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Literaturbericht / 11.06.2019

(Rechts)populismus: Herausforderung für die Forschung. Ansätze, Fallstudien und ein Selbstversuch

Das Phänomen des Populismus beherrscht die politische Debatte und fordert weiterhin die Sozialwissenschaften heraus. Drei, in ihrem Anspruch und Stil unterschiedliche Werke, die das Forschungsfeld bereichern, stellt Jan Achim Richter in diesem Literaturbericht ausführlich vor: ein Handbuch zum Stand der Forschung („Political Populism“), eine essayistische Betrachtung des Verfalls der politischen Sprache („Der Sound der Macht“) sowie eine Art Selbstversuch zu Meinungsbildungsprozessen in sozialen Medien und deren Auswirkungen auf die Demokratie („Fake statt Fakt“).

 what is a populist 1872440 640Foto: Gerd Altmann / Pixabay

 

Verfolgt man die tagespolitischen Ereignisse in den vergangenen Jahren, kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass populistische Akteure die politische Agenda in den meisten westlichen Ländern bestimmen und dabei die etablierten Parteien und Institutionen vor sich hertreiben. Doch nicht nur für die etablierten politischen Akteure sind Populisten eine Herausforderung, auch die Sozialwissenschaften weilen noch in der Findungsphase, das Phänomen ‚Populismus‘ angemessen zu erfassen und zu erklären.

Drei, in ihrem Anspruch und Stil ganz unterschiedliche Werke zum Thema Populismus bereichern nun das Forschungsfeld: Das Werk „Political Populism. A Handbook“ versucht durch das kaum noch zu überschauende Dickicht an Literatur zum Thema Populismus eine Schneise zu schlagen, indem es vor allem aus politik- und kommunikationswissenschaftlicher Perspektive über den aktuellen Stand der Forschung informiert. Es ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil werden Fragen nach der Definition und Analyse des Konzeptes ‚Populismus‘ behandelt. Im zweiten Teil geht es um Fallstudien zu populistischen Erfolgen in Europa und Amerika. Drittens werden die Herausforderungen und die zukünftige Forschungsagenda erörtert.

In der Publikation von Astrid Séville, „Der Sound der Macht“, geht es einerseits allgemein um den Verfall der politischen Sprache in Deutschland. Zugleich steht andererseits der Rechtspopulismus im Fokus, da der Niedergang der politischen Sprache auch eine Ursache für den Aufstieg der Rechtspopulisten sein soll, die dann auch wieder selbst zu eben jenem Qualitätsverlust beitragen würden.

Ute Schaeffer wiederum unternimmt in „Fake statt Fakt“ einen Selbstversuch. Sie meldet sich unter einem Pseudonym bei deutschen rechtsextremen und rechtspopulistischen Gruppen in den sozialen Medien wie Facebook und Twitter an und abonniert deren Nachrichtenkanäle. Dabei arbeitet sie in detaillierter Art heraus, wie sich der politische Meinungsbildungsprozess gestaltet, der sich mittlerweile für einen nicht zu vernachlässigenden Teil der Bevölkerung in Deutschland in die sozialen Netzwerke verlagert hat. Ebenso wie Séville hebt Schaeffer die problematischen Auswirkungen dieser rechtspopulistischen Echokammern auf die Demokratie hervor.

Im Folgenden werden diese drei Werke im Hinblick auf ihre Thesen und Ergebnisse zum Populismus anhand der zentralen Forschungsaspekte zu diesem Thema besprochen.


Konzeptionelle Überlegungen zum Populismus

In seinem Handbuch-Beitrag zur Geschichte des Konzeptes Populismus zeigt Damir Skenderovic auf, dass erst ab den 1990er-Jahren eine weitverbreitete Beschäftigung mit dem Thema stattgefunden hat. Bis heute gibt es jedoch keinen Konsens über das, was Populismus ist. Stattdessen liegen unterschiedliche Herangehensweisen vor. In der Einleitung des Handbuches werden vom Herausgeberteam drei Verständnisse des Populismus – als diskursiver Stil, als politische Strategie und als dünne Ideologie – hervorgehoben. Das gemeinsame Minimalverständnis dieser Ansätze besteht dabei darin, Populismus als eine Gegenüberstellung von einer korrupten Elite und einem „wahren“, homogenen Volk zu betrachten. Von diesem definitorischen Fundament ausgehend, lässt sich laut den Herausgebern erstens ein Konzept identifizieren, das Populismus im Anschluss an Ernesto Laclau als diskursiven Stil auffasst. Bei dieser ersten Klassifizierung vermischen die Herausgeber jedoch zwei Ansätze, die aufgrund ihrer theoretischen Differenzen getrennt bleiben sollten. Besser wäre es daher gewesen, zwischen einem Ansatz, der Populismus als einen spezifischen politischen Stil begreift, der sich in der Sprache, dem Verhalten und zum Beispiel auch in der Kleidung ausdrückt (vgl. etwa Moffitt 2016), und einem Ansatz, der Laclau folgend Populismus als eine spezifische politische Logik begreift, mit der im politischem Diskurs zwischen Freund und Feind beziehungsweise politischem Gegner unterschieden wird. Als zweiten Ansatz erläutern die Herausgeber ein vor allem aus der südamerikanischen Populismusforschung resultierendes Verständnis. Danach wird Populismus als eine spezifische politische Strategie der Mobilisierung der eigenen Anhänger betrachtet, wobei vor allem der direkte Kontakt zwischen einem charismatischen Führer und den Anhängern im Fokus steht. Zumeist wird im Handbuch jedoch der dritte Ansatz, basierend auf Cas Mudde, vertreten. Bei diesem ideellen Verständnis wird Populismus als eine dünne Ideologie begriffen, die von drei Merkmalen gekennzeichnet wird: Erstens ist die Gesellschaft mit dem „wahren“ Volk und der „unehrlichen“ Elite in zwei antagonistische und homogene Gruppen eingeteilt; zweitens wird ein Antipluralismus vertreten, da das Volk homogen sei und es nur einen Volkswillen geben könne, und drittens besteht eine Nähe zur direkten Demokratie, mit der sich – im Gegensatz zur von Eliteninteressen durchzogenen repräsentativen Demokratie – der eine Volkswille verwirklichen solle.

Diese verschiedenen Herangehensweisen müssen jedoch nicht unbedingt getrennt voneinander existieren. Sie finden sich in der Literatur teilweise auch kombiniert. So betont etwa auch Lone Sorensen in ihrem Handbuch-Beitrag, Stil und Inhalte gehörten insofern zusammen als der populistische Stil den Prozess darstelle, mit dem Populisten ihre (dünne) Ideologie gegenüber dem Volk kommunizierten.

Mit diesen drei beziehungsweise vier unterschiedlichen Ansätzen ist die Diskussion um das Konzept jedoch noch nicht beendet. Reinhard Heinisch und Oscar Mazzoleni kritisieren in ihrem konzeptionellen Artikel im Handbuch das vorherrschende Verständnis von Mudde, weil dieser Ansatz unter anderem keine Grauzonen zulasse. Als Alternative schlagen die Autoren vor, Populismus als einen Frame aufzufassen. Frames „are sets of concepts used to organize, perceive, and communicate about reality. Frames and underlying claims are often connected to host ideologies” (117). Zum charakteristischen Merkmal des Populismus erklären die Autoren die Ambivalenz. Entsprechend definieren sie Populismus „as a frame containing intrinsically ambivalent claim(s) diffused by individual and collective actors in order to challenge the status-quo in favor of peoples empowerment and elite change” (117). Die Ambivalenz drücke sich multidimensional aus, also zum Beispiel im Verständnis der Begriffe Volk, Demokratie, Eliten oder Rechtstaat. Es sei die Absicht von Populisten, diese Konzepte vage und offen zu halten.

Mit diesem graduellen Ansatz, der das Ausmaß an Populismus bei Politikern, Parteien und Wählern messbar macht, möchten die Autoren dem fluiden Charakter und der Varianz des Populismus gerecht werden. Auch wenn fraglich ist, ob es tatsächlich noch eines weiteren Ansatzes bedarf, vermag das Handbuch durchaus, Leser*innen mit den theoretischen Konzepten des Populismus vertraut zu machen. Ein stärkerer Fokus hätte noch auf die Vor- und Nachteile der jeweiligen Definitionen gelegt werden können.


Formen und Inhaltliche Ausprägungen des Populismus

In enger Verknüpfung mit den konzeptionellen Überlegungen stehen die inhaltlichen Erscheinungsformen, die der Populismus annehmen kann. Gewöhnlich wird zwischen Rechts- und Linkspopulismus unterschieden. Gerade der Rechtspopulismus steht im Mittelpunkt des Handbuches. Die Herausgeber erläutern in der Einleitung, dass sich der Rechtspopulismus auf einer vertikalen Ebene in der Feindschaft zur korrupten Elite und auf einer horizontalen Ebene in der Ablehnung von Außenseitern, auszeichnen. Daraus folgt die Exklusion von Minderheiten wie etwa Muslim*innen, Zugewanderte oder Homosexuelle. Alfio Mastropaolo hebt den besonderen Nationalismus des Rechtspopulismus hervor, da der zentrale Begriff des Volkes ethnisch definiert werde. Rechtspopulisten vertreten die Idee eines homogenen Volkes, das durch „blood, land, history, language and culture" (62) vereint sei.

Dietmar Loch analysiert in seinem interessanten Beitrag rechtspopulistische Parteien. Er vertritt die These, dass diese eine neue, eigenständige Parteienfamilie konstituieren. Neben den Merkmalen einer Befürwortung von individueller Freiheit gegenüber linken Werten wie Gleichheit, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit, seien rechtspopulistische Parteien radikal im Hinblick auf ihre Werte und benutzten einen populistischen Stil. Mit vier weiteren Aspekten spezifiziert Loch zudem das rechtspopulistische Parteienprofil: Erstens befürworteten sie einen ökonomischen Protektionismus, zu dem eine Klassenpolitik für Modernisierungsverlierer gehöre, durch die man rechtspopulistische Parteien als eine neue Art von Arbeiterpartei bezeichnen könne. Zweitens zeichneten sie sich durch einen kulturellen Protektionismus aus, der sich in Nationalismus und Islamophobie ausdrückt. Charakteristisch sei drittens ein Euroskeptizismus sowie das Ansinnen nationaler Souveränität und zuletzt setzten sie sich durch ihre autoritäre Sichtweise in einer repräsentativen Demokratie von anderen, liberaleren Parteien ab.

Zwischen Rechts- und Linkspopulismus gibt es Gemeinsamkeiten und Differenzen. Die Herausgeber weisen in der Einleitung des Handbuches darauf hin, dass der Linkspopulismus im Gegensatz zum Rechtspopulismus einen sozialen Egalitarismus mit Kritik an sozialer, politischer und ökonomischer Macht der Herrschenden vertritt, der mit einer Utopie einer herrschaftsfreien Gesellschaft kombiniert wird. Mastropaolo erläutert am Beispiel der Partei Podemos, Linkspopulisten würden kein ethnisches Volksverständnis propagieren, sondern die Idee eines pluralistischen und nicht restringierten Demos befürworten. Wie pluralismusaffin der Linkspopulismus sein kann, wird unterschiedlich bewertet. Für Mastropaolo ist der Linkspopulismus aufgrund des inklusiven Volksverständnisses nicht gegen einen Pluralismus gewendet, wobei er vernachlässigt, dass auch Linkspopulisten bestimmte ökonomische und politische Akteure zu Feindbildern stilisieren, die sie aus der Gesellschaft ausschließen wollen. Dissens, Opposition und Pluralismus wird damit auch beim Linkspopulismus kein Raum gelassen, wie die Herausgeber hervorheben.

Eine vertiefte Beschäftigung erfährt das Thema Linkspopulismus in Europa im Handbuch nur im Beitrag von Maria Elisabetta Lanzone; die Werke von Séville und Schaeffer beschäftigen sich ohnehin nur mit Rechtspopulismus. Lanzone vergleicht in knapper Manier die zwei klassischen Beispiele des Linkspopulismus in Europa, Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland, im Hinblick auf populistische Merkmale. Deutlich werde bei allen Unterschieden die Gemeinsamkeit im Hinblick auf die Dichotomie zwischen Volk und Establishment. Während die genaue Bedeutung dieser Begriffe stark vom nationalen Kontext geprägt sei, könnten Parallelen dieses Linkspopulismus vor allem in ihrem Widerstand gegen eine Austeritätspolitik und in ihrem Kampf für demokratische und soziale Rechte gesehen werden. Das Volk werde – wie oben erwähnt – als plural, emanzipatorisch und inklusiv definiert. Ausgangspunkt dieser beiden Arten des Linkspopulismus sei jeweils eine Krise mit Sparpolitik und Korruption, die die Konstruktion einer Feindschaft zwischen dem Volk und der Elite ermöglicht.

Ob sich links- oder rechtspopulistische Akteure in Ländern herausprägen und in welcher spezifischen Gestaltung, so zeigt das Handbuch an mehreren Stellen auf, hängt stark von den nationalen Kontexten ab (siehe zum Beispiel die Beiträge von Vlastimil Havlík und Miroslav Mareš sowie Sergiu Gherghina, Sergiu Miscoiu und Sorina Soare zu Zentral- und Osteuropa, wo das faschistische und kommunistische Erbe die Ausprägung des Rechtspopulismus stark geprägt habe). Diese konkreten nationalen Konstellationen können zu hybriden Populismusformen führen, die jenseits des typischen Rechts-links-Schemas zu klassifizieren sind. Verschiedene spannende Fälle werden im Handbuch hierfür geliefert. Ein Beispiel sind die Parteien Team Stronach in Österreich und ANO in Tschechien. Heinisch und Steven Saxonberg erläutern anhand dieser Beispiele das Konzept des sogenannten Unternehmerpopulismus. Er zeichnet sich neben dem klassischen Dualismus von Elite vs. Volk dadurch aus, dass er auf xenophobe Aussagen verzichtet, generell weniger aggressive Rhetorik anwendet (beides Punkte, die die Autoren dazu bewegen, Donald Trump nicht diesem Typus des Populismus zuzuordnen) und stärker pragmatisch agiert mit einer Bereitschaft, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Inhaltlich wird eine wirtschaftsliberale Politik mit Steuersenkungen, Deregulierung und Privatisierung verfolgt, die aber durchaus mit Sozialprogrammen verbunden wird. Ökonomische Themen stehen damit im Mittelpunkt des Unternehmerpopulismus. Der Unternehmer selbst ist eine zentrale Figur, die durch ihren Unternehmererfolg als glaubwürdige Person dargestellt wird, um das korrupte politische System als Außenseiter mithilfe ihrer ‚Managementmethoden‘ zu verändern und damit das Land vor dem Niedergang zu bewahren. Für Heinisch und Saxonberg kann der Unternehmerpopulismus als Beispiel einer zentristischen Form des Populismus aufgefasst werden, da er weder links noch rechts, sondern genau im „radical populist centre“ (209) sei. Eine ähnliche inhaltliche Richtung hat laut Lanzone auch die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien eingeschlagen. Zunächst sei sie noch linksorientiert gewesen, dann habe eine vermehrte Nähe zur rechten Ideologie mit einer Europaskepsis und einer Kritik an der liberalen Flüchtlingspolitik bestanden. Mittlerweile lasse sich jedoch die Fünf-Sterne-Bewegung als „post-ideological populism“ (234) einstufen. Dazu passe auch die Heterogenität der Wählerschaft, die sich einerseits selbst als teils links, teils rechts einordnen, sich aber ebenso keiner ideologischen Richtung zugehörig fühlten.

Die unterschiedlichen Ausprägungen des Populismus belegen letztlich, wie chamäleonartig und flexibel er sein kann. Zu erwarten ist, dass sich mit den Erfolgen des Populismus weitere, von nationalen Faktoren abhängige spezifische Formen ausbilden.


Ursachen des Populismus

Hat man die begriffliche Tiefenbohrung hinter sich gelassen, ist eine der umstrittensten Fragen in der Forschung, welche Ursachen das gegenwärtige Aufkommen des Populismus erklären. Das zentrale Argument des Handbuches ist es, Populismus als eine Antwort auf die grundlegende Krise der Legitimation der politischen Institutionen und Akteure zu begreifen. Diese entstehe vor dem Hintergrund einer Repräsentationskrise, die sich durch einen Mangel an Repräsentation bestimmter Bevölkerungsschichten und ihrer Interessen und Meinungen ergebe. Die zugrundeliegenden Erklärungen variierten jedoch sehr stark von Land zu Land. Leider fehlt ein Beitrag im Handbuch, der die verschiedenen Sichtweisen zu den Ursachen gebündelt zusammenträgt und so einen Überblick über die Diskussion, ob und inwieweit kulturelle, ökonomische, soziale und/oder politische Faktoren für den Erfolg des Rechtspopulismus, um den es hier zumeist geht, verantwortlich sind. Stattdessen finden sich an unterschiedlichen Stellen immer mal wieder Hinweise zu diesem zentralen Themengebiet.

Mastropaolo diskutiert zum Beispiel die These der Repräsentationskrise. Der Autor bezieht sich dabei auf Peter Mair, der diese Annahme durch den Rückgang der Wahlbeteiligung, den Anstieg von Wechsel- und Protestwählern sowie das Aufkommen an Parteienverdrossenheit und Unzufriedenheit mit traditionellen Institutionen bei gleichzeitigem Erfolg von populistischen Parteien begründet. Grundlage für diese Politik- und Parteienverdrossenheit sei der Schwund der zentralen Funktion der Parteien als Verbindung zwischen Staat und Gesellschaft. Parteien hätten sich zu Kartellparteien entwickelt, die sich mit dem Staat beziehungsweise der Regierung identifizierten, nicht jedoch als Vertreter von spezifischen, aus der Bevölkerung stammenden Interessen. Genau in diese Lücke stießen dann Populisten hinein. Mastropaolo weist daneben auf Hanspeter Kriesi hin, der eine alternative Repräsentationskrisenthese vorgelegt hat. Danach liegt das Problem weniger an den etablierten Parteien selbst als an den veränderten Umständen des Regierens und des politischen Systems. Bei dieser Erläuterung der Repräsentationskrise geht es nicht um ein den Parteien unterstelltes primäres Interesse am Regieren, sondern um die externen Umstände, die das Regieren verändern – vornehmlich in Form eines Mehrebenenregierens und neuer Techniken der Medienkommunikation. Die Folge hiervon sei weniger eine Repräsentationskrise durch ein spezifisches Verhalten der Parteien, sondern das Entstehen einer neuen Konfliktlinie innerhalb der Wählerschaft zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern. Zu Letzteren gehörten die weniger gebildeten und weniger flexiblen Bürger, die unter dem Abbau des Sozialstaates, der Deindustrialisierung und Arbeitslosigkeit leiden. Diese Erfahrungen, auf die sie sich nicht einstellen könnten, ließen sie sich Populisten zuwenden. Globalisierungsgewinner seien hingegen die gut gebildeten, kosmopolitischen Bürger, die sich problemlos der Transformation anpassen könnten.

Auch Sandra Vargari geht in ihrem insgesamt enttäuschenden Beitrag über den Populismus in den USA auf die Gründe für den Erfolg von Donald Trump ein. Dabei reiht sie eine Reihe an möglichen Erklärungen aneinander, ohne genauer auf sie einzugehen. Ebenso vernachlässigt sie mögliche kulturelle Faktoren mit den dazugehörigen Identitätsfragen. Stattdessen legt sie den Schwerpunkt auf die ökonomische Krise, die sich unter anderem in einer hohen Arbeitslosigkeit als Folge der Globalisierung ausdrücke. Diese habe ein Gelegenheitsfenster für den gegenwärtigen Populismus in den USA eröffnet. Möglich sei dies nur gewesen, weil die demokratische und die republikanische Partei die Wählerinteressen nicht mehr abdeckten. Neben diesem Repräsentations- und Responsivitätsdefizit sei ein Mangel an Vertrauen in Parteien und den Kongress sowie eine politische Polarisierung in den USA auszumachen, die den Boden für populistische Erfolge bereiteten.

An anderer Stelle des Handbuchs führt Loch die Motive, rechtspopulistische Parteien zu wählen, auf Statusängste zurück. Der tatsächliche oder befürchtete Verlust des sozialen Status sorge für Frustrationen, die populistische Parteien attraktiv machten – und dies gelte nicht nur für die Ränder der Gesellschaft, sondern auch für die Mitte. Daher könne davon gesprochen werden, dass rechtspopulistische Ansichten in der Mitte der Gesellschaft angekommen seien. Loch hält hierbei letztlich kulturelle Faktoren in Form von nationalistischen und rassistischen Haltungen für bedeutsamer für die Wahlentscheidung für Rechtspopulisten, wenngleich ökonomische Faktoren in Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise bedeutungsvoller geworden seien.

Auch Séville hat mit dem „Sound der Macht“ eine Erklärung für den Aufstieg des Rechtspopulismus vorgelegt. Ihre Hauptthese besagt, in den letzten Jahren sei es zu einem Verfall der politischen Sprache gekommen, weshalb keine demokratische Auseinandersetzung mehr stattfinde. In diesem Zusammenhang geht sie auch auf die Ursachen des Populismus ein. Jedoch stehen bei ihr nicht ökonomische, kulturelle und soziale Ursachen oder die politische Repräsentationskrise im Mittelpunkt, sondern die politische Sprache. Denn ursächlich für den rechtspopulistischen Erfolg sei vor allem die Rhetorik der etablierten politischen Parteien und Akteure.

Diesen Aspekt erläutert Séville anhand von zwei Beispielen. Erstens beleuchtet sie die „TINA-Rhetorik“ (TINA steht für „there is no alternative“) von Angela Merkel, die ihre Entscheidungen bei der Euro- und Finanzkrise wie auch bei der Flüchtlingskrise als alternativlos bezeichnet hatte. Diese TINA-Rhetorik sei ein Zeichen einer „Politik der Schonung" (42), die Séville für zutiefst undemokratisch hält, weil es die Pluralität von Ansichten – also von Alternativen zur eigenen Ansicht – im Keim ersticken wolle, um so jeglichen Diskurs zu umgehen. Zudem befreie es von der Anforderung nach einer klaren Erklärung und Rechtfertigung der eigenen Entscheidung. Merkels Politikstil bezeichnet Séville als „kommunikatives Aussitzen“ (41) und „reaktives Durchwurschteln“ (42).

Die Technokratisierung und das Vorschieben ökonomischer Sachzwänge dienen Séville als zweites Beispiel für den Verfall der politischen Sprache und der Untergrabung des demokratischen Diskurses. Auch hier finde eine Verweigerung des Diskurses mit Verweis auf vermeintliche ökonomische Sachzwänge statt, die Politiker selbst von der Entscheidung und der Rechtfertigung dieser Entscheidung befreie. Diese beiden Beispiele bezeichnet Séville als „Sound der Macht“, der einerseits den Beginn des Verfalls der politischen Sprache darstelle. Andererseits provoziere das Reden von der Alternativlosigkeit eine Gegensprache – und zwar den Sound der Populisten, die sich nur aufgrund dieses Redens von der Alternativlosigkeit als diejenigen aufspielen könnten, die noch Alternativen anzubieten hätten und als einzige, die dem Volk noch die ganze Wahrheit erzählten.

Mit ihrer Einschätzung des Verfalls des politischen Diskurses als Folge des Merkel‘schen Regierungsstils hat Séville sicherlich einen wunden Punkt getroffen. Inwieweit sie jedoch tatsächlich eine „sprachliche Mitschuld“ am Aufkommen der Rechtspopulisten trägt, müsste eingehender diskutiert werden, als dies Séville in ihrem essayistischen Stil leisten kann. Hierzu wäre eine vergleichende Analyse der ökonomischen, kulturellen und sonstigen politischen Probleme, auf die oben eingegangen wurde, einschließlich der inhaltlichen Entscheidungen der Regierung Merkel, erforderlich.. Dass diese Debatte von großer Bedeutung ist, hängt auch damit zusammen, dass die Frage, was aus dem Erfolg des Rechtspopulismus folgt, unmittelbar mit der Diagnose zu den Ursachen des Rechtspopulismus zusammenhängt – eine Frage, auf die weiter unten noch eingegangen wird.

Ganz ähnliche Probleme tauchen auch bei Schaeffer auf. Sie meint, Populisten nutzten den digitalen Strukturwandel geschickter als andere Parteien, was ihren Erfolg erklären würde. Damit streift sie einen Punkt, der im Handbuch zu kurz kommt. Die digitalen Echokammern haben laut Schaeffer einen so starken Einfluss auf die politische Meinungsbildung, weil das Internet „die technischen Voraussetzungen für hochfrequente, einseitige, manipulative und falsche Informationen“ (161) biete. So kommt Schaeffer zu dem Schluss, die sozialen Medien spielten eine zentrale Rolle beim Aufstieg der AfD: „Der Wahlerfolg der AfD [...], ist maßgeblich auf ihre Medienstrategie und ihre digitalen Kampagnen zurückzuführen.“ (106) Wie schon bei Séville wird ein relevanter Erklärungspunkt für den Aufstieg des Rechtspopulismus angesprochen – aber nicht in Beziehung gesetzt zu anderen Faktoren für den Erfolg. Besser wäre es wohl, von den sozialen Medien als Beschleuniger oder Katalysator für das Aufkommen des Rechtspopulismus zu sprechen, nicht jedoch als ursächliche Erklärung. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass die Autorin selbst an anderer Stelle darauf hinweist, der Einfluss sozialer Medien sei in Deutschland aufgrund der geringen Reichweite und Nutzung noch nicht so groß (vgl. 270).

Eine neue Sichtweise auf den Ursachenkomplex in Europa ergründet Wolfgang Aschauer im Handbuch, indem er statt allein ökonomischer, kultureller oder politischer Ursachen die soziale Dimension hervorhebt, die diese einzelnen Aspekte gebündelt zur Erklärung heranzieht. Seine These lautet, die Erfolge der Rechtspopulisten seien auf eine soziale Malaise zurückzuführen. Darunter versteht er das latente Gefühl bei den Bürger*innen, dass sich die Gesellschaft in keinem guten Zustand befindet. Soziale Malaise wird mit drei Wahrnehmungen einer Krise beschrieben: erstens mit der Angst vor sozialem Abstieg, zweitens mit einem ansteigenden Niveau an Politikentfremdung und -verdrossenheit und drittens mit einem sozialen Misstrauen innerhalb der Gesellschaft als Reaktion auf die Herausforderung von kultureller Diversität. Aschauer stellt damit eine interessante These vor, die sich noch im Anfangsstadium befindet. Daher führt er in seinem Beitrag ausschließlich theoretische Überlegungen durch, die eine kommende empirische Untersuchung ermöglichen sollen.

Somit bleibt es dabei: In den drei Werken über die aktuelle Diskussion zu den tieferliegenden Ursachen des Populismus erfährt man wenig. Hier hat sich mittlerweile zum Beispiel eine hitzige Debatte darüber ergeben, was bedeutungsvoller sei: Kultur oder Ökonomie – nachzulesen zuletzt etwa bei Manow (2018), der gegen die Kulturthese eine ökonomische Erklärung vorbringt.


Die Wählerschaft der Populisten

Eng verbunden mit der Frage der Ursachen ist die Wählerforschung zum Populismus, erhoffen sich Forscher doch, aus dem Bild, wer Populisten wählt, Schlüsse ziehen zu können, warum diese Personen Populisten wählen. Wie schon bei den Ursachen ist die Forschungslage hierzu nicht eindeutig. Lange Zeit galt die Ansicht, es seien die Modernisierungs- beziehungsweise Globalisierungsverlierer, die Populisten wählten. Dieser Ansicht folgt auch Loch in seinem Beitrag im Handbuch. Die Wähler*innen von rechtspopulistischen Parteien in Europa würden aus unteren Schichten kommen und seien weniger gebildet als andere Teile der Wählerschaft. Zudem wohnten sie eher in oder nahe bei städtischen Gegenden, die besonders vom ökonomischen Niedergang infolge der Deindustrialisierung betroffen sind. Weitere Merkmale seien zudem starke nativistische Ansichten sowie eine hohe Bedeutung des Nationalstaates und eine negative Haltung zu Immigranten.

Differenzierter beschreibt Mastropaolo die Lage. Für ihn ist die Frage nach den Wähler*innen von populistischen Parteien unklar und selbst einem Wandel unterlegen. So hält er es für falsch, diese nur als Verlierer zu bezeichnen und führt als Gegenbeispiele die Schweiz, Belgien oder Italien an. Zugleich treffe aber auch zu, dass eine beträchtliche Anzahl an Wähler*innen von UKIP in Großbritannien tatsächlich die „left behind" (68) seien. Ein Beispiel für den Wählerwandel sei Frankreich. Den Front National hätten zunehmend Menschen aus der Arbeiterklasse gewählt, die zuvor für linke Parteien gestimmt hätten, was für eine Radikalisierung der Wählerschaft sprechen könne.

Am ausführlichsten klärt Gilles Ivaldi in seinem klassischen Überblicksartikel über die Wählerschaft der Rechts- und Linkspopulisten in Europa auf. Generell gelte, dass eher Männer für rechtspopulistische Parteien stimmten, hier jedoch starke länderspezifische Unterschiede existierten, weshalb es schwer sei, ein klares Muster zu identifizieren. Wähler*innen von Rechtspopulisten seien eher schlechter gebildet und die untere sozioökonomische Klasse sei überrepräsentiert. Daher könne hier durchaus von Modernisierungs- beziehungsweise Globalisierungsverlierern gesprochen werden, wozu die Arbeiterklasse, die untere Mittelschicht sowie die Arbeitslosen gehörten. Bei linkspopulistischen Parteien ist die Lage hingegen unklarer, da auch besser Gebildete diese wählten, wie das Beispiel Podemos in Spanien zeige. Wie schon Mastropaolo weist Ivaldi auf das mittlerweile bekannte Phänomen hin, dass Rechtspopulisten zunehmend das klassische linke Wählermilieu einnehmen, also zum Beispiel Arbeitslose rechtspopulistisch wählen. Immigrant*innen werden bei rechtspopulistischen Wählern als ökonomische und kulturelle Bedrohung gesehen – bei linkspopulistischen Wählern sollen vermehrt ökonomische Motive von Bedeutung sein. Eine Gemeinsamkeit von links- wie rechtspopulistischen Wähler*innen sei die Unzufriedenheit mit und das Misstrauen gegenüber dem politischen Establishment. Eine Protesthaltung ist dabei Ivaldi zufolge mit Politikverdrossenheit verbunden. Auch eine EU-skeptische Haltung werde auf beiden Seiten gefunden.

Deutlich ergibt sich am Ende dieser Zusammenstellung die Notwendigkeit weiterer Forschung, um zu einem deutlicheren Ergebnis der Wählerschaft der Links- und Rechtspopulisten zu kommen. Erforderlich ist dies auch angesichts der zu beobachtenden Entwicklung der Wählermilieus. Leider wird im Handbuch das Thema populistische Einstellungen bei Bürger*innen allgemein und im Besonderen bei Wähler*innen von populistischen Parteien nicht behandelt. Damit negligiert es einen Aspekt, der in der Forschung in letzter Zeit durchaus größere Beachtung gefunden hat und der auf eine weitere Ursache hinweisen könnte, Populisten zu wählen. Voraussetzung dafür ist jedoch, Populismus selbst als eine dünne Ideologie zu begreifen, die die politische Mentalität von Bürger*innen mitbestimmt, und nicht als bloßen Stil von Politikern abzutun.


Auswirkungen des Populismus

Eine weitere zentrale Frage innerhalb der Populismusforschung zielt auf die Auswirkungen des Populismus auf die liberale Demokratie ab. Verschiedene Autor*innen des Handbuches nehmen sich dieser Thematik an. Robert A. Huber und Christian H. Schimpf zeigen in einem theoretischen Beitrag die möglichen positiven und negativen Einflüsse des Populismus und zugleich auch die Komplexität dieser Fragestellung auf, wenn man zu quantitativ-empirischen Ergebnissen kommen will. Tjitske Akkerman wiederum gibt einen Überblick über die verschiedenen Forschungsergebnisse zum Thema mit Bezug zum Rechtspopulismus. Sie gelangt zu dem Fazit, dass der Erfolg bei der Umsetzung rechtspopulistischer Politikinhalte gering sei und damit auch der Effekt im Hinblick auf liberale Rechte und Freiheiten in Westeuropa. In Osteuropa und Lateinamerika seien Rechts- beziehungsweise Linkspopulisten in dieser Hinsicht erfolgreicher. Rechtspopulisten in Westeuropa würde es jedoch gelingen, Druck auf etablierte rechte Parteien auszuüben, ihre Politik im Hinblick auf Themen der Immigration und der Integration restriktiver und autoritärer zu gestalten. Dieser Druck sei jedoch unabhängig davon, ob sich Rechtspopulisten an der Macht befänden oder ‚nur‘ elektoralen Erfolg erzielten. Rechtspopulisten haben laut Akkerman auch keinen positiven Effekt auf die liberale Demokratie im Hinblick auf ihre Forderung, dem ‚Volk# mehr Partizipationsmöglichkeiten und Mitbestimmungsmöglichkeiten einzuräumen, um so das angebliche Ungleichgewicht zwischen Elite und Volk zu beseitigen. Im Allgemeinen lasse sich also nicht nachweisen, dass Rechtspopulisten an der Macht in Westeuropa direktdemokratische Elemente einführen. Einzig positiver Einfluss aus demokratietheoretischer Perspektive, so Akkerman, ist die Stimme, die sie Wähler*innen gegeben haben, die mit der Immigrations- und Integrationspolitik unzufrieden sind. Keine Erwähnung findet an dieser Stelle die Frage, inwieweit Rechtspopulisten in Europa zu einer Polarisierung der Gesellschaft beitragen, die zugleich zu einer (Re-)politisierung der Bevölkerung beitragen, die sich zum Beispiel in erhöhter Wahlbeteiligung ausdrückt.

Warnungen vor Rechtspopulisten an der Macht sind Akkerman zufolge also übertrieben, wobei diesem Fazit angesichts der letzten Erfolge von Populisten mit Vorsicht begegnet werden sollte. Gründe für das bisherige „Scheitern“ der rechtspopulistischen Agenda seien unter anderem das Parteiensystem mit der Notwendigkeit von Koalitionen oder Verfassungen mit starken Verfassungsgerichten, die eine Erosion individueller Rechte verhinderten.

Anders gestaltet sich das Bild in Südamerika. Hier analysieren Saskia P. Ruth und Kirk A. Hawkins die ambivalente Beziehung von demokratischer Repräsentation und (Links-)Populismus. Dabei gelangen sie zu dem Schluss, der Linkspopulismus habe gemischte Resultate hervorgebracht. Die deskriptive und symbolische Repräsentation sei gestärkt worden, da die Nähe zu den repräsentierten Wählern zugenommen habe, denn die Repräsentanten seien vermehrt selbst aus der Arbeiterschicht, die sie repräsentieren sollen, gekommen. Ambivalent sei jedoch das Ergebnis im Hinblick auf die substanziellen politischen Inhalte, die umgesetzt worden seien, wie auch im Hinblick auf die formale Repräsentation, da nicht immer institutionalisierte Mechanismen geschaffen worden seien, um die tatsächliche Einflussnahmen der repräsentierten Wählerschichten zu gewährleisten.

Während im Handbuch damit eine Reihe von Effekten angesprochen werden, kommen die Auswirkungen, die rechtspopulistische Akteure mit ihren politischen Ansichten und ihrer politischen Sprache auf die Demokratie haben, zu kurz (mit Ausnahme des Beitrages von Gherghina, Miscoiu und Soare, die auf den vermehrten Gebrauch populistischer Rhetorik als Reaktion auf Populisten in Zentral- und Osteuropa hinweisen).

Séville erkennt in dem von Pegida und AfD benutzten populistischen Slogan „Wir sind das Volk“ eine „diskursive Privilegierung der Unterprivilegierten“ (111), die zu einer Rechtsverschiebung des politischen Diskurses in Deutschland führe. Rechtspopulisten stilisierten sich als die einzigen Akteure im politischen System, die sich noch trauten, die ganze, volle Wahrheit zu sagen, während die etablierten Parteien und Medien die Wahrheit verschweigen würden. Die deutliche Kritik an gezielten populistischen Tabubrüchen, zu denen Diskriminierungen und Hassreden gehörten, werde als Beleg dafür gedeutet, wie die etablierten Akteure die Wahrheit im Namen der politischen Korrektheit unterdrücken. So könnten sich die AfD und andere Rechtspopulisten als Opfer darstellen, die doch bloß der „Mut zur Wahrheit" (135) geleitet hätte. Die typische Formulierung dieses Verhaltens laute dann „das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen" (138), was Séville als „Unkultur des politischen Disclaimers" (119) bezeichnet. Zweck dieser Aussage sei es, dem Gegenüber die grundsätzliche Bürgerlichkeit vorzutäuschen, um einen grundlegenden Rassismus oder Sexismus zu verbergen mit der Folge, dass diese Gedanken immer wieder von den etablierten Medien aufgenommen und so in der Gesellschaft hängenbleiben würden.

Unterfüttert wird diese These zudem durch die Studie von Schaeffer, die diesen Effekt der Rechtsverschiebung des politischen Diskurses mit Bezug zu den sozialen Medien herstellt – ein Bezug, der im Handbuch und auch bei Séville keine große Beachtung erfährt. Schaeffer beschreibt, wie gravierend sich die Nachrichten rechter Gruppierungen in den sozialen Medien von den Nachrichten der traditionellen Medien unterscheiden. Erstere seien geprägt durch Falschinformationen, massive Desinformation und das Ignorieren von zahlreichen positiven Ereignissen, sowie durch Provokationen, Hetze und Menschenfeindlichkeit. Schaeffer erläutert anhand der Beispiele von Donald Trump und der AfD, mit welchen Mitteln und auf welchen Wegen rechtspopulistische Akteure in den sozialen Medien gezielt Falschinformationen streuen, wie die Zielgruppen mit Mikrotargeting angesprochen werden und wie mit Social Bots (automatisierte Profile in sozialen Netzwerken) und Trollen die Häufigkeit der Nachrichten (likes und retweets) erhöht wird, womit der Eindruck einer großen Relevanz der Nachricht entsteht. Mit dieser „Gegenöffentlichkeit“ (21) im Internet finde eine Veränderung der Sprache statt, die sich in einem geschlossenen Raum verbreite und jegliche abweichende Meinung durch einen „Shitstorm“ niederschreie. Die Inhalte hierbei bezögen sich vor allem auf die Themen Staatsversagen, Elite vs. Volk, Ungleichbehandlung der Deutschen, soziale Defizite, falsch verstandene Toleranz, Flüchtlinge, Europa und den Euro, Sicherheit, Islam sowie Fragen der nationalen Identität, wobei das Muster der AfD-Narrative immer wieder ein „Wir gegen die" (121) enthalte. Blieben diese Inhalte und die dazugehörige Rhetorik meistens in ihrer Echokammer, könnten sie aber durchaus auch Einfluss auf den Rest der öffentlichen Auseinandersetzung haben, wenn die etablierten Medien bestimmte Begriffe aufgreifen würden.

Die sozialen Medien eignen sich für Populisten besonders, um ihre Botschaften zu verbreiten, weil Soziale Medien einen direkten Zugang zu ihren Sympathisanten bieten würden (so auch im Beitrag von Sorensen im Handbuch). Soziale Medien sind so ideale Verstärker für den rechtspopulistischen Protest, weshalb es nicht überrascht, dass keine Partei so aktiv in den sozialen Medien ist wie die AfD. Das Muster des Protestes ist laut Schaeffer immer gleich: Im ersten Schritt erfolge ein intendierter Tabubruch, der zweite Schritt beinhalte die Multiplikation und Eskalation, im dritten Schritt komme es zu einer Relativierung des Gesagten, ohne die Provokation vollständig zurückzunehmen oder sich explizit zu distanzieren. Resultat sei dann jeweils, dass die Grenze des Sagbaren verschoben und Menschen radikalisiert würden. Schaeffer kann bei ihrem Selbstversuch auch nachzeichnen, dass die Nachrichtenkanäle der Rechtspopulisten in den sozialen Medien als eine Einladung an rechtsextremistische Personen fungieren, um ihr rechtsextremistisches Gedankengut auf „harmloseren“ Plattformen zu verbreiten. Der Rechtspopulismus öffne damit systematisch eine Einfallstür für den Rechtsextremismus.

Neben dieser Rechtsverschiebung des politischen Diskurses beobachtet Schaeffer einen weiteren Effekt der sozialen Medien im Zusammenhang mit dem Rechtspopulismus. Denn die dramatische Folge und die eigentliche Gefahr für die Demokratie, die von den sozialen Medien ausgehe, sei, dass eine demokratische Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Meinungen nicht mehr stattfinde, eine politische Kommunikation und eine Verständigung somit unmöglich werde: „[W]ir werden nicht über den richtigen Weg für unser Land streiten können, wenn wir nicht dieselbe Sprache sprechen." (163) Wenn Fake und Hetze Fakten ersetzten, gebe es keine gemeinsame Öffentlichkeit mehr. So komme es zu einer „fundamentale[n] Veränderung des öffentlichen Informationsraumes und der Meinungsbildung" (18).

Auf diese Veränderungen der demokratischen Auseinandersetzung und der Meinungsbildung durch die sozialen Medien wird man eine Antwort finden müssen. Dies gilt gerade, weil der Einfluss von sozialen Medien in Zukunft auf Politik und Wahlkämpfe immer stärker werden dürfte.


Was folgt daraus?

Abschließend stellt sich zu diesem Thema noch die Frage: Was folgt daraus? In der Populismusforschung gibt es hierzu eine Debatte, in der sich Vorschläge des Einbindens, des Ausgrenzens oder des Ignorierens als Umgangsformen mit dem (Rechts-)Populismus gegenüberstehen. Die Autor*innen der drei besprochenen Werke können zu dieser Debatte jedoch wenig Substanzielles beitragen. Das Handbuch enthält hierzu jenseits von ein, zwei Anmerkungen nichts. Zu diesen wenigen Anmerkungen gehört etwa der Hinweis von Franca Roncarolo, es gebe im heutigen medialen Kontext für Politiker kein Vorbeikommen an populistischer Rhetorik, da sie als Mobilisierungstechnik während des Wahlkampfes und dann auch während des Regierens unbedingt nötig sei. Auch erwähnt Mastropaolo, dass die Bezeichnung „rechtspopulistische Partei“ durch etablierte Parteien dazu beitrage, Rechtspopulisten und ihre rechte Politik zu normalisieren, wodurch Wähler*innen einfacher zu gewinnen seien. In diese Kerbe schlägt auch Séville, die dazu auffordert, Rechtspopulisten im Anschluss an Heitmeyer als „autoritäre Nationalradikale“ (117) zu bezeichnen, da es ansonsten zu einer Verharmlosung komme. Jenseits dieser sprachlichen Modifikation verliert sich Séville dagegen zumeist in Plattitüden und Appellen, wie zum Beispiel mit der Forderung nach „Aufnahme des rhetorischen Kampfes um Hegemonie seitens der echten Demokraten" (106) oder nach einem „liberal-demokratischen Sound der Macht" (168). Hinzu gibt sie Ratschläge, die wie Werbeslogans daherkommen und wohl höchstens für ein Plakat bei einer Demonstration dienlich sein dürften: „Wir sind die Bevölkerung – und wir sind viele, bunt und laut". An anderer Stelle plädiert Séville für einen „pluralismuskompatiblen Diskurs“ (117). Es bleibt unausgearbeitet, was genau dies bedeuten soll.

Schaeffer hat immerhin dem Thema ein eigenes Kapitel gewidmet. Die Autorin will die sozialen Medien trotz ihrer problematischen Seite nicht verdammen. Stattdessen müsse der digitale Wandel genutzt und mitgestaltet werden, sodass er nicht den Populisten überlassen werde. Konkret legt sie eine Liste mit acht Punkten vor, mit der das Netz als Raum für demokratische Verständigung zurückerobert werden solle. Dazu gehören unter anderem die Entgegnung der Fake-News mit Fakten, ein Aufruf zu mehr Streit ohne Hetze, das Stören der Echokammern, wenn man im realen Miteinander etwa im Verein oder in der Nachbarschaft aufeinandertrifft. Außerdem hält sie ein Gesetz zur Bekämpfung von Fake-News für nicht wirkungsvoll. Besser sei es, die Medienkompetenz zu stärken, um Wahres von Unwahrem unterscheiden zu können. Wenn dies gelinge, dann sei der digitale Strukturwandel eine große Chance für die Demokratie.

Schaeffers Vorschläge sind hilfreich für ihre Thematik der sozialen Medien. Von den anderen beiden Werken hätte man sich jedoch mehr erwartet, weil sie das Thema (Rechts-)populismus in Gänze analysieren. Angesichts der Wichtigkeit der Frage nach dem Umgang mit Populismus ist das Ausblenden beziehungsweise die ungenügende Bearbeitung dieser Dimension unerklärlich.


Fazit

Insgesamt handelt es sich um drei lesenswerte Werke zu einem Thema, das die politische Agenda auch in Zukunft mitbeherrschen wird. Das Handbuch, von dem nur ein Teil der Beiträge besprochen werden konnte, ist sicherlich das anspruchsvollste und inhaltlich fundierteste. Leider ist die Selektion der Beiträge nicht immer nachvollziehbar und manche Themen werden nicht so aufbereitet, wie man es bei einem Handbuch erwarten dürfte. Sévilles Buch lässt sich schnell lesen und beinhaltet in seiner essayistischen Form immer mal wieder Thesen, die zum Weiterdenken einladen. Dazu gehört etwa, dass der Populismus den blinden Fleck des politischen Liberalismus aufzeige, weil dieser die konstitutive Bedeutung von kollektiven Erfahrungen für Politik und Gesellschaft negiere. Schaeffer wiederum hat eine bemerkenswerte Studie vorgelegt, bei der zwar manches Ergebnis schon bekannt sein dürfte, aber doch gerade aufgrund des Selbstversuches interessante Auswirkungen auf die Demokratie zutage fördert. Zu ergänzen wäre diese Studie durch eine Untersuchung über die Nutzer*innen sozialer Medien und deren Beweggründe, entsprechende Foren aufzusuchen und sich darin auf diese rechtspopulistische und rechtsextremistische Art auszudrücken

So kann man festhalten, dass die drei unterschiedlichen Werke die Forschungsthematik bereichern. Aufgrund der derzeitigen Erfolge und der inhaltlichen Flexibilität von Populisten bleibt der Forschungsgegenstand von größtem Interesse. Gerade auch im Hinblick auf die Auswirkungen auf die Demokratie stellt sich noch die Frage, wie man hierauf reagieren und welche Rolle politische Bildung spielen sollte, wenn sich vermehrt populistische Einstellungen in der Bevölkerung etablierten, wie dies zum Beispiel im Populismusbarometer 2018 festgestellt wurde (Vehrkamp/Merkel 2018).


Literatur

Manow, Philip (2018): Die politische Ökonomie des Populismus. Berlin: Suhrkamp

Moffitt, Benjamin (2016): The Global Rise of Populism. Performance, Political Style, and Representation. Palo Alto: Stanford University Press

Vehrkamp, Robert / Merkel, Wolfgang (2018): Populismusbarometer 2018. Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern in Deutschland 2018. Gütersloh, Bertelsmann Stiftung

 

CC-BY-NC-SA
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