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/ 21.06.2013
José Brunner / Shai Lavi (Hrsg.)

Juden und Muslime in Deutschland. Recht, Religion, Identität

Göttingen: Wallstein Verlag 2009 (Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 37 [2009]); 311 S.; brosch., 36,- €; ISBN 978-3-8353-0407-9
Der Band enthält Beiträge zu einem kühnen diachronen Vergleich: Welche Gemeinsamkeiten, aber auch welche Unterschiede finden sich bei einer Betrachtung muslimischer und jüdischer Lebenswelten in Deutschland? Die historische Perspektive der Aufsätze reicht vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart und sie bieten in der thematischen Perspektive des juristischen, politischen und kulturellen Vergleichs eine der ersten Darstellungen dieser Art. Karin Körber untersucht den jüngeren Wandel der jüdischen Gemeinden in Deutschland. Ihr Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass in einer Zeit, in der Muslime sich zuweilen mit den Juden im Holocaust identifizieren, diese Identifikation gerade für die Juden in den deutschen Gemeinden problematisch geworden ist. Denn seit einigen Jahren stellen russischstämmige Juden die Mehrheit in den Gemeinden und in ihren Erinnerungen gehe es eher um den Großen Vaterländischen Krieg. So lasse sich laut Körber eine Pluralisierung des historischen Gedächtnisses ausmachen, in dem der Holocaust in Zukunft eine weitaus geringere Bedeutung einnehmen könnte. Diese Entwicklung liegt nach Ansicht der Autorin in der Logik der deutschen Einwanderungspolitik, in der davon ausgegangen wurde, dass die jüdische Religion eine Art jüdisches Wesen evoziere: „Juden als distinkte kulturell-religiöse Gemeinschaft“ (238). Tatsächlich spiele die Religion in den heutigen jüdischen Gemeinden jedoch kaum noch eine Rolle. Um den Einfluss des Internets auf die Identitätsbildung geht es im Beitrag von Uriya Shavit, der über Monate junge arabische Muslime interviewte. Dazu stellt er fest: „Muslim-Arab scholars have constructed a framework of identity and duties for Muslims residing in the West, envisioning a Muslim nation that encompasses all believers.“ (272) Diese Projektion einer islamischen Nation ohne Grenze zwischen Okzident und Orient werde zwar von den Muslimen in Deutschland rezipiert, jedoch nicht ohne erhebliche Kritik und im Bewusstsein geografischer Distanz. Die Beiträge des Bandes gehen auf eine Tagung in Tel Aviv im Frühjahr 2008 zurück.
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.352.31 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: José Brunner / Shai Lavi (Hrsg.): Juden und Muslime in Deutschland. Göttingen: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/30689-juden-und-muslime-in-deutschland_36452, veröffentlicht am 16.06.2009. Buch-Nr.: 36452 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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