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Rezension / 24.03.2020

Susanne Reitmair-Juárez / Kathrin Stainer-Hämmerle (Hrsg.): Demokratie und Wahlrecht als Themen der politischen Bildung

Frankfurt am Main, Wochenschau Verlag 2019

Wie lassen sich demokratische Werte und Bürgersinn durch politische Bildungsarbeit forcieren? Diese Frage steht im Mittelpunkt des Bandes, der die Beiträge zweier Jahrestagungen der Interessengemeinschaft Politische Bildung umfasst. Neben eher theoretisch-konzeptionellen Aufsätzen zu historischen und aktuellen Fragen von Partizipation und Repräsentation sind auch einige praxisbezogene Beiträge mit Anregungen für die schulische Demokratieerziehung sowie die außerschulische politische Bildungsarbeit enthalten.

Im fünften Band der Schriftenreihe der Interessengemeinschaft Politische Bildung sind Beiträge zweier Jahrestagungen mit den Titeln „Umkämpfte Demokratie(n) – Perspektiven der politischen Bildung“ und „Keine andere Wahl als wählen? – Wahlen und Politische Bildung“ versammelt. In diesem Sinne beschäftigen sich die Beiträge im Schwerpunkt mit der Frage, wie man demokratische Werte und Bürgersinn durch politische Bildungsarbeit forcieren kann. Neben eher theoretisch-konzeptionellen Aufsätzen sind auch einige praxisbezogene Beiträge enthalten, die, im Rahmen des begrenzten Umfangs eines Beitrages, konkrete Vermittlungsprojekte formulieren.


Mit einer theoretischen Einordung beginnt Birgit Sauer, die den Rechtspopulismus vor allem als Folge schwindender demokratischer Gestaltungsspielräume interpretiert. Zugleich zeigt sie selbstverständlich auf, dass rechtspopulistische Akteure jenseits einer provokanteren Sprache keine funktionierenden Lösungskonzepte für dieses Dilemma haben. Sauer plädiert abschließend für ein „tätigkeitsbezogenes Demokratiekonzept“, das die Position des Einzelnen in der Arbeitswelt umfasst und aufwertet. Einzelbestandteile sind etwa ein Recht auf Arbeit oder die Verfügbarkeit von frei einteilbarer Zeit.

Kathrin Stainer-Hämmerle nimmt die „Wutbürgerdebatte“ zum Ausgangspunkt und erörtert die Grenzen der repräsentativen und direkten Demokratie. Während erstere eher wenig Partizipationsmöglichkeiten bietet und zweitere situationsabhängig ist, stellt sie die partizipative Demokratie als „Best-ofbothworlds-Konzept“ dar. Vor allem Bürgerräte, also Gremien aus zufällig ausgewählten Personen, die Politikempfehlungen vorbereiten erscheinen ihr als geeignetes Mittel.

Wie politische Beteiligung jenseits von Wahlen funktionieren kann, zeigt Lara Möller anhand der lokalen Agenda und des Wiener Petitionswesens. Sie erläutert, dass die meisten Petitionen zu lokalen Angelegenheiten vorgebracht werden. Die Bürger*innen wollen sich sich also vor allem um für sie selbst greifbare Projekte kümmern.

Mit der Erosion demokratischer Überzeugungen beschäftigt sich zudem Wolfgang Buchberger und formuliert Vorschläge zur schulischen Umsetzung von Demokratieerziehung. Leider fehlen wirklich konkrete Lehrbeispiele, wie die vom Autor vorgestellten fünf Aspekte der Demokratie – Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit – in der Schule vermittelt werden sollen. Auch Adelheid Schreilechner will, anknüpfend an die österreichische Debatte um das „Wählen ab 16“, schulpraktische Empfehlungen mitgeben. Jenseits der Vermittlung von Parteipositionen zielen ihre Vorschläge darauf ab, Kompetenzen auszubilden, beispielsweise durch die Analyse von Wahlkämpfen mit Rollenspielen. Zuletzt ist in dieser Hinsicht auch Robert Hummers Beitrag lobend zu erwähnen, der aus der Arbeit der Politikwerkstatt „Demos“ berichtet und detailliert aufzeigt, wie mit welchem Lernmaterial demokratische Prozesse vermittelt werden können.

Der Beitrag von Patrick Danter vom politischen Bildungsverein Sapere Aude enthält die konkretesten Anleitungen des Bandes. Er stellt verschiedene Lernziele, so etwa „Politisch Andersdenkende sind nicht gleich Feinde der Demokratie“ in Verbindung mit didaktischen Tipps wie beispielsweise „Geschichten vor Fakten“ dar und vermittelt damit einen guten Einblick in die praktische, außerschulische politische Bildungsarbeit.


Birgitta Bader-Zaar und Judith Goetz beschäftigen sich in ihren Beiträgen eingehender mit dem Wahlrecht. Bader-Zaar stellt überzeugend die Geschichte des demokratischen Wahlrechts dar und zeigt, wie auf der Grundlage von Geschlecht, ethnischen und sozialen Merkmalen historisch der Ausschluss vom allgemeinen Wahlrecht begründet wurde. Dies setzt sie abschließend in eine Linie mit der Wohnortfrage: Sollten auch vor Ort wohnende Nicht-Staatsangehörige wahlberechtigt sein?

Dass trotz dieser historischen Fortschritte noch nicht alle Personengruppen an Wahlen teilnehmen können zeigt auch Judith Goetz. Insass*innen von Gefängnissen und Personen mit Behinderungen sind unter bestimmten Bedingungen nach wie vor ausgeschlossen. Abschließend macht sie auf einige zivilgesellschaftliche Organisationen in Österreich aufmerksam, die sich in diesem Bereich bewegen: Dazu zählen die B!Hysteria, Pass-Egal und WahlweXel jetzt!, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf Wahlausschlüsse beziehungsweise reaktionäre gesellschaftliche Debatten aufmerksam machen.

Als Sammelband vereint die Publikation Beiträge, die für sehr verschiedene Interessentenkreise relevant sein könnten. Leider führt diese thematische Breite auch dazu, dass die Erkenntnisse im Einzelnen eher knapp ausfallen. Für Politikwissenschaftler*innen, die sich mit Wahlrecht und Demokratie beschäftigen, ist der Neuheitswert gering. Für Lehrer*innen und Bildungsträger kommen, bis auf wenige Aufsätze, Handlungsempfehlungen zu kurz. Und für interessierte Bürger*innen bedienen sich die meisten Autor*innen vermutlich einer zu politikwissenschaftlichen Sprache. Das Thema Wahlrecht, als die zentrale Form politischer Partizipation, kommt mit nur zwei von neun Artikeln in einem Band mit dem Titel „Demokratie und Wahlrecht als Themen der politischen Bildung“ zu kurz.

 

CC-BY-NC-SA
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