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Kommentar / 02.11.2017

Au revoir, Ausnahmezustand? Neues Gesetz sieht ebenfalls erweiterte Befugnisse der Exekutive vor

Am 1. November 2017 endete in Frankreich offiziell der Ausnahmezustand. Nach den Anschlägen vom 13. November 2015 unter anderem auf das Bataclan und das Stade de France hatte der damalige französische Präsident François Hollande die Maßnahmen verhängt. Nach nunmehr gut zwei Jahren werden sie aufgehoben und gehen in das neue Gesetz zur Stärkung der Inneren Sicherheit und zum Kampf gegen den Terrorismus auf. Zeit für eine Bilanz.

Foto: Gyrostat / Wikimedia CommonsProteste gegen den Ausnahmezustand, wie am 30. Januar 2016 in Toulouse, sind selten. Foto: Gyrostat (Wikimedia, CC-BY-SA 4.0)Am 1. November 2017 endete in Frankreich offiziell der Ausnahmezustand. Nach den Anschlägen vom 13. November 2015 unter anderem auf das Bataclan und das Stade de France hatte der damalige französische Präsident François Hollande die Maßnahmen verhängt. Nach nunmehr gut zwei Jahren werden sie aufgehoben sie und gehen in das neue Gesetz zur Stärkung der Inneren Sicherheit und zum Kampf gegen den Terrorismus auf. Zeit für eine Bilanz.

In den vergangenen gut zwei Jahren wurde der Ausnahmezustand insgesamt sechs Mal verlängert, immer wieder getrieben durch die Ereignisse. Als etwa nach der Fußball-Europameisterschaft 2016 das Ende des Ausnahmezustands anstand, ereignete sich am 14. Juli 2016 in Nizza einer der folgeschwersten Anschläge in Frankreich in den vergangenen Jahren. Immer wieder war die Regierung so dem Druck ausgesetzt, auf Attentate reagieren zu müssen. Sie tat das in der Regel mit einer Ausweitung ihrer Kompetenzen und zulasten der bürgerlichen Freiheitsrechte.

Was die Regierung im Ausnahmezustand darf, regelt das Gesetz 55/385 vom 3. April 1955, das noch aus Zeiten des Algerienkrieges stammt. Neben dem Verbot von öffentlichen Versammlungen, der Auflösung von Versammlungsstätten, der Erteilung von Hausarrest und Meldeauflagen ermöglicht es auch Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss. Während der Dauer des Ausnahmezustandes haben, wie Amnesty International und Human Rights Watch in Berichten ausführen, circa 4.500 Hausdurchsuchungen stattgefunden – zumeist mitten in der Nacht und mit großer Härte. Die Bilanz: Einige wenige Verfahren gegen Terrorverdächtige auf der einen, tausende verängstigte und eingeschüchterte Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite.

Besserung steht aus Sicht der Grundrechte derzeit nicht zu erwarten. Die zunächst bis zum Jahr 2020 befristeten Maßnahmen des neuen Gesetzes zur Stärkung der Inneren Sicherheit und zum Kampf gegen den Terrorismus stärken zwar in Teilen die Mitspracherechte der Judikative. Andererseits stellt es den Exekutivbehörden ausnahmezustandliche Befugnisse auf Dauer zur Verfügung. Allerdings wird es sprachlich angenehmer, etwa wenn Hausdurchsuchungen nicht mehr Hausdurchsuchungen, sondern Besuche heißen. Gegen eine solche sprachliche Verunklarung wie überhaupt gegen den Ausnahmezustand regt sich in der französischen Öffentlichkeit nur wenig Widerstand. Zu sehr sind die Maßnahmen, die sichtbaren, wie etwa eine erhöhte Militärpräsenz an belebten oder touristisch bedeutsamen Orten, wie auch die unsichtbaren ins alltägliche Bewusstsein übergegangen.

Daher kann von einem Ende des Ausnahmezustandes in Frankreich keine Rede sein. Vielmehr scheint es angebracht, von einer schleichenden Normalisierung sich immer mehr ausweitender Exekutivbefugnisse zu sprechen. Anstatt also „Au revoir, Ausnahmezustand“ müsste es aus demokratischer Perspektive wohl eher heißen: „Bonjour tristesse“. – Andererseits, und auch das gehört zum Bild der derzeitigen Verfasstheit globaler Demokratie: Frankreich ist noch lange nicht die Türkei.

siehe auch:

https://emergency.hypotheses.org/1252

 

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