Skip to main content
Veranstaltungsbericht / 03.04.2025

Theorien, Debatten und Trennlinien beim größten deutschsprachigen Kolloquium der Friedens- und Konfliktforschung (AFK)

Zwischen Fake News, Demokratiefeindlichkeit und Wissenschaftsskepsis: Welche Konzepte und Praxis braucht die Friedens- und Konfliktforschung? Foto: © Josef Mühlbauer

Unter dem Leitthema „Zwischen Fake News, Demokratiefeindlichkeit und Wissenschaftsskepsis“ fand in Zeiten großer globaler Unsicherheit und historischer Umbrüche vom 19. bis 21. März 2025 das Kolloquium der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU) statt. Josef Mühlbauer berichtet über die zentralen Erkenntnisse und Debatten der Tagung.

Ein Veranstaltungsbericht von Josef Mühlbauer

Im Fokus der diesjährigen Tagung der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung (AFK) standen die Rolle der Friedensforschung in Zeiten von Desinformation, die Krise demokratischer Institutionen sowie die Infragestellung wissenschaftlicher Autorität. Über drei Tage hinweg diskutierten Forschende, Praktiker*innen und Studierende in Keynotes, über zwanzig Panels und zahlreichen Roundtables. Dabei wurden historische und aktuelle Konzepte, Methoden und Vermittlungsstrategien diskutiert. Am Ende blieb die Frage offen, wie eine gemeinsame Linie für zukunftsfähige Friedensarbeit und Friedensforschung aussehen könnte.

Stadtrundgang – Zur Geschichte von Landau

Vor der Tagung führte Gregor Walter-Drop (Friedensakademie Rheinland-Pfalz) durch Landaus ambivalente Geschichte als Festungs- und Garnisonsstadt. Er verband Architektur, Kultur und Friedenspolitik, wies auf die symbolische Rolle der Stadt für die deutsch-französische Freundschaft hin und zeigte, wie historische Konflikte die Ortsidentität prägen – passend zum Tagungsthema „Vergangenheit und Gegenwart in der Konfliktanalyse“. Landau, im 17. Jahrhundert unter Ludwig XIV. zur mächtigen Vauban-Festung ausgebaut, sicherte einst die französische Ostgrenze gegen das Heilige Römische Reich. Trotz dieser kriegerischen Vergangenheit wurde die Stadt ab dem 20. Jahrhundert zum Symbol der Versöhnung. Walter-Drop betonte die transformative Kraft kulturellen Austauschs (Städtepartnerschaften, Sprache, Kulinarik), wofür auch die Friedensakademie als ehemalige Festung steht. Der Rundgang verdeutlichte so friedenspolitische Transformationsprozesse.

Keynote-Diskussion zur Trump-Ära und geopolitischen Lage

Die Eröffnungsveranstaltung begann mit einer Willkommensrede von Simone Wisotzki (AFK/PRIF), Malte Drescher (RPTU) und Gregor Walter-Drop (Friedensakademie Rheinland-Pfalz), die den Rahmen für die thematische Ausrichtung der Tagung skizzierten. In einer Keynote-Diskussion über die friedenspolitischen und geopolitischen Implikationen von Donald Trump diskutierten Expert*innen die Ambivalenz, dass der US-Präsident sich zwar als „Global Peace und Deal Maker“ inszeniere, die multiplen Krisen jedoch weiter verschärfe – und das nicht nur rhetorisch. Aus realistischer Perspektive, so Florian Böller (Heidelberg Center for American Studies), handele Trump konsequent im Sinne nationaler Interessen: Seine „America First“-Politik priorisiere kurzfristige Machtsicherung durch unilaterale Maßnahmen wie Handelskriege (Zölle gegen China und die EU) oder den Abbau multilateraler Abkommen (Iran-Deal, Pariser Klimaabkommen). Der Angriff der USA auf den Jemen stärke – trotz katastrophaler humanitärer Folgen – seine strategischen Bündnisse, um den regionalen Einfluss gegen den Iran zu wahren. Gleichzeitig inszeniere sich Trump durch symbolische Friedensgesten wie den Abraham-Abkommen zur Normalisierung arabisch-israelischer Beziehungen als „Deal Maker“. Hier nutze er die „Soft Power", die auf wirtschaftliche und kulturelle Anreize (zum Beispiel US-Investitionen in den UAE) setzt, um Kooperation zu erkaufen. Diese Ambivalenz – Machtpolitik einerseits, selektive Diplomatie andererseits – offenbart ein Spannungsfeld zwischen Hard Power (Militär, Sanktionen) und Soft Power (wirtschaftliche Anreize). Aus postkolonialer Perspektive, so Sangeeta Mahapatra (GIGA Institute for Asian Studies) reproduziere Trumps Politik globale Machtasymmetrien, da er Formen struktureller Gewalt gegen marginalisierte Gruppen verstärkt, die US-Hegemonie auf Kosten des Globalen Südens aufrechterhalten will und lokale Akteure mittels epistemischer Gewalt als irrelevant deklariert.

Kritik entzündete sich insbesondere an der Außenpolitik von Bündnis 90/Die Grünen, auf dem Podium vertreten durch ihre Sprecherin für Außenpolitik, Deborah Düring. Teile des Publikums warfen der Partei vor, in ihrer Haltung zu Militäreinsätzen der USA und zu Rüstungsexporten Deutschlands inkonsequent zu sein – ein Vorwurf, der eine Debatte über die Vereinbarkeit von politischem Pragmatismus und pazifistischen Grundsätzen auslöste. Insbesondere die demokratiefeindlichen Tendenzen, die seit der Trump-Wahl zu beobachten sind, seien große Herausforderungen unserer Zeit – so der Konsens des Podiums.

Roundtable zur kritischen Friedensforschung

Ein zentraler Programmpunkt war der gutbesuchte Roundtable „Kritische Friedensforschung 2.0? – Ein intergenerationaler Dialog“. Unter der Leitung und Moderation von Sabine Jaberg (AK Herrschaftskritische Friedensforschung) diskutierten Werner Wintersteiner (Universität Klagenfurt) und Josef Mühlbauer (Herausgeber und Autor) das Buch „Kritische Friedensforschung“ (2024) sowie die gleichnamige Traditionslinie. Der Titel des Buches entspricht zwar dem des klassischen Sammelbands von Dieter Senghaas aus dem Jahr 1981 – eine Namensgleichheit, die laut den Herausgebern jedoch eher auf Entscheidungen des Verlags zurückgeht. Stattdessen verortet sich dieser Sammelband in der Tradition der kritischen Theorie, wie sie von Denkern wie Marx, Freud, Nietzsche und Foucault geprägt wurde. Die vielfältigen Beiträge des Werks verbinde das gemeinsame Ziel, hinter den offensichtlichen und bewussten Strukturen das Verborgene und Unbewusste freizulegen – ein Ansatz, der an die Wurzeln der kritischen Friedensforschung anknüpfe. Zugleich gestand das Podium, dass der Band Schwächen in der Überwindung eurozentrischer Perspektiven und der Integration nicht-westlicher Wissenssysteme aufweist, die im geplanten Folgewerk von Klaus Moegling und Josef Mühlbauer adressiert werden sollen.

Werner Wintersteiner hob in seiner Analyse die Bezüge zu Christoph Wulfs wegweisendem Sammelband „Kritische Friedenserziehung“ (1971) hervor. Im Gegensatz zu Senghaas’ Werk seien in Wulfs Arbeit bereits früh weibliche Stimmen präsent gewesen. So wurde im Band kritische Friedensforschung explizit auf eine Ausgewogenheit von männlichen und nicht-cis-männlichen Autor*innen und auf feministische Perspektiven geachtet, was im bisherigen Kanon der Friedensforschung (Krippendorf; Senghaas; Galtung) nicht der Fall war und durchaus eine analytische Schwäche darstellt. Wintersteiner betonte zudem die gesellschaftskritische Relevanz der Friedenspädagogik der 1970er-Jahre, die heute größtenteils verblasst sei. Mit dem Appell „Heraus aus der Blässe“ forderte er die gegenwärtige Friedensforschung auf, sich wieder stärker an den radikalen bzw. utopischen Visionen und methodischen Grundlagen der früheren Generationen zu orientieren, um ihre transformative Kraft zurückzugewinnen.

Dekoloniale und feministische Ansätze in der Friedenspädagogik

Das Panel „Dekoloniale Friedenspädagogik“ präsentierte ein neu entwickeltes Methodenhandbuch, das in Kooperation mit internationalen Partner*innen entstanden war. Cora Bieß (Plattform zivile Konfliktbearbeitung) argumentierte aus einer postkolonialen Perspektive, dass westliche Forschungstraditionen oft eurozentrische Narrative reproduzierten. Das Handbuch biete Tools, um indigene Wissenssysteme und nicht-hegemoniale Erkenntnismethoden in die Bildungsarbeit einzubinden – ein Ansatz, der auch in der Diskussion um „Epistemische Gewalt“ (Gayatri Spivak) verortet werden kann. Eine praxisorientierte Bereicherung der dekolonialen Perspektive bot der Ansatz der Diversifizierung von Bildungsmaterialien an. Friedenspädagogische Curricula sollten um Texte, Fallstudien und Methoden aus dem Globalen Süden erweitert werden, beispielsweise durch die Integration indigener Traditionen in Trainings zu Transitional Justice. Dekoloniale Praxis betone zudem die Nutzung von Erzählungen sowie die Bedeutung von gleichberechtigter Ko-Kreation statt paternalistischer Belehrung und von community-basierten Projekten. Praktisch bedeutet dies, Bildung als Ort des Empowerments und Widerständigkeit zu gestalten – weg von der Reparatur bestehender Systeme, hin zur Mitgestaltung gerechterer Alternativen.

Parallel dazu widmete sich das Launch-Panel des Dossiers „Feministische Friedensforschung“ der Rolle von Geschlechtergerechtigkeit in der Außenpolitik. Unter Bezugnahme auf intersektionale Theorien (Kimberlé Crenshaw) und queere Politökologie (zum Beispiel Judith Butler) diskutierten die Teilnehmer*innen, wie patriarchale Strukturen sowohl Konflikte verstärken als auch Lösungsansätze behindern.

Klimawandel, Ressourcenkonflikte, indigene Perspektiven und Wissenschaftsfreiheit im Spannungsfeld von Politik und Aktivismus

Im Panel „Above 1.5°C – Examining climate-related conflicts“ standen die Wechselwirkungen zwischen ökologischer Krise und Gewaltkonflikten im Vordergrund. Timothy Williams (Universität der Bundeswehr München) analysierte anhand von Fallstudien aus dem Globalen Süden, wie Ressourcenknappheit bestehende Machtungleichheiten verschärft. Theoretisch stützte er sich dabei auf das Konzept der Umweltgerechtigkeit (Environmental Justice), während Hanna Pfeifer (IFSH) diskutierte, wie mediale Darstellungen des Gaza-Konflikts den Blick auf strukturelle Ungerechtigkeiten verengten.

Hanna Pfeifer (IFSH), Philipp Lottholz, Felix Anderl (Universität Marburg), Siddharth Tripathi (Universität Erfurt) und Claudia Brunner (Universität Klagenfurt) initiierten auf verschiedenen Panels der Tagung eine zentrale Debatte innerhalb der aktuellen Friedensforschung. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie Friedensforschende unter den Bedingungen von Krieg, Militarisierung und autoritären Tendenzen agieren sollten. Diskutiert wurden unter anderem die psychosozialen Auswirkungen auf Forschende, die Grenzen wissenschaftlicher Neutralität sowie die Abwägung zwischen politischem Engagement, Aktivismus und wissenschaftlicher Objektivität. Diese Themen wurden sowohl in den offiziellen Panels als auch informell während der Pausen intensiv erörtert – unter Einbeziehung postkolonialer, feministischer und historisch-materialistischer Perspektiven. Ein Antrag des Arbeitskreises Herrschaftskritische Friedensforschung, eingereicht von Sabine Jaberg und Claudia Brunner, löste kontroverse Reaktionen innerhalb des AFK-Vorstands aus. Der Antrag zielte darauf ab, die Positionierung der Friedensforschung zu Militarisierung, der Zivilklausel an Hochschulen sowie zu Menschenrechtsfragen im Kontext des Gaza-Konflikts zu schärfen. Obwohl eine Mehrheit für den Antrag in Aussicht stand, zogen die Antragsteller*innen ihn zurück, um weitere Dialoge über das Verständnis von Wissenschaftsfreiheit zu ermöglichen. Die Diskussion offenbarte unterschiedliche Positionen: Einige Mitglieder sahen keine grundlegende Gefährdung der Wissenschaftsfreiheit. Die Antragsteller*innen und ein Großteil der AFK-Mitglieder argumentierten hingegen, dass die Militarisierung akademischer Institutionen, die Debatte um die Antisemitismusresolution des Bundestags sowie die Bewertung von Menschenrechtsverstößen im Gaza-Konflikt eine kritische Reflexion erforderten. In den kommenden Wochen soll die Stellungnahme breit innerhalb der gesamten AFK diskutiert werden, um sich auf einen gemeinsamen Kompromiss zu einigen – der dann als gemeinsame Stellungnahme der gesamten AFK publiziert werden könnte.


Quellen:



CC-BY-NC-SA
Neueste Beiträge aus
Das Fach Politikwissenschaft