Simon Schaupp: Stoffwechselpolitik. Arbeit, Natur und die Zukunft des Planeten
Unter dem Begriff der „Stoffwechselpolitik“ zeichnet Simon Schaupp nach, dass wir die ökologische Krise nur über unsere Arbeit verstehen werden: Seine These lautet, dass Arbeit menschliches Leben erst ermöglicht, aber in ihrer kapitalistischen Form auch die ökologische Krise verursacht. Leon Switala spricht dem Buch in seiner Rezension eine bahnbrechende Bedeutung zu, indem er Schaupps Erkenntnisse als unverzichtbar für jede weitere Studie ausweist – nicht ohne darauf hinzuweisen, dass mit Blick auf die praktischen Konsequenzen noch viel Arbeit vor uns liegt. (jm)
Simon Schaupp geht von dem Marxschen Gedanken aus, dass der Mensch durch seinen Stoffwechsel zugleich Einheit mit und getrennt von der Natur ist: Einheit, weil er als körperliches Wesen der Natur inhärent ist; getrennt, denn die Beziehung ist keineswegs fixiert, Natur muss erst nutzbar gemacht, das heißt, für menschliche Zwecke formatiert werden. Arbeit als Stoffwechsel mit der Natur ist dann insofern politisch, weil sie als gesellschaftlich institutionalisierte Form der Nutzbarmachung ständiger Aushandlung unterliegt. In der kapitalistischen Moderne treffen wir daher auf ein „Paradox der Nutzbarmachung“: „Je stärker der Mensch die Natur im Laufe seiner Geschichte geprägt hat, desto intensiver wirkt die Natur auf sein Leben zurück.“ (17). In Geiste der ersten Generation der Kritischen Theorie und mit einer schwachen negativen Geschichtsphilosophie spricht Schaupp daher auch von einer „reaktiven Expansion“ (46), die die Entwicklung der kapitalistischen Arbeitswelt bis heute prägt.
Das ist keine Selbstverständlichkeit in der gegenwärtigen Soziologie. Natur gilt hier oft nur als die Umwelt da draußen. Dementgegen wäre zu zeigen, dass keine Form der Arbeit ohne den Stoffwechsel mit der Natur denkbar ist. Und dieser ist nicht irgendwie organisiert, sodass die Ursache der ökologischen Krise „überhaupt nicht zuzuordnen“ (Reckwitz 2022) wäre, vielmehr ist es die industrielle Arbeit in der kapitalistischen Moderne und daher die Produktion statt der Konsumtion, die für das Verständnis der ökologischen Krise entscheidend sind. Dies lasse sich allerdings nicht durch Zeitdiagnosen aus dem Hochstand der Gegenwart erkennen, wie sie die kontemporäre Soziologie gern betreibt. Daher hat Stoffwechselpolitik eine „historisch-geografische Soziologie der Arbeit“ (20) zum Programm, um die Konflikte um die Institutionalisierung der Arbeit nachzuvollziehen.
Bevor Schaupp das historisch nachzeichnet, sind theoretisch-heuristische Vorüberlegungen notwendig. Mit Andreas Malm gesprochen, geht Natur dem Menschen ontologisch voraus, das heißt, Natur und Körper als Teil von ihr entziehen sich immer ein Stück weit kapitalistischer Nutzbarmachung. Daher spricht Schaupp von einer „relativen Autonomie der Natur“ (16) und einer „relative[n] Autonomie der Körper von der Arbeit, da diese nie völlig in ihrer Rolle als Arbeitskräfte aufgehen“ (48). Es brauche daher einen Begriff der Natur, auch wenn dieser negativ ist, das heißt, sich vollständiger praktischer und begrifflicher Kontrolle entzieht – ein Gedanke, der sich etwa bereits bei Alfred Schmidt findet, einem marxistischen Schüler Adornos. Schaupp stellt sich damit gegen jene, die den Begriff der Natur aufgeben wollen, etwa Dipesh Chakrabarty oder Bruno Latour. Bei ihnen komme es zur „logischen Unmöglichkeit“ (35) der ökologischen Krise, weil ihre Ursachen relativiert werden.
Schaupp präzisiert die Nutzbarmachung von Natur und Körper im Kapitalismus durch „Kontrolle“ und „Rationalisierung“ (37), also ihre Beherrschung und Restrukturierung zum Zweck ihrer Verwertbarkeit. Die Nutzbarmachung überwinde damit die übliche Trennung von Produktion und Reproduktion. Denn sowohl Produktion als auch Reproduktion „zielen auf die Nutzbarmachung von Natur und Arbeit ab.“ (43 f.) Weitergedacht eigne sich der Kapitalismus damit nicht nur Produktivkräfte, sondern „Re/produktivkräfte“ (44) an. Denn es seien die Körper der Menschen, die etwa durch Care-Arbeit fit für die Produktion gemacht werden. Daher sei Stoffwechselpolitik auch institutionalisierte „Körperpolitik“ (50).
In Kapitel zwei beginnt Schaupp seine historische Untersuchung der industriellen Arbeit mit der Hamburger Unternehmerfamilie Schimmelmann im 18. Jahrhundert. Das Imperium erstreckte sich über mehrere Kontinente und umfasst „die Kombination der drei historisch bedeutendsten Formen der Arbeit“ (56). Mit ihren Ländereien waren sie im ausklingenden Feudalismus verankert. Sie besaßen Fabriken, damit waren sie „Pioniere einer neuen Form von industrieller Lohnarbeit. Und als Plantagenbesitzer sowie Großinvestoren profitierten sie gleich doppelt von der Sklaverei.“ (56) Bei allen drei Formen der Arbeit kam es zur „Vernutzung von Natur und Arbeit“ (80) – besonders in den Kolonien. Um die Sklaven „vollständig zu unterwerfen“, entwickelte sich der „Kolonialrassismus“ (84). Aber hier machte sich auch ökologischer Eigensinn – verstanden als Praktiken der Umweltaneignung – geltend, der mit der Autonomie der Körper zusammenhängt: Sklav*innen entwickelten ein spezifisches „Umweltwissen“, um sich vor den Sklavenhaltern zu „verstecken“ (85).
Das Imperium Schimmelmann ging schließlich zugrunde, Sein Niedergang wurde durch die haitianische Revolution und die „Napoleonischen Kriege eingeleitet“ (92). Mit dem Verbot des Sklavenhandels wurde der wichtigste Geschäftszweig abgeschnitten und aufgrund der verschlafenen Umstellung von Wasser- auf Dampfkraft konnte die Produktion der Fabriken mit der Konkurrenz nicht mehr mithalten. Mit Andreas Malm argumentiert Schaupp daher, dass Wasserkraft zwar bereits auf Lohnarbeit basierte, aber erst die materiellen Eigenschaften von Kohle eine umfassendere Nutzbarmachung der Körper und Entfaltung der Re/produktivkräfte initialisiert habe. Der auf Kohle basierende Aufstieg des englischen Imperiums sei daher Sinnbild des Jevons-Paradoxes: Die Kohle führe nicht zur Verringerung, sondern wegen seiner Verfügbarkeit und energetischen Nutzbarkeit zur generellen Steigerung des materiellen Durchsatzes.
Kohle als primärer Energieträger veränderte den gesellschaftlichen Stoffwechsel grundlegend, wie Schaupp im dritten Kapitel argumentiert. Er zeigt, dass die Natur in Form der Kohle vielleicht keine Handlungsmacht hat, aber sie doch mindestens „ontologische Partei“ (146) sei. Denn die Einführung der Kohle am Beginn des fossilen Kapitalismus krempelte die Institutionalisierung der Arbeit kräftig um. Nicht nur wurde die gesamte Warenproduktion und Zirkulation revolutioniert, auch bildete sich erstmals so etwas wie eine proletarische Identität unter den Kumpeln durch die gemeinsame ökologische Erfahrung in den Schächten heraus. Kohle legte den Arbeitern wiederum Macht in die Hand, denn sie konnten durch den Streik die ganze Produktion und damit die gesellschaftlich-energetische Grundlage lahmlegen. Die ersten Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeberverbände bildeten sich. Es stand „Recht wider Recht“ (Marx), der Staat führte qua seiner Gewalt den Normalarbeitstag ein. Mit der Kohle kam es auch zur Automatisierung der Textilindustrie, was zur „Ausdehnung und Abwertung der Arbeit und damit zu einer Krise der sozialen Reproduktion“ (141) führte. Aber die Kohle kannte auch Grenzen: Sie war teuer. Im „Kohlezeitalter“ bildeten sich „zwar die grundlegenden Institutionen der Sozialpartnerschaft“, aber „ein umfassender, auf hohen Löhnen und Massenkonsum basierender Klassenkompromiss konnte […] noch nicht entstehen“ (144).
Entgegen der ‚klassischen‘ Erzählung setzt Schaupp in Kapitel vier nicht mit dem Taylorismus fort, sondern macht einen Schlenker zu den Chicagoer Schlachtfabriken der 1920er Jahre. Hier wurde nicht nur die moderne Arbeitswelt geboren, auch sind sie ein Paradebeispiel reaktiver Expansion, denn Fleisch zeichnet eine besondere Autonomie und „Widerspenstigkeit“ (150) aus: Es verwest schnell. Daher wurde das Fließband erfunden, Kühltransporter entwickelt und ganze Netzwerke an städtischen Lager- und Verkaufsräumen implementiert. Weiterhin wollen Produktion, Logistik und Verkauf organisiert werden, das führte in Chicago zur paradigmatischen „Trennung von Hand und Kopfarbeit“ (166), einer Wegmarke für die Entstehung von Büroarbeit und den Massenarbeiter, auf die sich später auch der Taylorismus und Fordismus stützen würden. Aber auch in der Schlachtfabrik kam es zu Streiks und einer „Bewegung für den Achtstundentag“ (160). Um den Streik zu brechen entwickelten Fabrikanten die „differenzielle Nutzbarmachung durch rassifizierte Arbeitsteilung“ (160). Als Antwort darauf würde später die Bürgerrechtsbewegung um Martin Luther King besonders aus den Gewerkschaften der Schlachthäuser in Chicago hervorgehen.
Industrielle Massentierhaltung verbraucht Unmengen an Getreide, was mitunter zur Entwicklung der industriellen Landwirtschaft führte. Schaupp zeichnet die Folgen dieser Entwicklung bis zur Globalisierung nach: Von der Zerstörung von Senken im globalen Süden und postkolonialer Ausbeutung bis hin zur Ermöglichung der Coronakrise, für deren Erreger die globalisierte Land- und Viehwirtschaft ideale Voraussetzung war.
Das fünfte Kapitel dreht sich um die „materielle Grundlage des modernen Lebens“ (195): Öl. Dessen kapitalistische Verwertung ist maßgebliche Ursache der ökologischen Krise. Wie kaum eine andere technische Entwicklung ist die Automobilität mit dem kometenhaften Aufstieg des Öls verbunden. Insgesamt argumentiert Schaupp hier stärker aus einer Makroperspektive, um parallele Entwicklungen in der Institutionalisierung der Arbeit nachzuzeichnen: Öl und Automobilität führten zu exponentieller Nachfrage nach sämtlichen Rohstoffen, suburbanen Lebensstilen, neuen Formen sozialer Reproduktion und einem staatlich verbrieften, auf „Massenkonsum“ basierenden „fossile[n] Klassenkompromiss“ (195). Letzterer ließe sich daher auch nicht brechen, als die ölfördernden Länder 1973 kurzzeitig den Hahn abdrehten – im Gegenteil: Die Krise wurde durch die Zerstörung gewerkschaftlicher Vormacht und einen nun primär kreditfinanzierten Konsum überwunden. Daher werde mit dem fossilen Klassenkompromiss auch „die übliche Einteilung in Fordismus und Postfordismus transzendiert“ (228). Nun steht der fossile Klassenkompromiss gegenwärtig stark unter Druck. Daher „lohnt [es] sich also, jene Krise genauer in den Blick zu nehmen, in welcher dem fordistischen Klassenkompromiss seine materielle Grundlage entzogen wurde“ (229).
Das macht Schaupp in Kapitel sechs. Denn woher zieht der Kapitalismus eigentlich seine regulierende Stabilität, wenn er immer wieder seine „eigenen stofflichen Grundlagen unterminiert“ (231)? Schließlich führten Deindustrialisierung, Rückbau des Sozialstaates und die Einführung des Toyota-Produktionssystems zu gesteigerter Vernutzung von Körpern und Natur. Diese konnte nur durch die „die Entwicklung und Bereitstellung von Reproduktivkräften“ (231) kompensiert werden. Aus dem Niedergang der fordistischen Lebensweise folgt bei Schaupp ein „Paradox der Nutzbarmachung“ (243): Die optimierte Produktion und gleichzeitige Eliminierung sozialer Auffangnetze vernutzte die Körper, was zu einem kapitalistischen Boom der Care-Arbeit führte, denn das hier vorhandene Körperwissen und die damit mobilisierbaren Re/produktivkräfte machte die Körper wieder fit. Reproduktionsarbeit sei dieser „Entwicklung insofern immanent“, als sie „in ihrer professionalisierten Form wesentlich von der Industrialisierung und dann der Deindustrialisierung hervorgebracht wurde“ (251).
Damit nähert sich Schaupp in Kapitel acht langsam der Gegenwart. Bisher wurde an spezifischen Wegmarken die reaktive Expansion nachvollzogen – aber wonach richtet sie sich eigentlich? Schaupps Antwort ist, dass es „Steuerungskräfte“ (254) seien, die die „Koordination des Stoffwechsels mit der Natur“ (290) im Kapitalismus ermöglichten, aber selbst kaum materieller Natur seien. Schaupp denkt dabei besonders an die Wissenschaften, denen neben ihrer kapitalistischen Nutzbarmachung kaum eigene „Souveränität“ (290) zukomme, da etwa Forschungsinstitute meist von „Kapitalinvestitionen“ (290) abhängig seien. Sie erführen immer dann einen Schub, wenn es durch die „Autonomie der Natur“ zu „Kontrollkrisen“ (268) komme. So wurde etwa das computergestützte Modellwissen, dass dem Bericht zu den Grenzen des Wachstums von 1973 zugrunde lag und wichtiger Wegbereiter der Erdsystemwissenschaft war, ebenfalls für die Frackingtechnologie genutzt, um auf die Ölkrise zu reagieren. Schaupp übt hier eine starke Kritik an hochprofessionalisierten „Wissensarbeiterinnen“ (286), die die Klimapolitik im globalen Norden tragen. Sie hätten meist privilegierte soziale Positionen inne und ihre akademische „Diskurspolitik“ (288) sei für das Gros der Bevölkerung kaum zugänglich. Für Schaupp vernachlässigen sie damit „häufig den Aufbau gesellschaftlicher Macht.“ (288)
Steuerungskräfte wie die Wissenschaften erlangen nur Wirksamkeit, wenn sie in Verhältnissen verankert sind, die sie ermöglichen. Das zeigt Schaupp in Kapitel acht anhand der finanzialisierten Steuerungsverhältnisse von Beton und Bauwirtschaft. Denn der Bauboom werde ermöglicht, weil Infrastrukturen beliebtes Anlageobjekt seien. Aus Angst vor Überakkumulation – dass man produzierte Waren nicht loswird – würden Profite lieber gleich in Gebäude und Brücken gesteckt, denn diese gelten als ‚nachhaltige‘ Anlage: lange Fertigstellung und Lebensdauer. Das entlarve den „Mythos von der vermeintlich immateriellen Finanzwirtschaft“ (328). Beton ist nach Erdöl nicht nur zweitgrößter CO2-Emmitent. Auch ist der benötigte grobkörnige Sand mittlerweile knapp. Die Bauindustrie ist Schaupp zufolge nicht nur eine zentrale Ursache der ökologischen Krise, hier werden auch ihre „Auswirkungen“ (313) deutlich sichtbar, denn die Arbeit findet maßgeblich im Freien statt. Hier setzt Schaupps eigene soziologische Forschung an. Durch Interviews mit Schweizer Bauarbeiter*innen zeigt er nicht nur, dass diese einen ökologischen Eigensinn hätten, eine Dimension, die in der Soziologie häufig vernachlässigt werde. Entgegen der Wissensarbeiter*innen entwickelten sie in ihrer Tätigkeit ein Umweltwissen, dass sich „kritisch wenden“ (323) ließe. Denn neben ihrer Machtposition in der Produktion, hätten sie ein Gespür für nachhaltiges Bauen. „‚Naturschutz‘ als von der Arbeit losgelöste Kategorie spielt für sie eine weit weniger wichtige Rolle“ (328).
Was tun gegen Vernutzung von Körpern und Natur? Im letzten Kapitel resümiert Schaupp, dass die Akkumulationsdynamik des Kapitals wesentlicher Treiber der ökologischen Krise ist, weil Wachstum Steigerung des Materiedurchsatzes bedeutet und den „Riss im Stoffwechsel“ (Marx) verursacht. Wie er gezeigt hat, verlaufe dieser Riss quer durch Mensch und Natur. Der Kapitalismus hat für Schaupp eine irreversible Vernutzung, also Nutzlosigkeit zur Folge. Dem setzt er eine transformative und „lustvolle Politik der Nutzlosigkeit“ (363) entgegen. Für diese habe besonders die „Forderung nach einer radikalen Verkürzung und Neuverteilung der Arbeitszeit das Potenzial, transformative Bündnisse zu stiften, nicht nur zwischen Arbeiterinnen- und Klimabewegung, sondern auch mit feministischen Kämpfen“ (358). Das lustvolle an einer solchen Ausrichtung der Stoffwechselpolitik wäre es, dass Mensch oder Natur nicht mehr instrumentell zum Zwecke ihrer Verwertbarkeit nutzbar gemacht werden.
Schaupp hat ein längst überfälliges Buch zur Arbeit in der ökologischen Krise geschrieben, dass seiner Zeit in vielen Belangen leider immer noch weit voraus ist. Jede Soziologie der Arbeit und jede Beschäftigung mit der ökologischen Krise darf nicht mehr hinter eine Analyse der stofflich-materielle Dimensionen der Krise zurückfallen, da sie sonst schlicht „nichts zu beißen hätte“ (Adorno). Das hat Schaupp eindrücklich gezeigt. Ein breiter Arbeitsbegriff und die Befreiung des ökologischen Denkens von romantischen Ausprägungen sind Voraussetzung hierfür. Strategisch macht Stoffwechselpolitik deutlich: Der Kapitalismus ist auf Arbeit und Natur angewiesen – und erweist sich gerade hier als angreifbar.
Abschließend würde ich gern noch zwei Aspekte diskutieren. Der erste betrifft das Verständnis der ökologischen Krise. Um das sich abzeichnende Aufbrechen des fossilen Klassenkompromisses, das Herausbilden eines „Green New Deal“ sowie die Umstellung auf „regenerative Energien“ zu verstehen, könne man sich laut Schaupp zum Vergleich jene Krise angucken, „in welcher dem fordistischen Klassenkompromiss seine materielle Grundlage entzogen wurde“ (229). Schaupp tat dies anhand der Krise des Fordismus und ihrer Bearbeitung durch die kapitalistisch organisierte Care-Arbeit. Doch das ist wenig nachvollziehbar. Denn die sich gegenwärtig abzeichnende Aufkündigung des fossilen Klassenkompromisses und die Herausbildung eines grünen Kapitalismus werden damit bei Schaupp gar nicht diskutiert. Das aber sind Phänomene mit ganz eigener Tragweite, die die ökologische Krise erst verständlich machen. Das zeigt sich nicht nur empirisch unter anderem an der massiven Erschließung von Minen im Lithium-Dreieck oder der Tesla-Fabrik in Grünheide. Darüber hinaus führt der grüne Kapitalismus global betrachtet zur Restrukturierung der Arbeit, sich verschärfender globaler Ungleichheit, Implementierung einer ganz anderen energetischen Grundlage und einer massiven Konkurrenz um Rohstoffe. Für ein Verständnis dieser Dynamiken der ökologischen Krisen und der damit einhergehenden Aufkündigung des fossilen Klassenkompromisses reicht es nicht, sie vor dem Hintergrund einer vergangenen Krise zu betrachten, wie Schaupp vorschlägt. Sie bedürften einer eigenen Darstellung. Aber bestimmt werden wir über diese wichtige Entwicklung der ökologischen Krise in zukünftigen Arbeiten von Schaupp etwas erfahren.
Ein zweiter Diskussionspunkt betrifft Schaupps Ideen zur praktischen Bearbeitung der Krise. Schaupp zeigt, dass wir uns nicht nur auf die Sphäre der Produktion konzentrieren, sondern auch die hier arbeitenden Menschen mobilisieren sollten, und er schlägt vor, dass es zu einer „radikalen Verkürzung und Neuverteilung der Arbeitszeit“ (358) kommen müsste, um die ökologische Krise zu bearbeiten. Aber geht die Verkürzung von Arbeitszeit weitgenug, um die durch den Kapitalismus verursachte ökologische Krise zu bearbeiten? Folgt man seiner eigenen und vielen anderen Analysen – etwa der von Andreas Malm –, dann ist der kapitalistische Wachstumstrieb wesentliche Ursache der ökologischen Krise, denn er geht mit explodierendem Materie- und Energiedurchsatz einher. Dieses Wachstum wird aber nicht einfach nur getragen von Arbeit, sodass weniger arbeiten keine Lösung wäre. Das vernachlässigt zu sehr die gesellschaftlichen Verhältnisse, die das destruktive Wachstum erst ermöglichen. Denn warum können die oben genannte Finanz- und Baubranche genauso wie fossile Konzerne oder die Vorreiter des grünen Kapitalismus quasi unbegrenzt auf die Ware Arbeitskraft oder Rohstoffe zugreifen? Es sind die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse, die diese Prozesse von der Öffentlichkeit abschirmen. Müsste man zur Unterbrechung des Wachstumstriebs daher strategisch nicht mittelfristig über Enteignung und Vergesellschaftung nachdenken, um die irreversible Vernutzung von Körpern und Natur wirklich zu stoppen?
Literatur
- Adorno, Theodor W. (1957/58): Erkenntnistheorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Marx, Karl (1890): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, in: Marx-Engels-Werke, Band 23, Berlin: Dietz.
- Reckwitz, Andreas (2022): Verlust und Moderne – eine Kartierung, in: Merkur 76 (872), S. 5–21.
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Weiterführende Links
Simon Schaupp, Jan Groos / 17.03.2024
Simon Schaupp zu Stoffwechselpolitik
Future Histories Podcast