2020 erschien – allerdings als Biden bereits als Kandidat seiner Partei feststand. Es wundert also nicht, dass Osnos mit einer Heranführung an die damals aktuelle Situation der Demokratischen Partei und des öffentlichen Diskurses in den USA beginnt. „Um die demokratische Kandidatur bewarb sich Biden mit einem sehr eng definierten Ziel: Trumps Präsidentschaft zu beenden“ (29), konstatiert Osnos gleich zu Anfang.
Es folgt eine knapp gehaltene Rekonstruktion von Bidens Werdegang, mit deutlichen Thesen zu prägenden Bedingungen und Momenten des Menschen und Politikers. So hält Osnos fest, Biden sei „der erste demokratische Präsidentschaftskandidat seit Walter Mondale im Jahr 1984, der keine Eliteuniversität der Ivy League besucht hat“ (44) – ein Grund, weshalb ihm bis heute eine gewisse Dünnhäutigkeit und „große Angst vor Bloßstellung“ (57) konstatiert werde.
Auch an anderer Stelle schafft es Osnos geschickt, Gestern und Heute zu verbinden: Zu Beginn seiner politischen Ambitionen im Jahr 1972 wurde Biden seine Jugend zum Vorwurf gemacht – der damals noch 29-Jährige führte seinerzeit einen Wahlkampf gegen die „alte Garde“ der US-Politik. Fast wirkt es wie eine Ironie der Geschichte, dass in der jüngeren Vergangenheit bekanntlich eher sein inzwischen hohes Alter – selbst von dem nur vier Jahre jüngeren Donald Trump – als Schwachstelle dargestellt wurde.
Freilich muss man sich vor Augen führen: Joe Biden nahm seinen Sitz im US-Senat ein, als gerade die zweite Amtszeit Richard Nixons ab 1973 anbrach. Der Vietnamkrieg war noch nicht beendet und einige Mitglieder von Bidens derzeitigem Kabinett noch nicht einmal geboren. Dies verdeutlicht einerseits, weshalb Osnos mit seinem 260-seitigen Buch unmöglich eine politische Biografie Joe Bidens liefern kann. Andererseits zeigt der Autor, wie das Abstimmungsverhalten Bidens im Senat über die Jahrzehnte deutliche Kritik der progressiven Demokraten eingebracht hat.
Diese kritischen Stimmen aus den eigenen Reihen verhinderten indes nicht die Entscheidung Barack Obamas, mit „Joe“ als running mate 2008 in den Wahlkampf zu ziehen. Das siegreiche Gespann sei ein „besonders ungleiches Paar“ gewesen, Obama „ein Technokrat, Biden ein Instinktpolitiker“ (93), konstatiert Osnos. Es liegt mithin nahe, dass dies ein gegenseitiges Ergänzen von Veranlagungen beziehungsweise Talenten war.
Besonders wichtig war für Obama freilich Bidens Verbindung zum US-Kongress, insbesondere zum Senat, dessen Mitglieder auf beiden Seiten kannte er seit Jahrzehnten: „Biden verwandelte sich in einen Gesandten, der in einem unnachgiebigen, von den Republikanern kontrollierten Kongress seine im Lauf der Jahrzehnte geknüpften Beziehungen zu nutzen verstand“ (105), schreibt der Autor. Die vor allem zu Beginn der Obama-Ära präsente Suche nach parteiübergreifenden Kompromissen brachte Biden dem (oft als zu idealistisch kritisierten) jungen Präsidenten näher. Gleichzeitig, so konstatiert Osnos, stieß sie aber mitunter auf Unverständnis bei den Demokraten.
In diesem etwa 60-seitigen Abschnitt zur Obama-Präsidentschaft verdeutlichen viele Passagen, dass Osnos auf gereifte Informationen durch den Rückblick eines politischen Zeitgenossen verfügt. Vor allem für die Zeit ab 2008 stützt sich der Autor in seinen Ausführungen häufig auf Gespräche mit Akteuren der Washingtoner Politik – seien sie namentlich genannt oder anonym – und schöpft somit aus einem reichen Fundus von nicht selten unverblümten Einschätzungen.
Gleiches gilt für die letzten rund 100 Seiten, die Osnos den Ambitionen Bidens ab dem Jahr 2016 bis in den Wahlkampf 2020 widmet. Dabei wird man als außeramerikanische(r) Leser*in (beziehungsweise ohne regelmäßigen Konsum von US-Medien) die Abhandlungen über innenpolitische und innerparteiliche Debatten allerdings nur schwerlich nachvollziehen können. Bemerkenswerterweise bleibt Trump als Präsident auf diesen Seiten – außer jenen, die explizit den (Vor-)Wahlkampf betreffen – fast völlig außen vor. Dennoch ist Osnos überzeugt, dass Bidens Kandidatur auf die Annahme gestützt war, „dass das Pendel der Geschichte, wenn es von Trump wegschwingen sollte, eher in Richtung Erfahrung und behutsame Reformen in Richtung Jugend und progressiven Eifers ausschlagen würde“ (184).
Der eigentliche Wahlkampf gegen Trump spielt eher weniger eine Rolle; das Buch endet mit einigen Zeilen über den Parteitag der Demokraten und die Aussicht auf Bidens (damals noch eventuelle) Präsidentschaft: auf Vorhaben und strategische Planungen für die Zeit nach einem Wahlsieg – und damit nicht nur die Zeit nach Donald Trump, sondern auch auf die Erwartungen der Demokratischen Partei und linker gesellschaftlicher Gruppen, die aus ihrer Kritik gegenüber Biden von Beginn an keinen Hehl machten, ihn aber natürlich Trump vorzogen: Obama „sagte voraus, die Progressiven würden ein gewisses Maß an Flexibilität akzeptieren, sofern das Resultate bringe“ (233), schreibt Osnos gegen Ende seines Buches.
Es ist dies eben auch ein Porträt der zeitgenössischen USA – ein fragmentiertes allerdings, das stellenweise einen klaren roten Faden vermissen lässt. Das Porträt, das Osnos in seinem Buch zeichnet, ist leider oft anekdotenhaft gestrickt und etwas willkürlich in der Auswahl von Begebenheiten, die ein Argument untermauern sollen, mitunter aber dann eher „neben“ dem Argumentationsstrang stehen.
Dass die englisch- und deutschsprachigen Ausgaben von „Joe Biden – Ein Porträt“ nahezu gleichzeitig veröffentlicht wurden, dürfte die Arbeit des deutschen Übersetzerduos sicherlich nicht vereinfacht haben. Metaphorik und Satzbau wirken darum leider oft unpassend oder ungelenk; so heißt es beispielsweise, Biden „machte das Zeichen des Kreuzes“ (40) statt „bekreuzigte sich“. Inhaltlich bleiben bestimmte Bezüge, etwa auf John F. Kennedys Buch „Profiles in Courage“ von 1956, gänzlich ohne Einordnung und lassen damit wohl viele deutsche Lesende eher fragend zurück. Gleiches gilt für so manche Metapher im Text, die in der deutschen Übersetzung schlichtweg nicht funktioniert.
Als kompakte, informative Heranführung an Persönlichkeit und Werdegang des 46. US-Präsidenten ist Osnos‘ Porträt trotz einiger Schwächen lesenswert, wobei interessierten Leser*innen eher die englischsprachige Originalausgabe nahezulegen ist. Mit dem weiteren Fortgang von Bidens Präsidentschaft werden gewiss viele andere, auch deutschsprachige Titel folgen.
Außen- und Sicherheitspolitik
IParl: Blickpunkt / Michael Kolkmann / 22.06.2021
Von „America First“ zu „Problems First“? Die Biden-Administration – eine erste Bilanz nach 100 Tagen
Michael Kolkmann bilanziert die Arbeit des 46. US-Präsidenten Joe Biden in den ersten drei Monaten nach seiner Wahl. Dabei geht er zunächst auf die besonderen Bedingungen zum Zeitpunkt der Amtsübernahme ein, blickt auf zentrale personelle Weichenstellungen und stellt die politische Agenda Bidens dar. Insgesamt habe der Präsident in einer erheblichen Geschwindigkeit ein „profiliertes“ politisches Programm umgesetzt. Kolkmann resümiert, dass mit Biden im Amt des Präsidenten „eine geordnete Regierungsmaschinerie“ und damit einhergehend eine „größere Verlässlichkeit“ zurückgekehrt sei.
Externe Veröffentlichungen
Thomas Greven / 20.01.2022
IPG-Journal
Doris Simon / 20.01.2022
Deutschlandfunk
Majid Sattar / 20.01.2022
FAZ.Net
Claus Hulverscheidt / 20.01.2022
sueddeutsche.de
Arno Widmann / 09.11.2020
Frankfurter Rundschau
Mehr zum Themenfeld Die internationale Ordnung, der Westen und die USA