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Rezension / 30.09.2019

Karl-Rudolf Korte: Gesichter der Macht. Über die Gestaltungspotenziale der Bundespräsidenten. Ein Essay

Frankfurt am Main, Campus 2019

Was macht der Bundespräsident eigentlich? Und: Kann er überhaupt etwas ausrichten? Karl-Rudolf Korte bietet eine anschauliche und detailreiche Schilderung des mit diesem Amt verbundenen Arbeitsalltags. Vor allem geht es ihm darum aufzuzeigen, was der Bundespräsident wie bewirken kann sowie auf die zahlreichen Ambivalenzen des Amtes hinzuweisen. So ist die größte Machtressource des Bundespräsidenten das Wort, beispielsweise in Form mahnender Reden, die aber nur dann Wirkung hat, wenn sie sparsam genutzt wird.

Was macht der Bundespräsident eigentlich? Und: Kann er überhaupt etwas ausrichten? Solche Fragen treiben Karl-Rudolf Korte an, wenn er detailliert den mit diesem Amt verbundenen Arbeitsalltag nachzeichnet. Vor allem geht es ihm darum aufzuzeigen, was der Bundespräsident wie bewirken kann. Er verfügt, so der Autor, kaum über hard power, sondern agiert fast immer mit soft power. Sein Aktionsfeld ist somit vor allem das Gespräch, sei es auf der Bühne oder hinter verschlossenen Türen. Diese Hintergründigkeiten zeichnet Korte sehr fein nach. Sein Fokus liegt auf den Amtszeiten von Joachim Gauck und Frank-Walter Steinmeier. Vorherige Bundespräsidenten kommen entweder durch kurze Interviewschnipsel, Anekdoten (Karl Carstens Deutschlandwanderung etwa) oder durch einen einmaligen Akteneinblick zutage (zum Beispiel Richard von Weizsäckers Besuch in Moskau 1987, beschrieben auf den Seiten 239 bis 257). So bleibt das Buch über lange Strecken unterhaltsam essayistisch und liefert Narrative vor allem für die Unterschiedlichkeit der Bundespräsidenten. Es ist gerade deswegen auch nicht wissenschaftlich mit Begriffs- und Typenbildung überladen, sondern bedient sich bereits etablierter Konzepte wie die erwähnte hard und soft power oder der Gesichter des Bundespräsidenten. Einerseits bleiben auch viele Fragen offen und regen den Leser zum Nachdenken an. Zugleich weist das Amt eine Vielzahl an Ambivalenzen auf, auf die Korte immer wieder aufmerksam macht. So ist die größte Machtressource des Bundespräsidenten das Wort beispielsweise in Form mahnender Reden, die aber nur dann Wirkung hat, wenn sie sparsam genutzt wird. Er wird von allen politischen Akteuren (die AfD könnte hier eine Ausnahme darstellen) als machtvolle Institution angesehen. Sobald er diese Macht nutzen will, schwindet sie aber.

Neuheitswert hat das Buch vor allem aufgrund des sehr detailreichen Einblicks in den Arbeitsalltag eines Bundespräsidenten. Dieser ist geprägt durch eine hohe Zahl an Pflichtterminen, die Suche nach Leit/index.php?option=com_content&view=article&id=41317 und den richtigen Gelegenheiten, diese zu platzieren, sowie den Versuch, mit den eigenen Botschaften Öffentlichkeit zu erreichen. Als zentral für das Gelingen werden einige interessante, da kontraintuitive Punkte vorgestellt. So leben Bundespräsidenten etwa von der Macht der Langsamkeit. Im Unterschied zum/zur Bundeskanzler*in wird von ihnen nicht erwartet, sich zu jedem aktuellen Thema zu äußern. Sie bilden somit eine Bastion der Ruhe. Umso gewichtiger wird sodann das empfunden, was sie zu sagen haben.

Auch wirken sie informell mit den anderen Verfassungsorganen zusammen. Diese Kooperation beginnt bei Terminabsprachen, sodass nicht ungeplant etwa Außenminister und Präsident parallel denselben Staat besuchen, und zieht sich über die vorherige Zusendung von Notizen an den Bundestagspräsidenten, wenn es an die Ausfertigung von Gesetzen geht. Diese Prozesse wirken im Hintergrund und laden zu der Vermutung ein, dass eine zu offensive Nutzung der Machtressourcen, über die das Amt verfügt, zum Verlust derer Wirkmächtigkeit führt. Sichtbar werden sie in diesem Buch auch immer dann, wenn Korte kontrafaktische Geschichtserzählung betreibt. So wäre nach Korte die Regierungsbildung 2017/18 wohl anders verlaufen, wenn Steinmeier nicht aktiv auf eine Vermeidung von Neuwahlen hingearbeitet hätte.

Die politikwissenschaftlichen Diskussionen rund um den Bundespräsidenten, vor allem über seine Direktwahl beziehungsweise die gänzliche Abschaffung des Amtes, werden in diesem Buch nur am Rande aufgegriffen. Zu sehr bleibt der Autor bei der Beschreibung dessen, was ist, um sich um das, was anders sein könnte zu kümmern. Gleichwohl wird diese Fokussierung von Korte selbstkritisch reflektiert, da sie nicht zuletzt dem sehr gut lesbaren essayistischen Stil geschuldet ist. Relevant sind Kortes Betrachtungen trotzdem, denn ohne einen klaren Blick auf das, was das Amt bisher leistet, stehen Reformüberlegungen im luftleeren Raum. Und eben diesen deskriptiven Blick liefern Kortes Ausführungen.

Das Buch ist vor allem für diejenigen ein Gewinn, die sich von Amt und Amtsführung der Bundespräsidenten ein Bild machen wollen. Für Politikwissenschaftler ist vor allem die Auswertung der neuerdings zugänglichen Akten ein Novum. Konzeptionell bietet das Werk indes wenig Neues. Wer sich eher eine anschauliche Schilderung und Nahaufnahme der Bundespräsidenten in ihrer Amtswahrnehmung wünscht, wird mit diesem sehr gut geschriebenen Essay seine Freude haben.

 

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