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Rezension / 17.05.2018

Yuval Noah Harari: Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen

Aus dem Englischen übersetzt von Andreas Wirthensohn. München, Verlag C.H.Beck 2017

„Was soll aus uns werden?“ (11) Wird der Versuch einer kleinen Silicon-Valley-Elite, den Menschen bis hin zu seiner Unsterblichkeit zu optimieren, unsere Familienbeziehungen und unsere Gesellschaften zerstören? Welche Zukunft hat die Demokratie, wenn nicht nur die Arbeitskraft des Einzelnen durch Maschinen ersetzt ist, sondern ein Algorithmus ihn viel besser als er sich selbst kennt und für ihn entscheidet? Der Historiker Yuval Noah Harari spielt die Möglichkeit einer Zukunft durch, die vorangetrieben wird, obwohl sich der Mensch – so sein Vorwurf – bisher nicht die Zeit genommen hat, zunächst sich selbst und seine Umwelt tatsächlich zu verstehen.

„Was soll aus uns werden?“ (11) Wird der wahnhafte Versuch einer kleinen Silicon-Valley-Elite, den Menschen bis hin zu seiner Unsterblichkeit zu optimieren, unsere Familienbeziehungen und unsere Gesellschaften zerstören? Welche Zukunft hat noch die Demokratie, wenn nicht nur die Arbeitskraft des Einzelnen durch Maschinen ersetzt ist, sondern ein Algorithmus ihn viel besser als er sich selbst kennt und für ihn entscheidet? Der Historiker Yuval Noah Harari, Professor an der Hebräischen Universität in Jerusalem, spielt die Möglichkeit einer Zukunft durch, die vorangetrieben wird, obwohl sich der Mensch – so sein Vorwurf – bisher nicht die Zeit genommen hat, zunächst sich selbst und seine Umwelt tatsächlich zu verstehen.

Zukunft passiert nicht, sie wird gestaltet – diese an sich banale Erkenntnis gewinnt im 21. Jahrhundert eine noch nie dagewesene Relevanz: Der Mensch steht nicht nur angesichts der Verlagerung von Entscheidungs- und Arbeitsprozessen auf Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) in seiner Arbeitswelt vor einer Zäsur, sondern nach Harari im Wortsinne existenziell durch die sich ankündigenden Optionen der Bio- und Cyborgtechnologie sowie der Erzeugung nichtorganischer Lebewesen. Bis in die Gegenwart haben die Überwindung von Hunger, Krankheit und Krieg als die großen Aufgaben gegolten, deren Lösungen allen Menschen gleichermaßen zugutekommen sollten – und diese Lösungen sind auch im Grundsatz gefunden worden, so Harari, nur profitieren immer noch nicht alle Menschen von dem Wissen. In Zukunft werden seiner Beobachtung nach angesichts der neuen Möglichkeiten neue Projekte verfolgt, die sich unter drei Schlagworte fassen lassen: Unsterblichkeit, Glück und Göttlichkeit. Vor die Frage, ob an dieser Entwicklung alle Menschen teilhaben können und sollen, stellt Harari zunächst eine grundlegende Beobachtung: Der Mensch weiß wenig über seine eigene Biologie und die Bedingungen, unter denen sein Bewusstsein entsteht. Auf welcher Basis aber will er dann seine Existenz in der digitalen Welt positionieren, rechtfertigen, optimieren? Um ein Problembewusstsein dafür zu schaffen, dass wir auf der Grundlage sehr wackliger Erkenntnisse dabei sind, uns und unsere Welt mit digitalen Mitteln neu zu entwerfen, unterzieht Harari unsere Annahmen über Individuum und Gesellschaft einer radikal-aufklärerischen Analyse.

„Die Beschäftigung mit der Geschichte zielt darauf ab, den Griff der Vergangenheit zu lockern. Das versetzt uns in die Lage, den Kopf mal hierhin, mal dorthin zu drehen und zu wenden, und wir erkennen Möglichkeiten, die für unsere Vorfahren unvorstellbar waren oder von denen sie nicht wollten, dass wir sie uns ausmalen.“ (87) – Dieser Maxime folgt Harari konsequent, indem er – mit Schwerpunkt auf das Abendland, das in seiner heutigen Erscheinung als „Westen“ die Computer erfunden und vernetzt hat – die Wahrnehmung der Welt dekonstruiert. In den Mittelpunkt rückt er die Religion, wobei sie im Sinne eines Welterklärungsmodells und damit als handlungsleitendes Narrativ verstanden wird. Religion ist demnach ein Instrument, „um die gesellschaftliche Ordnung zu wahren und Kooperation im großen Maßstab zu organisieren“ (252). Sie hat damit der wichtigsten Fähigkeit des Menschen zur Durchsetzung verholfen, so Harari – der flexiblen Kooperation, auch über Distanzen hinweg und ohne die Notwendigkeit, sich persönlich zu kennen. Jede Religion hat allerdings immer einen entscheidenden Nachteil: Ihre Erklärungen sind stets nur Antworten auf Fragen, die in der Zeit ihrer jeweiligen Entstehung gestellt wurden, später entstandene Herausforderungen bleiben unbeantwortet. Harari unterscheidet hier, wenig überraschend, nicht zwischen zum Beispiel Christentum und Kommunismus. Dementsprechend ist der fundamentalistische Islam, der momentan als Bedrohung des westlichen Lebensmodells begriffen wird, wie er schreibt, nur ein Echo aus einer fernen Vergangenheit.

Wie sehr gerade das den Westen dominierende Christentum den Blick auf den Menschen und seine Natur determiniert, arbeitet Harari am Umgang mit den Tieren heraus: Deren Gefühle und soziales Wesen werden negiert, um sie ihrer natürlichen Art zu leben zu berauben und massenhaft zur Fleischerzeugung zu halten. Damit zieht der moderne Mensch, der gleichwohl anerkannt hat, selbst das Ergebnis der Evolution zu sein, eine tiefe Grenze zwischen sich und den Tieren und gesteht nur sich selbst eine individuelle Seele zu. Negiert werden damit alle anderen, nichtmenschlichen Fähigkeiten der Wahrnehmung, die die Natur geschaffen hat. Was aber wird aus dieser vom Menschen entworfenen, an sich bereits unzulänglichen Ordnung in einer Zukunft, die sowohl von dem Streben nach Selbstoptimierung als auch von einer Automatisierung geprägt sein wird, die den Menschen immer überflüssiger macht? Ist es dann noch seine Seele, die ihm weiterhin einem besonderen Platz in der Welt sichert? Harari lässt keinen Zweifel daran, dass damit ein falsches, weil von der Zeit überholtes Narrativ gewählt werden würde. Wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Biologie und der Medizin, vor allem der Hirnforschung, lassen seiner nach Ansicht keinen anderen Schluss als den zu, dass der Mensch keine Seele besitzt.

Damit soll der Mensch nicht weniger wert sein, so ist diese Analyse zu verstehen, aber er soll sich auf das besinnen, was ihn tatsächlich besonders macht – um in der Zukunft den Platz einzunehmen, der ihm (als einzigem zur flexiblen Kooperation fähigen und damit am höchstem entwickelten Wesen immer noch) zusteht. Diesen Platz gilt es angesichts einer zunehmend von Algorithmen und KI bestimmten Welt aber erst zu finden. Harari zeigt auf, von welcher grundsätzlichen Vorentscheidung das weitere Schicksal von Mensch und Gesellschaft abhängt: Ist die Intelligenz wichtiger oder das Bewusstsein? Eine Maschine kann zweifelsohne schneller und effektiver Daten verarbeiten, also intelligentere Entscheidungen treffen. Aber der Bewusstseinsstrom, nicht die Seele, formt das Ich. „Die Wissenschaft weiß [allerdings] nicht, wie eine Anhäufung elektrischer Signale subjektive Erlebnisse erzeugt. Wichtiger noch: Sie weiß nicht, worin der evolutionäre Nutzen eines solchen Phänomens bestehen könnte.“ (154) Sollte diese Frage nicht besser geklärt werden, bevor wir Maschinen die Entscheidung über unser Leben überlassen?

Wird dem bewussten Menschen keine Priorität vor der intelligenten Maschine eingeräumt, sind laut Harari drei miteinander zusammenhängende Entwicklungen zu erwarten: „1. Die Menschen werden ihren wirtschaftlichen und militärischen Nutzen verlieren, weshalb das ökonomische und das politische System ihnen nicht mehr viel Wert beimessen wird. 2. Das System wird die Menschen weiterhin als Kollektiv wertschätzen, nicht aber als einzigartige Individuen. 3. Das System wird nach wie vor einige einzigartige Individuen wertschätzen, aber dabei wird es sich um eine neue Elite optimierter Übermenschen und nicht mehr um die Masse der Bevölkerung handeln.“ (413) Aus einer kleinen Gruppe der Homo sapiens wäre dann die Elite des Homo deus hervorgegangen. „Sie wollen wissen, wie superintelligente Cyborgs möglicherweise ganz gewöhnliche Menschen aus Fleisch und Blut behandeln? Dann fragen Sie am besten danach, wie Menschen ihre weniger intelligenten tierischen Verwandten behandeln.“ (95 f.)

Verliert der Einzelne mit seinen Gefühlen, Gedanken und Erfahrungen, die sich in seinem Bewusstsein zu seinem Ich verdichten, seine Bedeutung, steht nach Harari auch die große, wirkmächtige Religion des 20. Jahrhunderts mit ihrem Versprechen auf individuelle Freiheit und wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeit infrage: der Liberalismus. Werden wir zulassen, dass sich statt seiner eine Technoreligion durchsetzt? „Was wird aus unserer Gesellschaft, unserer Politik und unserem Alltagsleben, wenn nichtbewusste, aber hochintelligente Algorithmen uns besser kennen als wir selbst?“ (537) Wird die Welt, in der sich der Mensch durch Optimierung endlich vergöttlichen wollte, vor allem eines sein: entmenschlicht? Harari zeigt auf, dass die neue Datenreligion ideengeschichtlich durchaus einen historischen Vorläufer hat – es erscheint das faschistische Welterklärungsmodell am Horizont.

Als Fazit lässt sich ziehen, dass angesichts einer Zukunft, in der zweifelsohne weitere Krankheiten besiegt, die Gesundheit verbessert, der Mensch durch Cyborgtechnologie optimiert wird und zugleich in der Arbeitswelt verstärkt Algorithmen und KI zum Einsatz kommen werden, die eigentliche Leerstelle nicht darin besteht, dass der Mensch noch immer nicht alles über sich und sein Bewusstsein und die Bedeutung der Emotionen für seine Handlungen weiß. Nur sollte er sich nach Harari wenigstens dessen bewusst sein und keine Entscheidungen treffen, bei denen dieses fehlende Wissen ignoriert und damit nicht in das neue Narrativ – die neue Religion, mit der die Gesellschaft geordnet und Kooperation sichergestellt werden soll – integriert wird. Der erste Schritt in die Zukunft ist also die schlichte Selbsterkenntnis: „Wir ähneln den Bewohnern einer kleinen Insel, die gerade das erste Boot erfunden haben und sich daranmachen, ohne Karte oder überhaupt nur ein Ziel in See zu stechen.“ (477)

 

CC-BY-NC-SA
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