Der Schutz maritimer kritischer Infrastrukturen und das Konzept der Abschreckung
Julian Pawlak, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität, beleuchtet für SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen den Schutz maritimer kritischer Infrastrukturen (KRITIS). In der Analyse zu künftig notwendigen Kooperationen von staatlichen wie privaten Akteuren zur Prävention wird eruiert, wie extra-terrestrische Infrastrukturen trotz ihrer Vulnerabilität vor vorsätzlicher Beschädigung, temporärem Ausfall oder dauerhafter Zerstörung durch staatliche Akteure geschützt werden können – und was dies mit dem Konzept der Abschreckung zu tun hat.
Eine Analyse von Julian Pawlak
1 Einleitung
Die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines im September 2022 hat den Schutz kritischer Infrastrukturen (KRITIS) im maritimen Raum auf die Tagesordnung der sicherheitspolitischen Debatte gebracht. Die Angriffe in der zuvor in Anbetracht der Beitrittsverhandlungen Schwedens und Finnlands voreilig als „NATO-Meer“ bezeichneten Ostsee[1] unterstreichen die Vulnerabilität extra-terrestrischer Infrastrukturen. Sie werfen zudem ein Licht auf eine ganze Reihe von Unwägbarkeiten unterhalb der Meeresoberfläche beziehungsweise auf dem Meeresboden. Diesen Sabotageakt begleiteten weitere Ereignisse, die maritime kritische Infrastrukturen betrafen. Dazu gehörten die unbefugten Drohnenüberflügen über norwegische Offshore-Anlagen[2], die Abtrennung von 4,2 km an Unterseedatenkabel vor Spitzbergen[3] sowie die ebenfalls absichtlichen Beschädigungen von Unterseekabeln vor der französischen Mittelmeerküste[4]. In der Bundesrepublik verstärkte die Sabotage am Zugfunksystem der Deutschen Bahn die Aufmerksamkeit für kritische Infrastrukturen[5]. Bei all diesen Vorfällen besteht der Verdacht des Vorsatzes. Daher liegt die breite Aufmerksamkeit für den Schutz maritimer kritischer Infrastrukturen nicht mehr bloß auf Sicherheitsmaßnahmen gegen unabsichtliche oder natürliche Schadensgeschehen (Unfälle, menschliches Versagen, Naturereignisse) bei der Abwägung von wirtschaftlichen Faktoren oder Umweltschutz. Heute gilt es, den Schutz maritimer KRITIS vor vorsätzlicher Beschädigung, temporärem Ausfall oder dauerhafter Zerstörung durch staatliche Akteure sicherzustellen.
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) definiert kritische Infrastrukturen als „Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden.“[6] Zum Bereich maritimer KRITIS gehören insbesondere die beiden Sektoren Energie sowie Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT).[7] Erhöhte Wachsamkeit ist angebracht beim weltweiten Netz an Unterseedatenkabeln[8], den Pipelines der Energieversorgung,[9] den Offshore-Energieinstallationen sowie den jeweiligen Transfer- und Transportrouten und den entsprechenden Anlande- und Verteilerstationen. Auf militärischer Seite hat man seit einigen Jahren auf die Risiken und Herausforderungen für maritime KRITIS, vor allem auch unterhalb der Wasseroberfläche, hingewiesen, ohne jedoch in der Politik Resonanz zu finden.[10]Häufig bezogen sich diese Warnungen auf entsprechende Fähigkeiten Russlands.[11] Speziell die Aktivitäten der russischen Seestreitkräfte[12] entlang bedeutender Unterseekabel beobachtete man skeptisch. Norwegische Medien konnten unter anderem anhand von AIS-Daten[13] (Automatic Identification System) unregelmäßige Bewegungen russischer Fischerboote im Bereich beschädigter Unterseekabel feststellen.[14] In der strategisch und sicherheitspolitisch orientierten Wissenschaft werden die Risiken für maritime kritische Infrastrukturen häufig unter dem Oberbegriff „hybride Bedrohungen“ subsumiert.[15] Mittlerweile hat man die maritimen Abhängigkeiten, von KRITIS bis zu Lieferketten und Energieversorgung, als weaponized interdependence[16] identifiziert, also als Verwendung von ökonomischen Abhängigkeiten als politische Waffe.[17] Eine kürzlich erschienene, für das Europäische Parlament erstellte Analyse gibt einen guten Überblick über die aktuellen Risiken für die Europäische Union.[18]
Es ist davon auszugehen, dass derzeit alle maritimen kritischen Infrastrukturen unzureichend gegen vorsätzliche Beschädigung geschützt sind. Dies gilt insbesondere mit Blick auf staatliche Akteure wie Russland, das derartige Fähigkeiten in den vergangenen 15 Jahren konsequent entwickelt hat. Der Schutz maritimer KRITIS findet auf zwei Ebenen statt: Erstens ist es der Schutz im Sinn von Resilienz und Redundanzen der KRITIS, der nach wie vor im Wesentlichen in der Verantwortung der privatwirtschaftlichen Betreiber liegt. Hier geht es darum, durch passiven Schutz und den Aufbau redundanter Strukturen die möglichen Konsequenzen einzelner Ausfälle so gering wie möglich zu halten. Zweitens ist es der Schutz durch Präsenz und Überwachung und gegebenenfalls durch aktives Eingreifen seitens staatlicher Stellen. Das bedeutet, dass kommerzielle und staatliche Akteuren kooperieren müssen. Denn wegen der geographischen Lage dieser Infrastrukturen, die sich zu weiten Teilen auf dem Meeresboden der Hohen See und damit außerhalb hoheitlicher Territorialgewässer befinden, stellt der Schutz dieser Strukturen eine besondere Herausforderung dar und verlangt komplexe internationale Absprachen. Dieser Artikel zeigt im Rahmen einer Bestandsaufnahme von Risiken und Gegenmaßnahmen auf, dass auch dieser Herausforderung strategisch und im internationalen Verbund mit dem Konzept der Abschreckung zu begegnen ist.
Anmerkungen
Der Schutz maritimer kritischer Infrastrukturen und das Konzept der Abschreckung
SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen
Band 7 Heft. 2-2023, Seiten 160-166, https://doi.org/10.1515/sirius-2023-2005
Die Erstveröffentlichung des Textes erfolgte am 7. Juni 2023.
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