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Rezension / 03.05.2024

Julia Zilles, Emily Drewing, Julia Janik (Hg.): Umkämpfte Zukunft. Zum Verhältnis von Nachhaltigkeit, Demokratie und Konflikt

Bielefeld, transcript 2022

Die Autor*innen des vorliegenden Sammelbands beschäftigen sich mit der Bedeutung der Nachhaltigkeit für demokratische Gesellschaften. Dabei sollen vor allem die Fragen geklärt werden, wie Nachhaltigkeit umgesetzt wird, welche Konflikte daraus entstehen und wie Demokratien mit diesen Konflikten umgehen können. Die Beiträge des Sammelbandes thematisieren laut unserer Rezensentin eindrücklich in empirischer und konzeptioneller Hinsicht Erzählungen, Vorstellungen und erste Hinweise auf deren zukünftige Umsetzung und dem darin implizierten Verhältnis von Demokratie und Nachhaltigkeit.

Bereits im Vorwort stellt Berthold Vogel fest, dass der Klimawandel nur eine der multiplen Herausforderungen demokratischer Gesellschaften darstelle. Zudem sei er eng mit anderen Krisen, wie der Dauerhaftigkeit der Pandemie und der Tatsache, dass Länder wie Russland Energie als Teil ihrer Kriegsführung einsetzen, verknüpft. Er kommt an dieser Stelle zu dem Schluss, dass unser Wohlstandsmodell auf Voraussetzungen beruhe, die keine Zukunft mehr hätten und dass die Verwundbarkeit unseres Wohlstands offensichtlich erscheine. Daraus resultieren Vogel zufolge sowohl wirtschaftlich als auch sozial verheerende Folgen, da vertiefte soziale Spaltungen ebenso drohen wie materielle Abstiege (9).

Zu Beginn des Sammelbandes führen die Herausgeberinnen an, dass sich Forderungen und Bestrebungen, die Klimakatastrophe und ihre Effekte auf ein hoffentlich noch halbwegs zu bewältigendes Ausmaß zu begrenzen, alltagssprachlich im Begriff der Nachhaltigkeit verdichten (12). Dabei geben sie jedoch zu bedenken, dass gesellschaftliche Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit so komplex sind, dass es keine Gesamtstrategie oder perfekt orchestrierte Umsetzung geben kann. Dadurch werden zwangsläufig Widersprüche, Interessenskonflikte und Ungerechtigkeiten entstehen, die entweder unterschwellig polarisieren oder offen ausgetragen werden (14).

Die Energiewende zeige, dass bereits getroffene politische Entscheidungen im Moment der lokalen Umsetzung oftmals eine Repolitisierung erfahren – auch wenn sie mit Verweis auf drängende Handlungsbedarfe und technisch eindeutig beste Lösungen ohne große Kontroversen beschlossen wurden. Daher sollen im Sammelband folgende Fragen beantwortet werden:

a) Was bedeutet Nachhaltigkeit für demokratische Gesellschaften?
b) Wie wird Nachhaltigkeit umgesetzt?
c) Welche Konflikte gibt es in Bezug auf Nachhaltigkeit?
d) Wie können – oder sollten – Demokratien mit solchen Konflikten umgehen?

Die gesammelten Beiträge des Werkes adressieren dabei jeweils eine oder mehrere dieser Fragen. Dabei liegt der Anspruch des Buches nicht auf deren abschließender Beantwortung, sondern auf den Hinweisen, kritischen Perspektiven und Lösungsvorschlägen (16 f.). Dazu wird der Sammelband thematisch in drei Teile unterteilt.

Der erste Teil trägt die Überschrift „Nachhaltigkeit/Zukunft: Multiperspektivische Annäherungen“ und versammelt fünf Beiträge, die sich mit den unterschiedlichen Definitionen und Begriffsverwendungen von Nachhaltigkeit sowie verschiedenen Zukunftsvorstellungen befassen und deren teilweise konflikthafte oder widersprüchliche Verknüpfung näher beleuchten.

Besonders deutlich wird in diesem Kapitel hervorgehoben, dass nachhaltige Klimapolitik nicht ohne gesellschaftlichen Wandel und die Einbeziehung der Bürger*innen in klimapolitische Entscheidungen funktioniert. Es wird kapitelübergreifend argumentiert, dass Top-down-Ansätze nicht wirksam sein könnten, wenn innerhalb der Gesellschaft keine Bereitschaft vorhanden sei, sich mit der Thematik des Klimawandels und möglichen Strategien des Entgegenwirkens auseinanderzusetzen und diese mitzutragen.

Die Beteiligung von Bürger*innen am politischen Prozess kann dabei unterschiedlich gestaltet werden. Zum einen könne diese durch analytisch-deliberative Verfahren der Willensbildung erfolgen, die als Voraussetzung für eine soziokulturelle Neuorientierung und damit als Grundlage für eine Nachhaltigkeitsreform verstanden werden können (Radke/Renn). Hauptziel der Einbindung von Bürger*innen in Entscheidungsprozesse kann dabei die Etablierung eines neuen Gemeinwohlverständnisses sein, das emanzipatorische Prozesse klimapolitischer Maßnahmen auf der Ebene von Identitäten und Alltagspraxis etabliere (Krüger).

In diesem Kontext analysieren Freier und Schneider die Folgen und Potenziale der seit einigen Jahren anhaltenden Klimaproteste. Dabei beleuchten sie die Einflussmöglichkeiten klimapolitischen Protests auf politische Prozesse und gehen der Frage nach, inwiefern Klimaproteste dazu beitragen können, dass Klimawandel nicht mehr nur als abstraktes globales Phänomen wahrgenommen wird, sondern das Gefühl der eigenen Betroffenheit vermitteln kann. Mögliche Gefahren für die Demokratie werden in diesem Kontext jedoch in der Erzeugung eines „Katastrophennarrativs“ gesehen.

Doch nicht nur die Partizipation der Bürger*innen sei für die zukünftige Gestaltung klimapolitischer Maßnahmen relevant, sondern auch die Frage nach einem verbindlichen Kern innerhalb der Nachhaltigkeitsdebatte, damit der Begriff der Nachhaltigkeit nicht zu einem leeren Signifikanten verkomme (Großmann/Rosskamp). Genauso relevant sei es im Hinblick auf unterschiedliche Ausgestaltungen von Zukunft, geschichtsphilosophisch vergangene Vorstellungen von Zukunft zu beleuchten (Zorn). Insgesamt wird in diesem Kapitel die Grundlage geschaffen, um im Folgenden intensiver auf einzelne Aspekte der Klimadebatte und ihrer Ausgestaltung einzugehen.

Im zweiten Teil des Sammelbandes wird in acht Beiträgen die Komplexität von Nachhaltigkeit und Zukunft unter der Überschrift „Manifeste und potenzielle Konflikte, ob der (nicht ganz so) großen Transformation“ beleuchtet. In diesem Teil verschiebt sich der Fokus auf die Akteur*innenebene und stellt deren unterschiedliche Aspekte und Konflikte in Bezug auf die Energiewende vor. Dabei werden auch gesellschaftliche Einstellungen und Lebensweisen berücksichtigt.

In den einzelnen Beiträgen greifen die Autor*innen unterschiedliche Aspekte der Nachhaltigkeitsdebatte auf und erläutern, zwischen welchen Akteur*innen Konfliktpotential entstehen könne und welche Folgen diese Konflikte nach sich ziehen würden. Dabei werden unter anderem die möglichen Konfliktpotenziale von Stadt-Land-Disparitäten (Kerker), struktureller Unterschiede auf sozial-ökonomischer Ebene (Eversberg) oder gegenläufiger Positionen und Interessen in Bezug auf die Energiewende als gesellschaftliches Transformationsprojekt (Teune) aufgezeigt.

Im weiteren Verlauf des Kapitels kommen zudem Potentiale für mögliche Vereinnahmungen dieser Konflikte zur Sprache. Die jeweiligen Autor*innen legen dar, inwiefern die Energiewende vor dem Hintergrund äußerer konfliktverschärfender Entwicklungen betrachtet werden könne. Diese kämen beispielsweise durch die neue geopolitische Komponente in Bezug auf erneuerbare Energien anstelle von fossilen Brennstoffen im Zuge des Ukraine-Krieges oder durch das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte in Europa und deren Erschließung von Energiewende und Klimaschutz als Propagandafeld zustande (Reusswig/Lass/Bock). In diesem Kontext wird auch die wiederkehrende diskursive Auseinandersetzung mit dem Narrativ des „Blackouts“ thematisiert, das seit den 1970ern verwendet wurde, um den Kohle- und Atomausstieg zu delegitimieren und das als Teil eines Verschwörungsmythos im Zuge des Ukraine-Krieges wieder aktuell geworden sei (Häfner/Haas). Außerdem werden in diesem Kapitel Konfliktpotentiale zwischen wirtschaftlichen, zivilgesellschaftlichen sowie politischen Akteur*innen anhand einzelner Fallbeispiele aufgezeigt. So stellen Momberger und Biekmann die Prozesse, Konflikte und Einstellungen rund um den Braunkohleausstieg im rheinischen Revier vor, Fink und Ruffing widmen sich den Beteiligungsverfahren im Zuge des Baus von Stromtrassen.

Insgesamt wird in diesem Teil des Sammelbandes deutlich, dass klimapolitische Maßnahmen als gesamtgesellschaftliches Projekt gedacht werden und demnach auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen in diesen Prozess miteinbezogen werden müssen. Insbesondere im zweiten Kapitel des Buches immer wieder herausgestellt, dass Maßnahmen, die als Top-down-Verfahren von „außen“ oder „oben“ durchgesetzt werden, zu Unverständnis und Unzufriedenheit führen können. In diesem Kontext erörtern Mokros und Schatzschneider, welche Potenziale die Soziale Arbeit in Bezug auf die Energiewende bieten kann und inwieweit diese als „politische Vermittlungsinstanz“ vor dem Hintergrund von Strukturwandelprozessen, Defiziten der Demokratie und einem Scheitern eines sozial gerechten Vollzugs der Energiewende einen Beitrag leisten.

Von diesem Ausgangspunkt aus werden im dritten Teil des Sammelbandes unter der Überschrift „Wie weiter?“ in sechs weiteren Beiträgen mögliche Zukunftsvorstellungen beschrieben und auch Empfehlungen für zukünftige Handlungsoptionen angeboten. Dabei werden thematische Rückbezüge zu den Beiträgen aus den ersten beiden Teilen des Sammelbandes hergestellt.

Auch in diesem Teil stehen deliberative Beteiligungsverfahren zur Diskussion. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob neue Räume für die Aushandlung von Politikoptionen erschlossen werden müssen, wie die Bevölkerung in Entscheidungsverfahren einbezogen werden kann und ob so Verhandlungen über Klimaschutzmaßnahmen erleichtert werden, die das Vertrauen in repräsentative Politik stärken (Blum/Colell/Teichel). Ein ähnliches Vorgehen wird auch von Herbst, Simmank und Vogel anhand des Konzepts der „Sozialen Orte“ diskutiert. Mit diesem Konzept plädieren sie dafür, dass Gesellschaft von lokalen und konkreten sozialen Orten her gedacht werden müsse. In dem Beitrag lässt sich ein Rückbezug zu dem bereits diskutierten Stadt-Land-Disparitäten feststellen: Die Autor*innen sehen das Konzept der sozialen Orte als Möglichkeit , Diskrepanzen zwischen Stadt und Land aufzulösen und eine bessere Repräsentation der Bevölkerung ländlicher Räume zu gewährleisten. Dass eine fehlende Akzeptanz der Bevölkerung für klimapolitische Maßnahmen vor allem lokal diskutiert werden muss, wird auch am Fallbeispiel der Analyse zu Windparkprojekten deutlich (Glanz/Schönauer/Dossner/Nowack). Die Autor*innen dieses Beitrages argumentieren, dass als ein wesentliches Mittel zur Erhöhung der Akzeptanz dieser Maßnahmen dialogorientierte Beteiligungsverfahren als Instrument zur Moderation lokaler Konflikte dienen können.

In diesem Kontext sind allerdings nicht nur aktive Akteur*innen der Energiewende relevant, sondern auch deren Wahrnehmung durch „die schweigende Mehrheit“ der Unbeteiligten mit ihren jeweiligen Erwartungen an Transformationsvorhaben zu berücksichtigen (Marg/Kuhlmann). Auch die Bedeutungskraft klimapolitischen Protests wird im dritten Teil des Sammelbandes erneut aufgegriffen, in diesem Fall am Beispiel von „Fridays for Future“ (Schweiger/Kretzer/Abdulnabi Ali). Dabei analysieren die Autor*innen die Kommunikation von „Fridays for Future“ und diskutieren, inwiefern diese in Systemen der Wissenschaft, der Wirtschaft und des Rechts anschlussfähig ist und welche Wirkung die Bewegung erzeugen und aufrechterhalten kann. Doch nicht nur das Handeln einzelner Akteur*innen und die demokratische Einbindung der Bevölkerung werden in diesem Kapitel diskutiert, sondern auch das Handeln des Staates in der Energiewende. Dies geschieht exemplarisch anhand der genauen Betrachtung der spezifischen Ausprägung des Staates als kapitalistischer Wettbewerbsstaat anhand des Kohleausstiegs und der Regionalentwicklung in der Lausitz (Haas/Neupert-Doppler).

Die Debatte um die Forderung nach mehr klimapolitischen Maßnahmen im Zuge der Energiewende und die allgemeine Nachhaltigkeitsdebatte sind hochaktuell. Sie sind nicht nur durch immer spürbarer werdende Auswirkungen des Klimawandels, sondern auch vor dem Hintergrund des Ukrainekrieges und der neuen geopolitischen Perspektive auf erneuerbare Energien in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Insgesamt ermöglicht der Sammelband einen umfassenden Einblick in die Diskurse um deutsche Energiewende-, Klima- und Nachhaltigkeitsdebatten und beleuchtet dabei insbesondere die relevanten Akteur*innen, Standpunkte, Aushandlungsprozesse und Konfliktpotenziale. Besonders die Verschränkung von Nachhaltigkeit und Demokratie wird in den gesammelten Beiträgen immer wieder besonders herausgestellt, indem die Relevanz deliberativer Verfahren für die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteur*innen in die Aushandlung und Umsetzung struktureller Transformationen thematisiert wird. In den Beiträgen wird hervorgehoben, dass Klimaschutz und die dazu notwendigen Transformationen vor allem als gesamtgesellschaftliches Projekt zu verstehen sei und demnach auch die Bürger*innen an der Entwicklung, Ausarbeitung und Umsetzung entsprechender Ideen, Projekte und Maßnahmen beteiligt werden müssen. Es wird ein weiteres Mal deutlich, dass nicht die Erkenntnis darüber, dass mehr für den Klimaschutz getan werden muss, oder etwa die Bereitschaft diesbezüglich Maßnahmen zu ergreifen, zu Schwierigkeiten innerhalb der Klimadebatte führen. Das zentrale Problem stellt hauptsächlich die Frage danach dar, wie dies am besten gelingen kann, ohne einzelne Bevölkerungsgruppen strukturell zu benachteiligen oder die Akzeptanz und Unterstützung innerhalb der Bevölkerung zu verlieren.

Durch die Einbeziehung der Bevölkerung und vermehrte deliberative Beteiligungsverfahren, könnte einem Gefühl des Übergangen-Werdens, das zu Unzufriedenheit gegenüber politischen Maßnahmen führen kann, vorgebeugt werden. Dabei stellt sich jedoch auch nach wie vor die Frage, wie und in welchem Maße die Einbindung der Bevölkerung in die Prozesse auf den entsprechenden politischen Ebenen möglichst effektiv umgesetzt werden könnte. Mehr demokratische Einbindung könnte also einen Weg aus dem Dilemma der fehlenden Akzeptanz und des Vertrauensverlustes in die repräsentative Demokratie darstellen und dadurch auch neue Möglichkeiten der Verhandlung möglicher Zukünfte bieten.

 

CC-BY-NC-SA
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