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Rezension / 06.05.2020

Sebastian Lange: Provokante Kommunikation. Strategien im politischen Umgang mit transnationalem Terrorismus

Bielefeld, transcript 2019

Sebastian Lange untersucht die transnationale Organisation al-Qaida sowie die politischen Reaktionen insbesondere auf die Terroranschläge vom 11. September 2001. Dass die Anschläge und die politischen Reaktionen darauf zusammengehören, wird kommunikationstheoretisch begründet. Demnach sei Kommunikation ein zirkulärer Austausch von Reaktionen, entscheidend sei, wie ein Verhalten aufgenommen werde, auf welche Inhalte man reagiere und in welche Beziehung man sich dazu stelle. Für Lange zeigen sich vier idealtypische Reaktionsmuster, die jeweils weitere Terroranschläge unterbinden sollten.

In seiner an der Humboldt-Universität zu Berlin eingereichten Dissertation analysiert der Politikwissenschaftler Sebastian Lange die transnationale Organisation al-Qaida sowie die politischen Reaktionen insbesondere auf die Terroranschläge auf das New Yorker World Trade Center vom 11. September 2001. Dass die Anschläge und die politischen Reaktionen darauf zusammengehören, wird im Rückgriff auf die Kommunikationstheorie vor allem Paul Watzlawicks und Niklas Luhmanns entfaltet: Demnach sei Kommunikation ein zirkulärer Austausch von Reaktionen, sodass es keine erste Ursache geben könne, wohl aber Strukturmerkmale festgehalten werden können. Entscheidend sei demnach, wie ein Verhalten aufgenommen werde, auf welche Inhalte man reagiere und in welche Beziehung man sich dazu stelle (72 ff.).

Mit Blick auf den Anschlag von 2001 in New York sei dementsprechend schon strittig, ob dieser Angriff eine Reaktion auf die jahrzehntelange Unterdrückung der Muslime gewesen oder ob er als Kriegserklärung zu werten sei (196 f.). Jedenfalls habe es idealtypisch vier Reaktionsmöglichkeiten gegeben, die jeweils weitere Terroranschläge unterbinden sollten (201 f.): Man hätte die Kommunikation einerseits verweigern, andererseits annehmen können; zudem hätte man zwei Ziele anvisieren können: zum einen die Zerstörung von al-Qaida, zum anderen die Förderung dieser Organisation (gemeint ist, sie als Gesprächspartner zu etablieren). Wer militärisch, wie die Bush-Administration, auf einen Krieg gegen den Terrorismus setze, habe die Kommunikation angenommen und wolle al-Qaida zerstören. Diese erste Handlungsoption wird von Lange kritisiert: Sie habe im eigenen Lager zu einer „Inflation von Strukturen“ (42) und zu einer allzu starken Betonung der Sicherheitspolitik unter Vernachlässigung anderer Politikfelder geführt, zudem habe sie als Gegenreaktion den Zulauf bei al-Qaida nur verstärkt (147 f.). Erfolgversprechender wäre demgegenüber (zweitens) gewesen, in Verhandlungen einzutreten, wie es Präsident Obama im Juni 2009 mit seiner Rede „A New Beginning“ in Kairo gegenüber der Hamas versuchte (17, 187) – auch hier werde die Kommunikation angenommen, aber als „konsequente Politisierung“ (205) werde der Organisation die Möglichkeit eröffnet, sich nicht mit Terror, sondern mit Deliberation politisch zu beteiligen – und sich dazu gegebenenfalls von den Gewalttätern abzugrenzen. Lehne man hingegen (drittens) die Kommunikation ab, könne man politische Förderung (also Verhandlungen) nur im Verborgenen, namentlich durch Geheimdiplomatie, erreichen. Auch diese Option weist Lange zurück, weil sie nicht nachhaltig wirke (203) und keine parlamentarische Kontrolle ermögliche (66), sie könne also nur am Anfang einer politischen Lösung stehen. Erfolgversprechender sei demgegenüber (viertens) eine „konsequente Kriminalisierung“ (205), auch hier lasse man sich nicht auf eine politische Kommunikation ein, sondern behandle al-Qaida wie gewöhnliche Verbrecher. Das würde zwar eine Steigerung der Terroranschläge evozieren, mit der sich al-Qaida noch massiver als Gesprächspartner aufdränge, aber wenn man dies mit „heroischer Gelassenheit“ (204) durchstehe, wäre auch diese Option erfolgversprechend.

Lange setzt in seiner Analyse voraus, dass al-Qaida als Organisation und nicht als (loses) Netzwerk anzusehen sei, denn nur eine Organisation sei ein möglicher Verhandlungspartner. Dementsprechend besteht ein zweiter Schwerpunkt seiner Arbeit darin, diese Zuordnung zu belegen. Dazu greift er allerdings nur teilweise auf die Kommunikationstheorie zurück, indem er nämlich die Netzwerk-Hypothese als eine Lesart allein der RAND-Corporation zu entlarven sucht (124 f.), die jedoch die Fakten nicht präzise genug interpretiert hätten (128) – und sodann hebt er auf die Daten und weniger auf deren Kommunikation ab. Fakt sei, dass al-Qaida über klare Führungsgremien verfüge (167), sich eine Satzung gegeben habe, sodass Personen ausgetauscht werden konnten (170 f.), rational-bürokratisch organisiert gewesen sei und die Mitgliedschaft (über einen Treueschwur) geregelt habe.

Eine Unklarheit bleibt jedoch beim Lesen dieser engagierten Analyse zurück: die Rede vom Identitätskonflikt und dem politischen Umgang damit. Lange betont, dass al-Qaida beziehungsweise die Dschihadisten eine religiös-fundamentalistische Position vertreten, die Moderne komplett ablehnen (19, 177) und damit also einen Identitätskonflikt evozieren würden. Zudem hat er im Anschluss an Luhmann festgehalten, dass solche Konflikte „nicht verhandelbar“ seien, weil hierbei „die Spielregeln selbst […] in Frage stehen“ (86). Daher könnten diese „immer nur situationsabhängig, nur ad hoc, nur in Teilsystemen der Gesellschaft bzw. nur von Einzelpersonen entschieden werden“ (88). Sind dann aber die aufgezeigten politischen Reaktionsmöglichkeiten nicht etwas zu vollmundig ausgefallen? Müsste man nicht das „Problem des Nichtwissens“ (21: Terrorismus ist nur schwer erforschbar) auf diese religiöse Fundierung ausdehnen? Wird nicht auch von Lange al-Qaida in ein kommunikatives System integriert, das sie als politische, nicht aber ebenso als religiöse Organisation liest, das also nur die politischen, nicht aber die (unverhandelbaren) religiösen Ziele (108) in den Blick nimmt?

 

CC-BY-NC-SA
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