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Rezension / 29.09.2023

Axel Honneth: Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit

Berlin, Suhrkamp 2023

Axel Honneth möchte einen „blinden Fleck“ gegenwärtiger Demokratietheorien ausleuchten, indem er die kapitalistischen Arbeitsverhältnisse auf ihre Demokratieverträglichkeit hin untersucht. Um „den Abstand zwischen politischer Demokratie und sozialer Arbeitsteilung so klein wie möglich werden zu lassen“, entwickelt er auf der Grundlage eines erweiterten Arbeitsbegriffs und Überlegungen zur gesellschaftlichen Funktion der Arbeitsteilung einen neuen theoretischen Rahmen. Darüber hinaus diskutiert Honneth Möglichkeiten, auf welchem Wege eine Demokratisierung der Arbeit gelingen kann.

 

Debatten über eine faire und gerechte Gestaltung von Arbeitsverhältnissen sind in den 1980er-Jahren ausführlich geführt worden; dabei ging es ebenso um Fragen der Wirtschaftsdemokratie und Möglichkeiten einer Alternativökonomie wie um Pfade jenseits der Arbeitsgesellschaft. Diese Diskussionen sind versiegt und seit langem hat sich die Aufmerksamkeit der politischen Öffentlichkeit – so der Ausgangspunkt Axel Honneths – von der „Sphäre der Arbeit abgewandt und auf die Ebene soziokultureller Missstände und Konflikte verlagert“ (290). Begünstigt wurde diese Verschiebung auch durch eine Demokratietheorie, die strukturelle Fragen der Arbeitsgesellschaft beinahe schon programmatisch vernachlässigt. Honneth möchte mit seiner ebenso materialreichen wie differenzierten Studie dem „arbeitenden Souverän“ – so der gelungene Titel des Buches – zu seinem Recht verhelfen und das notwendige Ergänzungsverhältnis von fairer Arbeitsteilung und politischer Demokratie zum Thema machen.

In den ersten drei Kapiteln werden die normativen Grundlagen der Untersuchung anhand der Frage entwickelt, was als gute oder angemessene Organisation gesellschaftlicher Arbeit gelten kann. In einer knappen historischen Rekonstruktion setzt sich Honneth mit drei relevanten Varianten der Kritik kapitalistischer Arbeitsverhältnisse auseinander (20 ff.). Die an Marx anschließende Entfremdungskritik, welche die durch die Produktionsverhältnisse erzwungene Sinnentleerung von Arbeit in den Mittelpunkt rückt, bleibe hinsichtlich der Merkmale nicht-entfremdeter Tätigkeiten sehr interpretationsbedürftig und tendiere letztlich zu einem ethischen Individualismus. Die im Kontext des republikanischen Denkens vertretene Kritik der Heteronomie kapitalistischer Lohnarbeit konzentriere sich auf Eigentumsverhältnisse, vernachlässige aber qualitative Fragen der Strukturen gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Das dritte – demokratische – Paradigma schließlich, dem die weiteren Überlegungen Honneths folgen, sehe in einer wohlorganisierten und fairen Arbeitsteilung die „nicht ersetzbare Voraussetzung für die Inklusion aller Staatsbürger:innen in die demokratische Willensbildung“ (42). Dieses Paradigma sei den anderen beiden überlegen, weil es erstens auf die Demokratie als dem höherstufigen Prinzip ausgerichtet sei und zweitens die Defizite der kapitalistischen Arbeitswelt daran messe, ob sie eine demokratische Beteiligung der Beschäftigten untergraben und drittens auf die Vorstellung eines feststehenden Endzwecks aller Reorganisationen von Arbeit verzichte.

Die gegenwärtige Demokratietheorie lasse für die Frage, ob unter den gegebenen Bedingungen die Beschäftigten von ihren Mitwirkungsrechten tatsächlich Gebrauch machen können, nur wenig Aufmerksamkeit erkennen (80 ff.). Honneth macht für diesen „blinden Fleck“ die konzeptionellen Entscheidungen zweier ihrer prominenter Vertreter verantwortlich – namentlich die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls und die Diskurstheorie von Jürgen Habermas (81). Beide scheinen einerseits von der Annahme auszugehen, dass es keine funktionalen Alternativen zum bestehenden Allokationsmechanismus des Arbeitsmarktes gebe. Andererseits werden beide von einer bestimmten Lesart des Gleichheitsgebotes geleitet, die in der Diskriminierung einzelner Personen gegenüber anderen das primäre Gerechtigkeitsproblem erblickt. Diese Gleichsetzung von sozialer Benachteiligung mit Ungleichbehandlung – so Honneth – übersehe jedoch, dass eine faire Organisation der gesellschaftlichen Arbeit nicht allein von relationalen Aspekten abhängt, sondern ebenso von basalen Befähigungen und Ressourcen, „deren Höhe sich nicht am Vergleich mit anderen bemessen kann“ (89). Aus dieser Perspektive schlägt Honneth eine kategoriale Unterscheidung von fünf Dimensionen (ökonomischer, zeitlicher, psychologischer, sozialer und mentaler Art) vor, an denen sich ablesen lasse, ob die faktischen Arbeitsbedingungen eine Beteiligung am politischen Prozess überhaupt ermöglichen (93 ff.). Diese Kategorisierung hat den Status einer politisch zu füllenden Heuristik; die Bestimmung entsprechender Schwellenwerte – abhängig von kulturellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen – kann erst in öffentlichen Debatten erfolgen.

In einem ersten Exkurs stellt Honneth dann sein Konzept gesellschaftlicher Arbeit vor. In einer begriffsgeschichtlichen Rekonstruktion der Traditionslinie von John Locke, Adam Smith, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx arbeitet er zwei Kernbestimmungen von Arbeit heraus. Demzufolge bezeichnet Arbeit die formierende Herstellung von Produkten, deren Nutzen an der über den Arbeitsmarkt monetär realisierten Nachfrage gemessen wird. Damit gehören weder (personen- beziehungsweise unternehmensbezogene) Dienstleistungen noch das breite (überwiegend von Frauen erbrachte) Spektrum reproduktiver Tätigkeiten in privaten Haushalten zur Arbeit. Bekanntlich ist diese produktivistische und monetarisierte Engführung des Arbeitsbegriffs in sozialen Kämpfen – und namentlich von feministischen Bewegungen – entschieden kritisiert und konzeptionell korrigiert worden. Honneth schließt an diese Korrekturen im Sinne eines inklusiveren Arbeitsbegriffs an (137 f.). So wird der Begriff den Tätigkeitsformen nach erweitert. Er bezieht sich bei Honneth auf die Bearbeitung von Gegenständen im weiteren Sinne, die kommunikative Sorge um andere Personen und den symbolbezogenen Umgang mit Daten – die Marktnachfrage verliert ihre konstitutive Bedeutung. Im Ergebnis umfasst der Begriff alle sozial erforderlichen und regelmäßig ausgeübten Tätigkeiten, die in einer Gesellschaft dazu beitragen, „die gegebene Lebensform in ihren allgemein gewünschten Bestandteilen zu erhalten“ (138). Diese sachliche und soziale Erweiterung – vor allem die Aufnahme bisher nicht entlohnter Tätigkeiten – wirft indes Abgrenzungsprobleme gegenüber Aktivitäten auf, die lediglich aus partikular-privaten Motiven erfolgen. Bindet man gesellschaftlich ‚notwendige’ Arbeit an das, was aus Sicht einer sozialen Gemeinschaft als wertvoll zum Erhalt der eigenen Lebensform erscheint, dann ist dieser Kreis von anzuerkennenden Tätigkeiten nicht von außen – objektiv und interpretationsunabhängig – bestimmbar (140). Honneth sieht sehr wohl, dass man sich bei derartigen Abgrenzungsfragen auf „dünnem Eis“ bewegt (141), aber er ist zuversichtlich, dass angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Pluralisierung die Begründungsbedürftigkeit von Tätigkeitsformen – gerade auch der von sogenannten „Bullshit Jobs“ (David Graeber 2018) – eher zunehmen werde.

Mit einem „historischen Zwischenspiel“ (151 ff.) will Honneth den Abgrund sichtbar machen, „der sich in demokratischen Gesellschaften von Anfang an zwischen der sozialen Realität des kapitalistischen Arbeitsalltags und dem normativen Versprechen einer Einbeziehung der arbeitenden Bevölkerung in die öffentliche Willensbildung aufgetan hat“ (152 f.). Die betont skizzenhaften Darstellungen befassen sich – ausgehend vom 19. Jahrhundert bis an die Schwelle der Gegenwart – zunächst mit der Durchsetzung und dann mit der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses. Dieser Prozess – in der einschlägigen sozialhistorischen Literatur bekanntlich ausführlich behandelt – hat in Fragen von Lohnentwicklung, Arbeitsdauer und sozialrechtlicher Absicherung gewiss zu deutlichen Fortschritten geführt, die „eigentliche Substanz der Arbeitserfahrung ist aber doch überwiegend dieselbe geblieben“, weil die gesellschaftliche Arbeit nach wie vor eine Gegenwelt zur politischen Demokratie bildet (212). Für die aktuelle Diskussion relevanter sind indes Honneths Einschätzungen des in den 1970er-Jahren einsetzenden Strukturwandels hin zum digitalen Kapitalismus. Er hebt fünf Tendenzen hervor, die sich zum Teil überlappen und widersprüchliche Muster aufweisen, aber aufs Ganze gesehen einer demokratischen Politik der Arbeit entgegenstehen (241 ff.): (1) Zunehmende Atomisierung von Arbeitsabläufen getragen durch individualisierende Deutungsmuster; (2) Verbreitung dezentraler, netzwerkförmiger Organisationsformen, die verdeckte Entberuflichungen und Fragmentierungen individueller Erwerbsbiographien begünstigen; (3) tendenzielle Entkörperlichung konkreter Arbeitsvollzüge zugunsten der visuellen Erfassung von Symbolen; (4) anschließend an Privatisierungen des öffentlichen Sektors zunehmende Kommodifizierung sozialer und häuslicher Dienstleistungen; (5) wachsende Entsicherung und Prekarisierung gesellschaftlicher Arbeit auch in Kernbereichen des Beschäftigungssystems.

Demokratieförderung – das Thema des zweiten Exkurses – ist nur durch eine Reorganisation und Neujustierung der sozialen Arbeitsteilung möglich. Auch hier sieht Honneth einen blinden Fleck der heute maßgeblichen Sozialtheorien, die – ganz anders als noch Émile Durkheim – den Verflechtungen der gesellschaftlichen Arbeit keine relevante Bedeutung zur Erklärung der sozialen Integration mehr beimessen. Demgegenüber richtet sich Honneths Interesse auf die Ebene der Konstitution sozialer Beziehungen, zu der die Arbeitsteilung einerseits in Gestalt der Differenzierung von Branchen und anderseits durch die Organisation von Arbeitsprozessen innerhalb von Betriebs- oder Verwaltungseinheiten beiträgt. Der Geltungsbereich der Arbeitsteilung ist weit gefasst: Sie betrifft alle, also auch unbezahlte Tätigkeiten, die sich einem sozial verallgemeinerbaren Zweck zuordnen lassen (258). Auch wenn man an dieser Stelle fragen mag, anhand welcher Kriterien (und Verfahren) die Grenze zwischen verallgemeinerbaren und nicht-verallgemeinerbaren Zwecken gezogen werden könnte, so ist doch die Zurückweisung marktvermittelter Nachfrage als alleiniges Definitionsmerkmal von Arbeit normativ überzeugend.

Das Ziel einer demokratiefördernden Neujustierung von Arbeitsteilung setzt indes die Möglichkeit einer gezielten Veränderung bestehender Organisationsformen voraus. Honneth versucht in diesem Zusammenhang zwei konventionelle und gegenteilige Annahmen zu entkräften. Ein „voluntaristischer Fehlschluss“, der die faktische Verteilung von Arbeitsrollen auf die freie Berufswahl von Individuen zurückführt, ignoriere die empirisch vielfach beobachteten – etwa schicht- oder ideologiebedingten – Selektivitäten bei Zugängen zu Berufspositionen (260 ff.). Der weiter verbreitete „deterministische Fehlschluss“ erklärt die bestehende Arbeitsteilung als Ergebnis technologischer Zwänge, die sowohl branchen- wie berufsbezogen aufgrund von Erfordernissen der Produktivität und Effektivität nur wenige Spielräume für Umgestaltungen ließen (268 ff.). Relevante Studien der Wirtschafts- und Arbeitssoziologie haben jedoch – so Honneth – zeigen können, dass Entscheidungen für spezifische Produktionsmethoden beziehungsweise für die Etablierung bestimmter Berufsbilder (und korrespondierender Anforderungsprofile) Ausdruck institutionell geronnener Kompromisse sind, für deren Zustandekommen soziale Kämpfe, divergierende Interessenlagen und politisch-strategische Kalküle deutlich wichtiger sind als technologische Annahmen .

Das von Honneth vertretene Verständnis von Arbeitsteilung hat erhebliche Konsequenzen für den Entwurf von Politiken der Arbeit, die eine Demokratisierung der gegebenen Arbeitsverhältnisse selbst verfolgen wollen. Wenn die soziale Arbeitsteilung eine der ganz wenigen Quellen ist, „aus der sich heute noch ein Sinn fürs gesellschaftlich Allgemeine speist“ (299), weil sie ein Heraustreten aus „den engen Zirkeln von Verwandtschaft, Nachbarschaft und freiwilligen Vereinigungen“ erzwingt und die Begegnung mit ansonsten fremden Personenkreisen ermöglicht (300), dann verstricken sich Ansätze, die wie das bedingungslose Grundeinkommen auf eine Befreiung von der Arbeit gerichtet sind, in kaum auflösbare Widersprüche. Die von ihren Anhängern gehegte Hoffnung, die Einführung eines Grundeinkommens werde demokratisches Engagement fördern, bleibe die Antwort schuldig, worauf sich dann die Bereitschaft zur übergreifenden Kooperation gründen würde. Honneths zentraler Einwand lautet, dass ein System des bedingungslosen Grundeinkommens bereits bestehende Tendenzen der sozialen Vereinzelung und Isolation noch weiter verstärken werde (302 ff.).

Immerhin verweisen auch die Debatten zum Grundeinkommen auf sehr unterschiedlich motivierte Einwände gegen das herrschende Beschäftigungssystem, denen jedoch – anders als zu Zeiten einer starken Arbeiter*innenbewegung – programmatische Stoßrichtung und entsprechende kollektive Rahmung fehlen; die verfügbaren empirischen Befunde über aktuelle Widerstandsformen scheinen bisher eher auf reaktive oder negativistische Praktiken hinzudeuten. Eine demokratische Politik der Arbeit könnte daher nur im Modus „vorausgreifender Praxis“ erfolgen (318) – sie muss an schon bestehende Widerstände und Kritiken gegenüber den gegebenen Arbeitsbedingungen anschließen und diese in einen „gemeinschaftsstiftenden und normativ rechtfertigungsfähigen Interpretationsrahmen“ einfügen, der zugleich die kollektive Zustimmung der Betroffenen gewinne (317 f.). Für Honneth ergeben sich daraus nur zwei Optionen einer demokratischen Arbeitspolitik: Einerseits die Suche nach institutionellen Alternativen zum Arbeitsmarkt und andererseits entschiedene Reformen der Organisationsstruktur des Beschäftigungssystems selbst.

Diese beiden Optionen sind Gegenstand der beiden letzten Kapitel des Buches und sie enthalten, was die dort vorgestellten Beispiele betrifft, eigentlich nichts, was nicht auch schon von einer sozialwissenschaftlich ausgerichteten Arbeitsmarktforschung – sei es deskriptiv, sei es im Kontext politischer Interventionen – aufgegriffen und dann zumeist differenzierter behandelt worden wäre. Allerdings beabsichtigt Honneth auch nicht, spezifische Organisationsmodelle auf operativer Ebene zu diskutieren, ihm geht es „lediglich um eine grobe Markierung normativer Fluchtlinien“ (350), die mit dem Vorhaben einer Demokratisierung der Sphäre der Arbeit vereinbar wären. Als Alternativen jenseits des Arbeitsmarktes hebt er zwei Ansätze hervor: Einerseits die Einführung eines obligatorischen oder freiwilligen Sozialdienstes und andererseits die Förderung selbstverwalteter Betriebe und Genossenschaften. Ein obligatorischer Sozialdienst – als regelhafte ein- bis zweijährige Dienstverpflichtung bestimmter Alterskohorten – würde sich auf gemeinwohlorientierte Tätigkeiten (beispielsweise in den Bereichen Erziehung, Pflege oder Müllentsorgung) beziehen. Demokratieförderlich sei dieses Instrument, weil es auf Basis kurativer Tätigkeiten Möglichkeiten sowohl zur Einübung gesellschaftlicher Solidarität bieten als auch zur Entlastung von Beschäftigtengruppen im Gesundheits- und Sozialwesen beitragen könnte. Ein staatlich geförderter, freiwilliger Sozialdienst in Regie von Sozialverbänden, Kirchen oder Gewerkschaften würde demgegenüber Arbeitslosen Gelegenheit zur Reintegration und Weiterbildung bieten. Der Königsweg zur Gestaltung einer demokratieverträglichen Arbeitswelt liegt für Honneth jedoch in der schrittweisen Umwandlung von privaten und staatlichen Unternehmen in autonom geführte Produktionsgenossenschaften (333 ff.). Auch dieser Ansatz – der sich auf eine sehr breite und überwiegend zustimmende Literatur berufen kann – bedürfte einer fördernden institutionellen Rahmung. Zu fragen wäre zudem, ob es sich bei den Instrumenten Sozialdienst und Genossenschaften tatsächlich um Alternativen und nicht vielmehr um Ergänzungen des herkömmlichen Arbeitsmarktes handeln würde (Offe 1984).

Ähnlich verweist Honneth bei den Perspektiven innerhalb des Arbeitsmarktes vielfach auf Verfahren, die in unterschiedlicher Intensität schon praktiziert wurden. Als übergreifende strategische Prämisse hebt er – wie beispielsweise auch Robert Castel (2011, 76 ff.) – hervor, dass weitergehende Reformschritte jedoch ohne die Rückeroberung jener Errungenschaften aussichtslos bleiben müssen, die zum normalisierten Lohnarbeitsverhältnis gehören und im Zuge neoliberaler Eingriffe in das wohlfahrtsstaatliche System vielfach eingeschränkt wurden. Konkret gehören dazu die Austrocknung des Niedriglohnsektors und die Institutionalisierung lohnabhängiger Bürgerrechte (347 ff.). Darüber hinausgehende Ansätze zur Demokratisierung des Arbeitsmarktes orientieren sich an den vom Autor bereits dargestellten Dimensionen, die für die Wahrnehmung demokratischer Mitwirkung im Rahmen sozialer Arbeitsteilung relevant sind. Auf zwei Probleme geht Honneth ausführlicher ein. Anerkennungsdefizite einzelner Tätigkeitsbereiche oder ganzer Berufsgruppen – bei denen sich soziale Geringschätzung und epistemische Selbstzweifel überlagern und so demokratische Mitwirkung nahezu blockieren – verlangen nicht nur eine symbolisch ansetzende Änderung des herrschenden Wertesystems, sondern ebenso eine Aufwertung der Arbeitsbedingungen. Das gilt umso mehr, wenn Tätigkeiten – wie vielfach im unteren Sockel des Dienstleistungssektors und der Industriearbeit – von auslaugender Monotonie, Intitiativlosigkeit und Vereinzelung gekennzeichnet sind. Hier könnten – so Honneth – Durkheims Analysen zu den Folgen anomischer (erzwungener) Arbeitsteilung (Durkheim 1992, 443 ff.) lehrreich sein, denen zufolge eine Anreicherung tätigkeitsbezogener Aufgaben (beispielsweise aus angrenzenden Berufsfeldern) der Isolierung entgegenwirken könnte, wenn damit die jeweilige Arbeit dadurch als sinnvoller Beitrag zur gemeinsamen Kooperation erfahrbar werde (368 ff.). Ein weiteres Instrument zur Überwindung der Individualisierung, die ja gerade in digitalisierten Arbeitsformen zunehme, stellten Praktiken dar, die „die Gruppe erneut als das originäre Subjekt allen Arbeitens“ etablieren (376). Auf kollektiver Ebene schließlich bleibt die Mitbestimmung – trotz aller Bürokratisierungstendenzen der Gewerkschaften – ein wichtiges Verfahren, um den Arbeitsmarkt von innen heraus für den demokratischen Prozess zu öffnen (385).

Fazit
So kursorisch die von Honneth in den letzten beiden Kapiteln herangezogenen Beispiele auch erscheinen mögen, mit Blick auf das Ziel, „den Abstand zwischen politischer Demokratie und sozialer Arbeitsteilung so klein wie möglich werden zu lassen“ (387), markieren sie doch Fragestellungen, denen eine Politik der Arbeit heute nachgehen müsste. Die eigentliche Stärke des Buches aber liegt in dem Umstand, dass es Honneth – zumal mit seinen Überlegungen zum Arbeitsbegriff und zur Funktion von Arbeitsteilung – gelungen ist, das Verhältnis von gesellschaftlicher Arbeit und Demokratie in einen neuen theoretischen Rahmen zu stellen. Es wäre daher zu wünschen, dass diese Überlegungen nicht nur im Rahmen von Demokratietheorien Anschluss fänden, sondern auch künftige sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Arbeit inspirieren könnten.


Literatur

  • Castel, Robert (2011): Die Krise der Arbeit. Neue Unsicherheiten und die Zukunft des Individuums. Hamburg Hamburger Edition.
  • Durkheim, Emile (1992 [1893]): Über soziale Arbeitsteilung. Studie über die Organisation höherer Gesellschaften. Frankfurt a. Main Suhrkamp.
  • Honneth, Axel (2023): Der arbeitende Souverän. Eine normative Theorie der Arbeit. Berlin Suhrkamp.
  • Graeber, David (2018): Bullshit Jobs: A Theory. New York, Simon & Schuster.
  • Offe, Claus (1984): "Arbeitsgesellschaft": Strukturprobleme und Zukunftsperspektiven. Frankfurt a. Main Campus.

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Suhrkamp Verlag

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