Die Freiheit bleibt der Auftrag. Politische Kultur und politisches Engagement in Ostdeutschland
In diesem kleinen Überblick wird nach den Nachwirkungen des SED-Regimes gefragt, vor allem aber auf die Stimmen derjenigen verwiesen, die die Friedliche Revolution als Auftrag verstehen, sich weiterhin für Freiheit und Demokratie einzusetzen. Dies gilt für ehemalige Bürgerrechtler*innen, die sich zu aktuellen Auseinandersetzungen zu Wort melden, ebenso wie für die Stasi-Unterlagenbehörde und private Initiativen. Zu nennen sind hier etwa die Stiftung Friedliche Revolution in Leipzig oder die Geschichtswerkstatt Jena, die praktische politische Bildungsarbeit leisten.
Je länger die Wiederverwirklichung der deutschen Einheit her ist, desto deutlicher scheinen einige Nachwirkungen der DDR hervorzutreten – die Übernahme des Grundgesetzes und der Marktwirtschaft konnten beschlossen und umgesetzt werden, aber die politische Kultur in Ostdeutschland folgt ihren eigenen Pfaden. Armin Nassehi, der – als Westdeutscher – eingeladen wurde, die Festrede anlässlich des 20. Jahrestages der Gründung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zu halten, sieht darin eine geradezu zwangsläufige Entwicklung: Seiner Ansicht kann es nicht ohne Spuren geblieben sein, dass das SED-Regime vierzig Jahre lang die Gesellschaft in ihrer Entwicklung und damit in ihrer Modernisierung behindert hat. Eine große Hilfe dabei, einen guten Weg zu finden, seien die Westdeutschen allerdings nicht, beklagt in einem Interview Markus Meckel, sondern viel zu gleichgültig gegenüber der DDR-Vergangenheit – obwohl deren Aufarbeitung doch helfe, den Wert demokratischer Freiheiten zu erkennen.
Die kritische Aufarbeitung der zweiten deutschen Diktatur ist allerdings derzeit in den Hintergrund getreten. Zu lesen ist dagegen eher, die Ostdeutschen fühlten sich mit ihren Lebensleistungen aus der Zeit vor 1989 nicht anerkannt. Für Richard Schröder, der die Erfindung der Ostdeutschen ohnehin für ein Nachwende-Phänomen hält, ist diese Haltung mit Blick auf fast dreißig Jahre deutsche Einheit nicht zu rechtfertigen. Sich in der Konsequenz dann auch noch den Rechtspopulisten oder gar Rechtsextremen zuzuwenden, sei zudem politisch verantwortungslos.
In diesem kleinen Überblick aber wird vor allem auf die Stimmen verwiesen, die die Friedliche Revolution als Auftrag verstehen, sich weiterhin für Freiheit und Demokratie einzusetzen. Dies gilt für ehemalige Bürgerrechtler*innen, die sich zu aktuellen Auseinandersetzungen zu Wort melden, ebenso wie für die Stasi-Unterlagenbehörde und private Initiativen. Zu nennen sind hier etwa die Stiftung Friedliche Revolution in Leipzig oder die Geschichtswerkstatt Jena, die praktische politische Bildungsarbeit leisten.
Robert-Havemann-Gesellschaft e. V. (Hrsg.)
Es reicht! Erklärung zur aktuellen Debatte um die Gedenkstätte Hohenschönhausen
Berlin, 5. Dezember 2018
„Über 40 ehemalige Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler und namhafte Historikerinnen und Historiker haben sich mit einer Erklärung zur aktuellen Debatte um die Gedenkstätte Hohenschönhausen zu Wort gemeldet,“ heißt es auf der Website der Robert-Havemann-Gesellschaft, die diese Erklärung dokumentiert. Einleitend wird darin festgestellt: „Uns ist die Zukunft der Gedenkstätte Hohenschönhausen wichtig. Deshalb sehen wir mit Sorge, dass das Anliegen der Aufarbeitung hinter der Debatte um eine Person verschwindet – zur Freude all jener, die die Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur als störend empfinden. Wir leben in Zeiten, in denen es wieder mehr Menschen gibt, die die autoritäre und obrigkeitsstaatliche Führung eines Gemeinwesens begrüßen. Jetzt sollte jeder Ort wichtig sein, der daran erinnert, wohin es führen kann, wenn man leichtfertig Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie zur Disposition stellt.“
Claudia van Laak
Ein Fürsprecher der emotionalen Überwältigung. Hubertus Knabe verlässt Stasi-Gedenkstätte
Deutschlandfunk, 27. November 2018
„Hubertus Knabe ist als Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen nach juristischem Hin- und Her abberufen worden. 18 Jahre lang war er Leiter und bezog dabei stets eindeutig Position. Knabe werde fehlen: als Aktivist, nicht als Gedenkstättendirektor, meint Dlf-Korrespondentin Claudia van Laak.“
Armin Nassehi
Festrede anlässlich des 20. Jahrestages der Gründung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Berlin, 17. Oktober 2018
Armin Nessehi, Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, war eingeladen, (als Westdeutscher) zum 20. Jahrestag der Bundestiftung Aufarbeitung zu reden. Er beschäftigt sich zunächst mit diesen Zurechnungen als West- oder Ostdeutsche und sagte dann: „Viele Verwerfungen der Gegenwart operieren mit dieser Gegenüberstellung – vielleicht hat man die hässlichen Szenen in Chemnitz vor Augen, vielleicht auch disparates Wahlverhalten, ganz sicher die unterschiedlich anmutende Reaktion auf Flüchtlinge und Migration überhaupt, auch Tatsachen wie die, dass 80 % des Produktionsvermögens nach der Wende an westdeutsche Unternehmen, nur 6 % an Ostdeutsche gegangen sind, Lebenszufriedenheitsindizes messen stabil eine geringere Lebenszufriedenheit in den neuen als in den alten Bundesländern, und kürzlich wartete die Migrationsforscherin Naika Foroutan mit der These auf, dass Ostdeutsche und Migranten in der neuen Bundesrepublik ganz ähnliche Erfahrungen mit Anerkennungsverweigerung machen. Die sächsische Integrationsministerin Petra Köpping formuliert sogar die Forderung, man möge doch zunächst einmal die Ostdeutschen integrieren.
All das sind semantische seismische Wellen, bei denen es viel weniger darauf ankommt, ob sie objektiv zutreffen – aber sie sind kommunikabel, werden so empfunden, sind anschlussfähig, wie wir soziologisch dazu sagen. Aber: Hat das überhaupt etwas mit der Bewältigung der DDR und der SED-Diktatur zu tun? Ich werde Ihnen […] die These präsentieren, dass die zumindest erlebte Differenz zwischen westlichen und östlichen deutschen Erfahrungsräumen nicht nur mit der Nachwendeerfahrung erklärt werden kann, sondern viel mit der DDR und den Restriktionen einer staatssozialistischen Diktatur zu tun hat, die langfristige Entwicklungspotentiale moderner Gesellschaften schlicht behindert hat. Es wird übrigens keine überhebliche westliche Rückständigkeitsthese, sondern eher der Hinweis darauf, dass der Zentralismus des staatssozialistischen Typs im Hinblick auf die Modernität der modernen Gesellschaft geradezu widersinnig ist.“ (Textauszug)
Markus Meckel im Interview
Markus Meckel beklagt Gleichgültigkeit der Westdeutschen
Hannoversche Allgemeine, Interview, 17. Oktober 2018
„Wenn wir Demokratie leben wollen, müssen wir auch wissen, wo wir herkommen. Das gilt bis heute“, sagt in diesem Interview Markus Meckel, Vorsitzender des Stiftungsrats der Bundesstiftung Aufarbeitung, anlässlich deren 20jährigen Bestehens. Die Aufarbeitung der Vergangenheit helfe, den Wert demokratischer Freiheiten zu erkennen. Allerdings sei die Gleichgültigkeit in dieser Hinsicht sehr groß. Meckel beklagt außerdem, dass die DDR-Geschichte im Westen nach wie vor „weitgehend als Regionalgeschichte angesehen“ werde. „Dabei ist die deutsche Nachkriegsgeschichte ab 1945 bis 1990 eine geteilte. Beide deutschen Staaten, auch die Bundesrepublik (!), sind für sich allein nicht verständlich.“ Aber sowohl hinsichtlich der Erforschung der DDR als auch der Transformationsphase bestünden weiterhin Defizite. Nur so sei zu erklären, dass den Ostdeutschen – wie nach den rechten Ausschreitungen in Chemnitz – pauschal Demokratiedefizite unterstellt würden.
Stiftung Friedliche Revolution
Memorandum for Freedom and Democracy by Participants of the International Round Table 2018
Leipzig, 9. Oktober 2018
Im Oktober 2018 hat die Leipziger Stiftung Friedliche Revolution 28 Demokratie- und Menschenrechtsaktivist*innen aus zwölf europäischen Ländern zu einem viertägigen Runden Tisch mit dem Ziel eingeladen, sich für die Förderung von Freiheit und Demokratie zu vernetzen. Zum Abschluss wurde ein gemeinsames „Memorandum für Freiheit und Demokratie“ veröffentlicht. Gefordert werden unter anderem eine Stärkung der Demokratie und der Europäischen Union, die auch andere Länder, die sich weiter demokratisieren wollen, unterstützen sollte. Betont werden außerdem die Bedeutung eines sicheren und demokratischen Internets sowie der Pressefreiheit. Dieser Runde Tisch 2018 bezieht zudem Position gegen die populistischen Bewegungen in Europa, es gelte, sich ihnen vernetzt entgegenzustellen.
Richard Schröder
Die Erfindung des Ostdeutschen
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Oktober 2018
Aktuell immer wieder zu hören sei die These, die „Ostdeutschen seien durch den Einigungsprozess gedemütigt worden, und diese Kränkung schlage nun in Wut um“. Richard Schröder, damals SPD-Fraktionsvorsitzender in der frei gewählten Volkskammer der DDR und heute Vorstandsvorsitzender der Deutschen Nationalstiftung, analysiert zwei der gängigen Argumente dieser Kränkungsthese: „Das eine bezieht sich auf Umfragen, nach denen sich Ostdeutsche zunehmend als Bürger zweiter Klasse verstehen; das andere auf eine Untersuchung, die die Leipziger Universität im Jahr 2015 im Auftrag des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) durchgeführt hat. Demnach sind in den östlichen Ländern zwei Drittel der Spitzenpositionen in Politik, Verwaltung, Justiz und Wirtschaft von Westdeutschen besetzt. Diese westdeutsche Fremdbestimmung empöre die Ostdeutschen.“ Schröder setzt sich unter anderem damit auseinander, dass zu einem Systemwechsel auch ein Elitenwechsel gehöre und dieser beispielsweise in der Justiz maßgeblich dazu beitragen habe, dass schnell Vertrauen in den Rechtsstaat gefasst worden sei. Aus dem Westen kommende Ministerpräsidenten wie Kurt Biedenkopf seien außerordentlich beliebt gewesen. Weiter heißt es: „Die Diagnose, dass viele Ostdeutsche die AfD wählen und wenig Berührungsängste zu Pegida und Rechtsextremen zeigen, weil sie im Einigungsprozess durch westliche Dominanz gedemütigt worden sind, halte ich für falsch. Ich möchte aber nicht ausschließen, dass viele Ostdeutsche sich das bei gehörigem medialem Trommelfeuer einreden lassen. Jeder ist heute gern Opfer, weil das Ansprüche begründet.“ Es sei aber zu fragen, wogegen bei PEGIDA-Märschen, auf Demonstrationen, in denen auch als solche klar erkennbare Rechtsextremisten mitmarschierten, oder bei der Wahl der AfD tatsächlich protestiert werde. „AfD-Wähler erklären mehrheitlich, dass sie mit ihrer wirtschaftlichen Lage zufrieden sind. Sie beklagen sich nicht über den Einigungsprozess. Aber sie möchten gegen die Migrationspolitik der etablierten Parteien protestieren. Solange die Migrationspolitik der Regierung nicht überzeugt, wird die AfD weiter zulegen.“
Beate Rudolf
Wer Hass sät und Gewalt befürwortet, verrät das Erbe der Friedlichen Revolution
Deutsches Institut für Menschenrechte, Pressemitteilung vom 2. Oktober 2018
„Anlässlich des Tags der Deutschen Einheit erklärt Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte: ‚Die Friedliche Revolution von 1989 gehört zu den Sternstunden deutscher Geschichte. Bewunderung und Dank gilt den mutigen Menschen in der DDR, die unter großem Risiko die Achtung der Menschenrechte einforderten. Ohne sie hätte es die deutsche Wiedervereinigung nicht gegeben und damit auch nicht Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für alle Menschen in Deutschland.
Der Tag der Deutschen Einheit erinnert uns daran, dass die Menschenrechte keine Selbstverständlichkeit sind. Sie müssen täglich gelebt und eingefordert werden. Wer die Gleichheit aller Menschen ablehnt, Hass sät und Gewalt gegen Menschen befürwortet oder verübt, der verrät das Erbe der Friedlichen Revolution. Der Tag der Deutschen Einheit sollte allen Ansporn sein, sich im Alltag für die Menschenrechte einzusetzen und für sie auf die Straße zu gehen. Die nächste Gelegenheit hierzu bietet die Demonstration ‚#unteilbar: Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung‘ am 13. Oktober in Berlin.“
Hendrik Träger
Ostdeutschland bei der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2017
Deutschland Archiv, 24. September 2018
„Mit zwei Kabinettsmitgliedern ist Ostdeutschland in der neuen Großen Koalition besser vertreten als andere Regionen, wie bei einem Vergleich mit Baden-Württemberg deutlich wird: Aus dem drittgrößten Bundesland, das fast so viele Einwohner wie die fünf ostdeutschen Länder zusammen hat, kommt erstmals seit 2005 kein Minister.
Unterhalb der Ministerebene stellen die Ostdeutschen vier Staatssekretäre in den für Innen-, Bau-, Wirtschafts-, Energie-, Familien- und Agrarpolitik verantwortlichen Ministerien. Das könnte sich bei der Erarbeitung politischer Programme und Strategien als vorteilhaft für die ostdeutschen Länder erweisen. Angesichts der Koalitionsvereinbarung, die mit Blick auf spezifisch ostdeutsche Interessen oft unkonkret bleibt, bekommen die politischen Aushandlungsprozesse im Regierungsalltag eine besondere Bedeutung. Wie beispielsweise die von der Großen Koalition angekündigte Unterstützung Ostdeutschlands in der Wissenschafts- und Innovationspolitik ausgestaltet werden soll, muss noch auf Arbeits- und politischer Ebene in den Ministerien geklärt werden. Die handlungsbezogene Repräsentation Ostdeutschlands – Hanna Fenichel Pitkin sprach von „substantive acting for“ – ist letztlich auch vom Agieren der ostdeutschen Repräsentanten abhängig. Das gilt in erster Linie für Christian Hirte als „Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer“. (Fazit)
Ilko-Sascha Kowalczuk, interviewt von Felix Wellisch
„In der Regierung sitzen Brandstifter“
Spiegel online, 11. September 2018
Etwa 80 ehemalige DDR-Bürgerrechtler*innen haben sich in einer gemeinsamen Erklärung gegen den Versuch von Rechtspopulisten und Rechtsextreme gewehrt, die Parole der Friedlichen Revolution „Wir sind das Volk“ zu kapern. Vor diesem Hintergrund weist Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker und Projektleiter in der Stasi-Unterlagenbehörde, darauf hin, dass die Bürgerrechtsbewegung der DDR keinen homogenen Block darstellte: „Man hatte den gleichen Gegner, aber die Leute hatten sehr unterschiedliche Ziele und Vorstellungen.“ Diese Diversität spiegle sich jetzt auch in der gemeinsamen Erklärung, die aus Allgemeinplätzen bestehe. Die Minderheit der ehemaligen Bürgerrechtlern, die jetzt auf die rechte Seite des politischen Spektrums gewechselt sei, werde durch das Gefühl einer fehlenden Anerkennung getrieben, so der Historiker. Das eigentliche Problem bestehe aber vielmehr im grassierenden Rassismus, verstanden als eine Herrschaftsideologie. Parallelen zwischen 1989 und 2018 aber gebe es, trotz der gekaperten Parole, nicht.
Robert-Havemann-Gesellschaft e. V.
Bürgerrechtler veröffentlichen „Erklärung zu Chemnitz“
5. September 2018
„Mehr als 100 Bürgerrechtler und ehemalige DDR-Oppositionelle haben sich mit einer ‚Gemeinsamen Erklärung zu Chemnitz‘ zum Versuch populistischer Gruppierungen, das Erbe der Friedlichen Revolution von 1989 für sich zu vereinnahmen, positioniert. Anlass waren der Mord an dem Chemnitzer Daniel H. und die darauffolgenden Ereignisse in der sächsischen Stadt. Die DDR-Bürgerrechtler kritisieren jene, ‚die solche Straftaten instrumentalisieren für menschenverachtende oder demokratiefeindliche Propaganda‘. Davon nehmen sie ‚die große Mehrheit friedlich trauernder und teilweise zu Recht über die Versäumnisse der Politik verärgerten sächsischen Bürgerinnen und Bürger‘ explizit aus. Die ‚Erklärung zu Chemnitz‘ konstatiert, dass sich inzwischen nicht wenige Pegida- oder AfD-Sympathisanten auf die friedliche Revolution von 1989 und auf die am 11. September 2010 verstorbene DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley beziehen. In der ‚Erklärung‘ heißt es dazu: ‚Wegen ihres Einsatzes für Frieden, Freiheit und Menschenwürde wurde Bärbel Bohley 1983 und 1988 ins Gefängnis geworfen. Den von ihr nach dem Mauerfall gesprochenen Satz ‚Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat‘ verstehen wir als Appell für mehr Gerechtigkeit für die Opfer der SED-Diktatur, für politisch Verfolgte und Benachteiligte in Ostdeutschland‘. Die ‚Erklärung‘ der Bürgerrechtler appelliert an alle, die Kräfte der gewaltfreien Zivilgesellschaft zu stärken, das allein schaffe die Voraussetzungen für eine vielfältige und zukunftsfähige Entwicklung in Deutschland.“ (Einleitung)
Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
13. Tätigkeitsbericht für die Jahre 2015 und 2016
Berlin 2017
In seinem Vorwort geht der Bundesbeauftragte Roland Jahn kurz auf die Diskussionen ein, die in den Jahren 2015 und 2016 über das Für und Wider eines Fortbestands der Stasi-Unterlagenbehörde geführt wurden. Übereinstimmend sei festgestellt worden, „dass die Stasi-Unterlagen für die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur unverzichtbar sind. Nach der Erfahrung von 25 Jahren Zugang zu den Stasi-Akten sind sie längst auch zum Teil des ‚Gedächtnisses der Nation‘ geworden.“ Bei Veranstaltungen sei deutlich geworden, dass die Akten „auch als Zeugnisse von Zivilcourage von Bürgerinnen und Bürgern wahrgenommen werden. Die Eroberung und Nutzung der Stasi-Unterlagen sind zu einem Symbol der Friedlichen Revolution geworden“.
Der Deutsche Bundestag hat im Juni 2016 unter dem Titel „Die Aufarbeitung der SED-Diktatur konsequent fortführen“ beschlossen, den „Gesamtbestand dauerhaft zu erhalten und den Zugang zu den Stasi-Unterlagen auch weiterhin nach den Regeln des Stasi-Unterlagen-Gesetzes zu gewähren“. Gemeinsam mit dem Bundesarchiv soll ein Konzept für „die dauerhafte Sicherung der Stasiakten durch eine Überführung“ (8) in die Strukturen des Bundesarchivs entwickelt werden.
Michael Corsten / Sebastian Grümer
Bürgerschaftliches Engagement in Ost- und Westdeutschland
Bundeszentrale für politische Bildung, Dossier „Lange Wege der deutschen Einheit“, 30. März 2010
„Die regelmäßigen Formen von Engagement sind über die Zeit relativ stabil. Insbesondere die Zahlen aus dem Sozioökonomischen Panel zeigen jedoch eine Verschiebung zwischen Ost- und Westdeutschland. Im Jahr 1990 war das Engagement in Ostdeutschland – als ein Erbe der DDR-Gesellschaft – noch relativ hoch. Der danach erfolgende Abbau staatsnaher Einrichtungen, die dieses hohe Engagement zu DDR-Zeiten getragen hatten, führte jedoch zu einer Verminderung des Bürgerschaftlichen Engagements in den neuen Bundesländern. Das Diagramm zeigt, dass die Engagementquote in Ostdeutschland erst Ende der 1990er Jahre wieder ansteigt, aber nur sehr langsam. In Westdeutschland können wir im gleichen Zeitraum eine stetigere Entwicklung beobachten.“ (Textauszug)
Demokratie und Frieden
Daten
Felicitas Belok / Rainer Faus
Kartografie der politischen Landschaft in Deutschland. Die wichtigsten Ergebnisse für Ostdeutschland
Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin 2017 (Empirische Sozialforschung 8)
Das Autorenteam hat untersucht, „inwiefern sich die politischen Einstellungen und die Wertorientierung zum einen zwischen den ostdeutschen und westdeutschen Bürger_innen in der Gesamtheit unterscheiden und zum anderen zwischen den einzelnen Segmenten“ der Gesellschaft, die von leistungsorientierten Liberalen über verdrossene Kleinbürger bis zu desillusionierten Abgehängten reicht. Auf der Basis vor allem von Tiefeninterviews wird gezeigt, das sich die politische Stimmung in Ostdeutschland von der in Westdeutschland unterscheidet: „Während es bei der Sicht auf das persönliche Leben und der politischen Involvierung weniger ausgeprägte Differenzen gibt, ist die Sicht der Ostdeutschen auf die Politik erkennbar negativer und durch eine höhere Ablehnung von Weltoffenheit geprägt.“ Diese Einstellungsunterschiede seien durch die sozialen Rahmenbedingungen und der damit einhergehende Bevölkerungsstruktur zu erklären. Nach Ansicht von Belok und Faus ist die „niedrigere Demokratiezufriedenheit im Osten […] bedenklich, da sie langfristig zur Instabilität des politischen Systems führen kann“ (19).
Institutionen
Geschichtswerkstatt Jena e. V.
„Die Geschichtswerkstatt Jena e. V. entstand als Verein symbolträchtig am 17. Juni 1995. Zugrunde lag eine Empfehlung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, die Geschichte des Widerstands und des widerständigen Verhaltens außeruniversitär aufzuarbeiten. Bei einer ihrer Sitzungen in Jena konnte die Kommission feststellen, dass die Universitätsstadt in Bezug auf Widerstand eine bedeutende Rolle gespielt hatte.
Von Anbeginn hatten wir eine professionell gestaltete Zeitschrift im Sinne, und als sich abzeichnete, dass wir Büros in der ehemaligen Stasi-Kreisdienststelle in der Jenaer Gerbergasse 18 beziehen würden, gaben wir ihr den Arbeitstitel ‚Gerbergasse 18‘. Letztlich beließen wir es dabei und sind damit weit über Jena und Thüringen hinaus bekannt geworden. […] Die ‚Gerbergasse 18‘ ist längst bundesweit verbreitet und hat auch Abonnenten im Ausland.
Wir veranstalten Kongresse und Tagungen zu zeitgeschichtlichen Themen, Vereinsmitglieder halten Vorträge zur DDR-Geschichte, wir unterstützen und begleiten Schülergruppen bei ihren Projektarbeiten, es gibt Schriftstellerlesungen und spezielle Vorträge sowie zahlreiche andere öffentliche Aktivitäten zur Durchleuchtung der Machtstrukturen im SED-Staat. Bei unserer Arbeit werden wir von der Stadt Jena, dem Thüringer Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Bundessstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Berlin), verschiedenen Landeszentralen für politische Bildung, dem Thüringer Kultusministerium und der Staatskanzlei sowie parteinahen Stiftungen unterstützt. Die Geschichtswerkstatt ist zudem Mitglied des Geschichtsverbundes Thüringen, einer Arbeitsgemeinschaft zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Die Geschichtswerkstatt Jena e. V. wird von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, der Stadt Jena und der Thüringer Staatskanzlei gefördert.“ (Eigendarstellung)
Stiftung Friedliche Revolution 89, Leipzig
„Zum zwanzigsten Jahrestag des 9. Oktober 1989 gründeten Bürgerinnen und Bürger aus Ost und West, Kirchenleute und Friedensaktivisten die Stiftung Friedliche Revolution. Stiftungsvorstand Christian Führer sagte: ‚Wir wollen die Friedliche Revolution nicht ins Museum stellen, sondern wir wollen weiter gehen und auch heute zum Handeln anstiften. Die Friedliche Revolution muss weiter gehen und auch die Wirtschaft einschließen.‘ Die Stiftung will die grundlegenden Wertemuster der Menschen, die 1989 in den Kirchen und auf den Straßen für den friedlichen Wandel eingetreten sind, in die heutige Zeit überführen.“ (Eigendarstellung)
Aus der Annotierten Bibliografie
zum Thema
Die lange Transformation. Ostdeutschland dreißig Jahre nach der Friedlichen Revolution
Daten
Felicitas Belok / Rainer Faus