Von Hamburg nach Buenos Aires. Wird der diplomatische Erfolg der G20 fortgesetzt?
Zwar habe sich die G20 in Hamburg als flexibel genug gezeigt, um angesichts der Blockadehaltung der Trump-Administration unter anderem in der Klimapolitik nicht zu scheitern. Die Präsidentschaft Deutschland sei damit als ein diplomatischer Erfolg zu werten, schreibt Jann Lay. Ob dieser allerdings unter der nächsten Präsidentschaft Argentiniens fortgesetzt werden könne, sei angesichts der angekündigten Agenda zweifelhaft. Lay betont aber, dass schon die gegenwärtige Kooperation nicht ausreiche, um die dringenden globalen Probleme zu lösen.
Die meisten Beobachter beurteilen die „Leistung“ der G20 unter deutscher Präsidentschaft als Erfolg. Amrita Narlikar (2017) hält zum Beispiel den G20-Gipfel von 2017 für einen bahnbrechenden Moment, da es gelang, in einer Zeit, in der die Globalisierung zunehmend Gegenwind bekommt, eine gemeinsame Erklärung zu erreichen. So gesehen kann die gemeinsame Erklärung als ein wichtiger Erfolg betrachtet werden: Es wurde ein Konsens gefunden, der anerkennt, dass Wirtschaftswachstum inklusiver werden muss und die Vorteile der Globalisierung gleichmäßiger verteilt werden müssen. Zudem wurde durch die Reaktion auf den Rückzug der US-Regierung aus dem Pariser Klimaschutzabkommen – die 19 anderen Mitgliedstaaten der G20 haben die Entscheidung zur Kenntnis genommen, während sie sich gleichzeitig einzeln und als Gruppe zu dem Abkommen bekannten – der Konflikt diplomatisch gekonnt entschärft und das Scheitern des Gipfels verhindert.
Die G20 konnte in Hamburg eine Verhärtung der Fronten verhindern, daher neige ich dazu, mich der oben genannten optimistischen Interpretation des Gipfels als einen diplomatischen Erfolg anzuschließen. Wie aus der obigen Darstellung hervorgeht, hängt die Beurteilung der G20 im Jahr 2017 auch davon ab, welche alternativen Szenarien möglich gewesen wären. Es ist nicht undenkbar, dass man sich nicht auf eine Leaders‘ Declaration (Erklärung der Staats- und Regierungschefs) mitsamt allen Anhängen verständigt hätte. Darüber hinaus ist es auch vorstellbar, dass andere Länder die Positionen der US-Regierung zu Handel und Klima ausgenutzt hätten, um frühere einvernehmliche Auffassungen und internationale Abkommen aus innenpolitischen Motiven beziehungsweise zu sonstigen taktischen und strategischen Zwecken infrage zu stellen.
Der Hauptgrund für den diplomatischen Erfolg des G20-Gipfels in Hamburg war seine Flexibilität; diese Eigenschaft war 2017 besonders wichtig und wird es wohl auch unter der argentinischen Präsidentschaft bleiben. Der Gipfel in Hamburg – und die Vorarbeiten in den Arbeitsgruppen und bei Ministertreffen – bot die Gelegenheit zu sondieren, in welchem Ausmaß eine weitgehend unberechenbare US-Regierung zu internationaler Kooperation bereit war. Dank des Umstandes, dass die G20-Treffen eher als ein informeller Prozess des Austausches und der Beratungen angelegt sind, konnte die Gruppe diese Funktion erfüllen. In diesem Sinne hat die G20 eine wichtige ergänzende Rolle zu den Vereinten Nationen (UN), anderen internationalen Organisationen und Abkommen gespielt, die von der US-Regierung unterminiert werden. Auch wenn die weitere Schwächung internationaler Organisationen ein reales Risiko ist, ist es nicht innerhalb der G20 entstanden. Vielmehr sind die Arbeitsgruppen für eine Reihe internationaler Organisationen ein wichtiges Mittel, um Regierungsvertreter, die sich ansonsten eher für innenpolitische Angelegenheiten interessieren, für ihre Arbeit zu sensibilisieren.
Mehrere Beobachter (Narlikar 2017; Berger 2017) haben darauf hingewiesen, dass sich die G20 unter deutscher Präsidentschaft erstmals ihren Legitimationsproblemen zuwandte. Obgleich die Proteste in Hamburg einen anderen Schluss nahelegen, bemühte sich die G20 im Vorfeld des Gipfels ausdrücklich darum, mit verschiedenen Gruppen in einen ernsthaften Dialog zu treten. So hat die Bundesregierung insbesondere die sogenannten Beteiligungsgruppen der G20 – zum Beispiel die C20 (zivilgesellschaftliche Organisationen), die T20 (Denkfabriken) und die L20 (Arbeitergruppen und Gewerkschaften) – unterstützt und aktiv an deren Treffen teilgenommen.
Im Jahr 2017 erwies sich die G20 als ein relativ robuster Prozess, der in der Lage war, ein gewisses Maß an internationaler Kooperation aufrechtzuerhalten. Es wird eine der Hauptaufgaben der argentinischen Präsidentschaft sein, diesen Prozess dynamisch und produktiv fortzuführen.
…. aber Fortschritte in zentralen Problemfeldern waren (sehr) begrenzt
Leider ist das gegenwärtige Niveau der Kooperation zwischen den G20-Mitgliedern nicht ausreichend, um die dringenden globalen Probleme anzugehen, denen sich die Staatengemeinschaft heute gegenübersieht; das gilt insbesondere für den Klimawandel und die Notwendigkeit, die Rahmenbedingungen der Globalisierung neu auszuhandeln. So hat die G20 zwar ihre diplomatische Bedeutung gewahrt und sogar noch verstärkt, aber was substanzielle Ergebnisse anlangt, bleibt noch viel zu tun. Damit soll der Stellenwert der G20 als Prozess nicht geschmälert und auch nicht behauptet werden, dass deutliche Fortschritte im Jahr 2017 politisch erreichbar gewesen wären. Dennoch ist es notwendig festzustellen, dass bei zwei wichtigen globalen Herausforderungen nur unzureichende Fortschritte gemacht wurden.
Erstens sind die Maßnahmen gegen den Klimawandel ganz offensichtlich unzulänglich. Dies hängt nicht nur mit der Position der US-Regierung zusammen. Es ist auch darauf zurückzuführen, dass es nicht genügt, dass 19 Mitgliedstaaten ihr Bekenntnis zum Pariser Abkommen erneuert haben. Es bedarf echter Fortschritte bei den „national festgelegten Klimaschutzbeiträgen“ (NDCs) (und darüber hinaus) und es müssen entsprechende nationale Maßnahmen ergriffen werden. Aufgrund des Stellenwerts nationaler Maßnahmen im Rahmen des Pariser Abkommens ist der lockere G20-Klub ein guter Ort, um – auch ohne die Vereinigten Staaten – Fortschritte in einzelnen G20-Mitgliedstaaten, die für den Löwenanteil der weltweiten Emissionen verantwortlich sind, zu koordinieren und zu fördern. Diese Koordinierung würde somit helfen, das der Klima-Rahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) innewohnende Abstimmungsproblem zu beheben. Während die Staats- und Regierungschefs in ihrer Erklärung versprechen, „zügig auf eine vollständige Umsetzung [des Pariser Abkommens] hinzuarbeiten“, enthält der beschlossene „Aktionsplan der G20 von Hamburg zu Klima und Energie für Wachstum“1, zu dem die Vereinigten Staaten ihre Position klargestellt haben, kaum konkrete Maßnahmen. Es ist besonders unbefriedigend, dass der Gipfel von Hamburg nicht in der Lage war, einen verbindlichen Zeitplan für den stufenweisen Abbau von Subventionen für fossile Energieträger zu vereinbaren (Hansen 2017).
Zweitens wurde behauptet, ein wichtiger Erfolg des Hamburger Gipfels sei es gewesen, dass anerkannt worden sei, dass die Globalisierung „Herausforderungen mit sich bringt und ihre Vorteile nicht breit genug geteilt worden sind“ und sie daher „zum Wohle aller Menschen gestaltet werden sollte“ (G20 Erklärung der Staats- und Regierungschefs).2 Es ist bemerkenswert, dass es bis 2017 dauerte, bis die maßgeblichen Staats- und Regierungschefs der Welt gemeinsam diese zentrale Herausforderung unserer Zeit erkannten. So ist zum Beispiel seit Langem bekannt, dass die realen (inflationsbereinigten) Löhne in den USA seit den 1970er-Jahren ungeachtet eines hohen Wirtschaftswachstums stagnieren. Außerdem haben zahlreiche Studien gezeigt, dass die Liberalisierung und die Öffnung von Volkswirtschaften Gewinner und Verlierer hervorbringen und auch in Entwicklungsländern negative Verteilungswirkungen nach sich ziehen können. Das Problem ist nicht nur, dass die Vorteile nicht breit genug geteilt worden sind; vielmehr sind diese oftmals denjenigen zugutegekommen, die sowieso schon wohlhabender waren, während die Verlierer oftmals diejenigen sind, die sich nur schlecht an die neue Situation anpassen können – und auch dies sind nicht die wohlhabenderen Bevölkerungsgruppen. Folglich besteht ein Zusammenhang zwischen der wachsenden Ungleichheit und der Globalisierung – und der damit zusammenhängenden Geschwindigkeit des technologischen Wandels –, der in der Erklärung nicht gebührend anerkannt wird. Die notwendige Debatte über politische Maßnahmen für eine „fairere“ Globalisierung sollte daher ausdrücklich Ungleichheiten innerhalb von Ländern thematisieren und über eine Diskussion über die Abmilderung von Anpassungskosten hinausgehen.3 In Bezug auf konkrete Maßnahmen für eine inklusivere Globalisierung hatte Hamburg wenig zu bieten. Ist von Buenos Aires vielleicht mehr zu erwarten?
Die Prioritäten Argentiniens
Weder Handel noch Klimawandel gehören zu den Prioritäten der argentinischen Regierung für den Gipfel in Buenos Aires. Stattdessen schlug Präsident Mauricio Macri die folgenden Prioritäten für die G20-Agenda in 2018 vor: (1) die Zukunft der Arbeit und was dies für das Bildungswesen bedeutet, (2) die Infrastruktur zur Förderung der Entwicklung und (3) die Ernährungssicherung (vgl. die Website G20 Argentina 2018). Diese Prioritäten sind aktueller und konkreter als die umfassendere Agenda der deutschen Präsidentschaft mit den drei Säulen „Stabilität sicherstellen, Zukunftsfähigkeit verbessern und Verantwortung übernehmen“. Außerdem hat die argentinische Regierung betont, dass sie sich als Repräsentantin nicht nur eines Landes, sondern ganz Lateinamerikas versteht.
Die Zukunft der Arbeit
Mit Blick auf die Zukunft der Arbeit schrieb Macri, „die Übernahme technologischer Fortschritte“ solle „nicht zu ökonomischem Ausschluss oder anderen negativen Nebenwirkungen führen“, dies erfordere Investitionen in Ausbildung und Kompetenzerwerb. Viele erwarten, dass die Digitalisierung – nach der Globalisierung – die nächste Welle ökonomischer Schocks durch die Arbeitsmärkte der Welt schicken wird. Ein T20-Dossier (Frey 2017) mit dem Titel The Future of Jobs and Growth: Making the Digital Revolution Work for the Many betont, wie wichtig es ist, Arbeitnehmern durch Aus- und Weiterbildung (neue) Kompetenzen zu vermitteln und dies mit Maßnahmen zu kombinieren, die den Wechsel auf neue Stellen erleichtern. Flexiblere Berufszulassungsanforderungen und „Umzugsgutscheine“ würden die Übersiedlung von Arbeitnehmern in Regionen fördern, in denen die Digitalisierung neue Stellen schafft. Die Rolle der G20 könnte darin bestehen, als eine Plattform zu fungieren, über die politische Erfahrungen und effektive Methoden geteilt werden.
Menschen zu befähigen, sich an neue Arbeitsplätze anzupassen, ist leichter gesagt als getan, wenn die Grundlage für den Erwerb von „Anpassungsfähigkeiten“, insbesondere eine solide Sekundarbildung, schwach ist.4 Wie für ausgewählte G20-Länder mit mittlerem Einkommen und das durchschnittliche OECD-Land in Abbildung 1 unten dargestellt, gibt es zwischen den G20-Staaten sehr große Unterschiede in Bezug auf die Leistung der Schüler in den Bereichen des Lesens/Schreibens und der Mathematik, auf denen diese Kompetenzen aufbauen müssten. In der Volksrepublik China liegt das schulische Leistungsniveau nahe am OECD-Durchschnitt oder übertrifft diesen sogar. Diese schneidet also wesentlich besser ab als die lateinamerikanischen G20-Mitglieder mit vergleichbarem Pro-Kopf-Einkommen Brasilien und Mexiko. Man beachte, dass die PISA (Programm for International Student Assessment)-Studien darauf abzielen, zu messen, „in welchem Ausmaß fünfzehnjährige Schüler am Ende ihrer Schulpflicht die Schlüsselkenntnisse und -fähigkeiten erworben haben, die für die vollständige Teilhabe in modernen Gesellschaften unerlässlich sind“. PISA testet nicht nur, wie gut Schüler gelerntes Wissen wiedergeben, sondern auch, wie gut sie dieses sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schule auf unvertraute Situationen anwenden. Es ist offensichtlich, dass diese „Transferkompetenzen“ von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Bildungsmaßnahmen sind, die die Anpassung erleichtern sollen.
Noch beunruhigender als der niedrige Durchschnitt der schulischen Leistung bei einigen G20-Mitgliedstaaten ist die sehr hohe Ungleichheit der Schulerfolge, der hier durch den Anteil der Schüler, denen grundlegende Fähigkeiten in Mathematik und im Lesen/Schreiben fehlen, verdeutlicht wird. In Brasilien und Indonesien haben über 50 Prozent der fünfzehnjährigen Schüler Defizite bei der Lese-/Schreibfähigkeit (60 Prozent in Mathematik). Dagegen hat im Durchschnitt nur rund ein Fünftel der Schüler in den OECD-Ländern entsprechende Defizite. Das G20-Gastgeberland Argentinien (hier sind allerdings nur Ergebnisse für Buenos Aires erhältlich) schneidet relativ gut ab.
Abbildung 1: Ausgewählte PISA-Ergebnisse von ausgewählten G20-Ländern im Vergleich zum OECD-Durchschnitt
Quelle: Eigene Zusammenstellung des Autors unter Verwendung von Daten aus www.oecd.org/pisa/data/.
Diese PISA-Ergebnisse sprechen dafür, dass ein hohes Risiko besteht, dass viele Menschen in den G20-Ländern zu den Verlierern der Digitalisierung gehören werden. Es ist dringend notwendig, die jungen Menschen besser auf das digitale Zeitalter vorzubereiten, insbesondere in Ländern mit mittlerem Einkommen sowie hoher Einkommens- und Bildungsungleichheit. Bildungsungleichheit ist selbstverständlich eng mit Ressourcen- und Einkommensungleichheit verbunden, sodass sich politische Maßnahmen zur Verringerung der Einkommens- und Vermögensungleichheit auch auf die Bildungsungleichheit auswirken – und umgekehrt. Zwar ist es richtig, sich darauf zu konzentrieren, Menschen Anpassungsfähigkeiten zu vermitteln, aber vermutlich werden diese an Grenzen stoßen – selbst dann, wenn sie ein höheres Bildungsniveau besitzen und staatliche Umzugsbeihilfen erhalten. Auch wenn es Politiker attraktiver finden, Wachstum zu managen, ist die Bewältigung von strukturellem Wandel und wirtschaftlichem Niedergang doch ein genauso wichtiger Aspekt der Anpassungspolitik. Dazu mögen zeitlich befristete Subventionen und strukturpolitische Maßnahmen gehören, die die negativen Auswirkungen des technologischen Wandels auf diejenigen, die nur in begrenztem Umfang umgeschult werden können und nur eingeschränkt mobil sind, abmildern.
„Infrastruktur zur Förderung der Entwicklung“
Bei der zweiten Priorität „Infrastruktur zur Förderung der Entwicklung“ betont die argentinische Präsidentschaft die Notwendigkeit, die Lücke bei den Infrastrukturinvestitionen in vielen G20-Mitgliedstaaten zu schließen. Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt sie als wichtigste Maßnahme vor, privates Kapital zu mobilisieren, indem Infrastruktur als eine Anlageklasse eingeführt wird (vgl. die Website G20 Argentina 2018). Dieser Vorschlag baut auf der Vereinbarung auf, die auf dem Gipfel von Hamburg erzielt wurde: Mit den „Hamburg Principles and Ambitions“ wird eine stärkere Einbeziehung privater Kapitalgeber unterstützt. Dieser gemeinsame Rahmen erlaubt uns, die Fähigkeit multilateraler Entwicklungsbanken, privates Kapital zu beschaffen, zu quantifizieren, und die G20 einigten sich auf das Ziel, im Lauf der nächsten drei Jahre zwischen 25 und 35 Prozent mehr private Finanzmittel aufzubringen (Bundesregierung 2017).
Es ist richtig, dass die G20 mit ihrem „Finance Track“ (Finanzsegment) das geeignete Forum wäre, um über Möglichkeiten zu diskutieren, internationales Privatkapital für Infrastrukturinvestitionen effektiver zu mobilisieren. Allerdings sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Umwandlung von – in der Regel öffentlicher – Infrastruktur in eine „Anlageklasse“, die von Privatinvestoren gehalten wird, eine noch weitergehendere Privatisierung staatseigener Vermögenswerte bedeutet. Dies mag nicht wünschenswert sein, weil es die Ungleichheit möglicherweise noch weiter erhöht. Die massiven Privatisierungen der 1990er- und 2000er-Jahre sind nachweislich eine wichtige Triebkraft der zunehmenden Vermögensungleichheit weltweit (Word Inequality Report 2017).
Es mag sich für diejenigen, die die wirtschaftspolitische Diskussion im Umfeld des Hamburger Gipfels verfolgt haben, altbekannt anhören, aber statt die Notwendigkeit zu betonen, Privatkapital zu mobilisieren, sollte sich die G20 darauf konzentrieren, Investitionsstrategien zu stärken und neu auszurichten, „um die beachtlichen Chancen im Bereich kohlenstoffarmer, klimaresilienter Infrastrukturen zu nutzen“ (Bak et al. 2017). Außerdem zeigt die G20 bei Infrastruktur-Investitionen erhebliches Engagement und übt starken Einfluss auf Nicht-G20-Staaten aus. Man denke nur an die chinesische „One Belt, One Road“-Strategie oder auch die „Compact with Africa“-Initiative, die verdeutlichen, dass die G20 eine Plattform für verstärkte Kooperation und Koordinierung bereitstellen kann. Die andauernde Aufmerksamkeit der G20 für den „Compact with Africa“ unter argentinischer Präsidentschaft würde auch die Dynamik der Partnerschaft der G20 mit Afrika aufrechterhalten, die andernfalls möglicherweise erlahmt.
Ernährungssicherung
Die dritte Priorität der argentinischen Präsidentschaft „Ernährungssicherung“ ist kein neues Thema für die G20. Frühere Gipfel haben sich bereits mit dieser befasst, angefangen mit dem „Food Security and Nutrition Framework“ im Jahr 2014 unter australischer Präsidentschaft über den „Food Security Action Plan“ in Antalya im Jahr 2015 bis hin zu einem Vorschlag zu effizienten Praktiken für landwirtschaftliche Familien- und Kleinbetriebe in Hangzhou 2016 (vgl. Bundesregierung 2017 für die Dokumente; Gulati, Kharas und von Braun 2017). Zu dieser Liste hat Hamburg die Initiative for „Rural Youth Employment“ (Initiative zur Beschäftigungsförderung für Jugendliche in ländlichen Räumen) hinzugefügt. Es besteht Einvernehmen darüber, dass es mehrerer Maßnahmen bedarf, um die Herausforderung der Ernährungssicherung zu bewältigen: (1) Die landwirtschaftliche Produktivität muss gesteigert und Produktivitätslücken müssen geschlossen werden, auch aufgrund des Klimawandels. (2) Landwirtschaftlichen Familienbetrieben und außerlandwirtschaftlichen Beschäftigungsmöglichkeiten in ländlichen Regionen, insbesondere für Jugendliche, muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. (3) Die Anfälligkeit für einen vorübergehenden Verlust der Ernährungssicherheit muss verringert werden (G20 Initiative for Rural Youth Employment, siehe unter Bundesregierung 2017; Gulati, Kharas und von Braun 2017).
Allerdings bleibt abzuwarten, in welche Richtung Argentinien die Debatte über Ernährungssicherung lenkt (oder lenken will). In seiner Eröffnungsrede wies Macri darauf hin, dass „landwirtschaftliche Nutzflächen die natürliche Ressource sind, die den größten Teil unserer Nahrungsmittel erzeugen, aber sie sind begrenzt und nicht erneuerbar. Ihre Erhaltung ist von entscheidender Bedeutung. Hier kann die G20 die Grundlagen für mehr öffentlich-private Partnerschaften legen.“ Inwiefern die Erhaltung landwirtschaftlicher Nutzflächen mit der Forderung nach vermehrten öffentlich-privaten Partnerschaften zusammenhängen soll, ist nicht unmittelbar ersichtlich. Tatsächlich erkennt die „G20 Initiative for Rural Youth Employment“ an, „dass es einer Ausweitung verantwortungsvoller öffentlich-privater Investitionen und Finanzierungen für verantwortungsvolle privatwirtschaftliche Investitionen bedarf, um dynamische Volkswirtschaften zu unterstützen, die Dienstleistungen erbringen, gute, menschenwürdige Arbeit fördern und Gelegenheiten zu unternehmerischer Betätigung und Einkommen für die nächste Generation schaffen“. Die zweifache Verwendung von „verantwortungsvoll“ in Verbindung mit einer starken Betonung der „Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Regulierung von Eigentums-, Besitz- und Nutzungsrechten an Land, Fischgründen und Wäldern im Rahmen nationaler Ernährungssicherheit“ (VGGT) und den „Grundsätzen für verantwortungsvolle Investitionen in Landwirtschaft und Ernährungssysteme“ (CFS-RAI) sind nicht typisch für ein G20-Dokument und spiegeln die Bedenken wider, die viele in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Nachhaltigkeit und die sozioökonomischen Auswirkungen massiver landwirtschaftlicher Investitionen äußerten (Nolte, Chamberlain und Giger 2016).
Ungleichheit: das fehlende Bindeglied
Vielleicht wäre es tatsächlich nicht die klügste Strategie gewesen, die potenziell polarisierenden Themen Klima und Handel an die Spitze der Agenda von Buenos Aires zu setzen. In Anbetracht der vorstehenden Bewertung wird der Gipfel wahrscheinlich in gewissem Umfang Einvernehmen über die von Argentinien ausgewählten Prioritäten erzielen – vielleicht sogar gemäß den oben erwähnten Grundsätzen: zum Beispiel im Hinblick auf eine stärkere Einbeziehung des privaten Sektors bei der Finanzierung von Infrastrukturprojekten. Aber wenn der Gipfel von Hamburg tatsächlich eine bedeutende Zäsur in der Grundeinstellung der G20 markierte, einschließlich „einer weit verbreiteten Anerkennung, dass die Staaten der Welt insgesamt Fortschritte machen müssen, um den Klimawandel aufzuhalten und Ungleichheit und Armutsinseln zu überwinden“ (Snower 2017), ist von dieser Anerkennung in der argentinischen Agenda bislang zu wenig zu sehen.
Der Gipfel in Buenos Aires stellt eine Gelegenheit dar, darüber nachzudenken, welche konkreten Schritte eine solche Anerkennung mit sich bringen würde. Es liegt auf der Hand, dass die Lösung nicht darin bestehen kann, noch mehr öffentliche Vermögenswerte zu privatisieren. Es wäre hilfreich gewesen, Ungleichheit – oder, wenn man so will, „inklusives Wachstum“ – auf die Agenda zu setzen. Allerdings kann dieses Thema (noch immer) in die argentinischen Prioritäten einbezogen werden – zum Beispiel dadurch, dass die Ungleichheiten bei Bildungschancen thematisiert werden und dass Investitionen in Infrastruktur und Landwirtschaft mit inklusivem Wachstum verknüpft werden.
Die Verringerung der Ungleichheit sollte ein übergreifendes Thema der G20 – in Buenos Aires und darüber hinaus – sein, da sie sehr eng mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitsmärkte und den Debatten über eine fairere Globalisierung zusammenhängt. Tatsächlich scheint oftmals übersehen zu werden, dass diese beiden Debatten vieles gemeinsam haben und eng miteinander zusammenhängen. Man kann eine Menge lernen über die Auswirkungen der Globalisierung auf die Arbeitsmärkte und die politischen Maßnahmen, die funktionierten beziehungsweise nicht funktionierten (beziehungsweise die hätten ergriffen werden sollen). So wurde insbesondere in den USA der wirtschaftliche Niedergang in einigen Regionen politisch nicht effektiv bewältigt. Aktuelle Daten aus Entwicklungsländern deuten ebenfalls auf langanhaltende negative Auswirkungen wirtschaftlicher Anpassungen auf die Ungleichheit hin.
Außerdem wird die Schnelligkeit, mit der sich die Digitalisierung ausbreitet, und deren Auswirkungen auf weltweite Produktionsstrukturen und langfristig auf Arbeitsmärkte in erheblichem Maße von der internationalen Handels- und Investitionsordnung bestimmt. Ein fairerer Ordnungsrahmen für den Welthandel muss daher diese zukünftigen strukturierenden Elemente der Weltwirtschaft, insbesondere den Handel mit „digitalen Dienstleistungen“, berücksichtigen. Es wird keine leichte Aufgabe sein, die richtigen politischen Maßnahmen und die richtigen Modalitäten der Offenheit zu definieren, um ein inklusiveres Muster des Wirtschaftswachstums zu erreichen.
Bislang sind die Zusammenhänge zwischen Handel, Digitalisierung und Gerechtigkeit in den Erklärungen der G20 noch nicht in der gebotenen Klarheit aufgezeigt worden. Dabei enthält der Hamburger Aktionsplan eine Liste nationaler Maßnahmen, die inklusives Wachstum fördern sollen. Diese Liste umfasst auch Programme gegen Jugendarbeitslosigkeit und zur Förderung von Unternehmensgründungen, Transferleistungen an verschiedene benachteiligte Gruppen, die Verringerung oder Abschaffung von Schulgebühren für ärmere Haushalte und Programme, die auf finanzielle Inklusion abzielen. Auch wenn viele dieser Programme nützlich sein mögen, stellt sich die Frage, wann die folgenden Punkte angegangen werden: die Effektivität von Steuersystemen zur Verringerung der Einkommensungleichheit; universelle soziale Absicherung; progressive Besteuerung sowie Besteuerung von Vermögen und Grundbesitz. Es ist bemerkenswert, dass kein einziges G20-Land solche Maßnahmen erwähnt hat.
Abbildung 2: Umverteilungswirkung von Einkommensteuern und Transferzahlungen, 2015 oder jüngstes Jahr
Man beachte den Druckfehler an der x-Achse, die bis 0,7 gehen sollte.
Quelle: IWF 2017: Abbildung 1.12
Wenn Einvernehmen darüber besteht, dass Ungleichheit ein Problem ist, dann ist kaum zu verstehen, warum die G20 weiterhin davor zurückschrecken, im Zusammenhang mit inklusivem Wachstum Umverteilung und progressive Besteuerung zu erwähnen. Es gibt eine Fülle von Erfahrungen, die diskutiert und geteilt werden können. Betrachten wir zum Beispiel die großen Unterschiede bei der Ungleichheit des Markteinkommens und dem Ausmaß der Umverteilung durch Steuern und Transferleistungen. Abbildung 2 (die dem IWF-Bericht Tackling Inequality entnommen ist) zeigt einen Vergleich der Ungleichheit des Markteinkommens mit der Ungleichheit des verfügbaren Einkommens nach Steuern und Transferleistungen. Man sieht, dass viele lateinamerikanische Länder einschließlich des G20-Mitglieds Brasilien nicht in der Lage (oder nicht willens) sind, ihre hohe Einkommensungleichheit durch Steuern und Transferleistungen zu verringern. Die durchschnittliche Verringerung des Gini-Koeffizienten in der (begrenzten) Stichprobe lateinamerikanischer Länder beträgt nur 0,03 im Vergleich zu 0,17 in der Stichprobe der Industriestaaten. Als das einzige lateinamerikanische Land, dessen Steuer- und Transfersystem die Einkommensungleichheit wirkungsvoll verringert, ist der diesjährige Gastgeber des G20-Gipfels eine bemerkenswerte Ausnahme.
Zusammenfassende Bemerkungen
Der G20-Gipfel in Buenos Aires droht zu einer verpassten Gelegenheit zu werden. Es mag diplomatisch sinnvoll sein, Prioritäten auf die Tagesordnung zu setzen, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit Einvernehmen erzielt wird. Unabhängig davon, ob sie Prioritäten der argentinischen Regierung sind, werden die Fragen des Welthandels und globaler Investitionen sowie der Klimawandel auf dem Gipfel diskutiert. Die Innenpolitik mag teilweise erklären, warum Argentinien nicht als das Land in Lateinamerika glänzen will, das in Bezug auf die Einkommensumverteilung am besten dasteht. Allerdings ist der gegenwärtige Vorschlag für die Tagesordnung des Gipfels nicht ehrgeizig genug und sendet die falschen Signale.
Anders als der Gipfel von Hamburg wird der von Buenos Aires nicht deshalb als Erfolg gewertet werden, weil er nicht gänzlich gescheitert ist. Es wird nicht genügen, Mr. Trump zu zähmen. Die argentinische Präsidentschaft muss dafür Sorge tragen, dass die G20 lebendig und funktionstüchtig bleibt, aber diese muss auch zeigen, dass die Hamburger Absichtserklärung, „die Globalisierung zum Wohl aller Menschen zu gestalten“, kein leeres Versprechen war. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, Menschen zu befähigen, sich an Veränderungen anzupassen und die Vorteile der Globalisierung – und des technologischen Fortschritts – zu ernten, aber nicht minder wichtig ist es, Ungleichheit zu verringern.
Ungleichheit, die die Stabilität der Demokratie in den reicheren G20-Staaten bedroht und den Aussichten auf wirtschaftliches Wachstum in den Ländern mit mittlerem Einkommen ernsthaft schadet, muss abgebaut werden. Die G20 schien bislang davon auszugehen, dass es bei der Bekämpfung der Ungleichheit vor allem darum geht, das Schicksal der Ausgegrenzten zu verbessern. Zwar ist dies ein wichtiger Aspekt der Ungleichheit, doch wird oftmals übersehen, dass der Anstieg der Ungleichheit, insbesondere der Vermögensungleichheit, maßgeblich von grundlegenden Mechanismen des gegenwärtigen Wirtschaftsmodells beeinflusst wird und mit Schlüsselfragen zusammenhängt, die im Rahmen der G20 diskutiert werden, seien es Globalisierung, Digitalisierung oder öffentliche Investitionen.
Insbesondere in Bezug auf die Infrastruktur (und Investitionen in die Landwirtschaft) sendet die argentinische Präsidentschaft die falschen Signale aus, indem sie betont, es sei notwendig, mehr privates Kapital zu mobilisieren. Infrastruktureinrichtungen können auch durch Erhöhung öffentlicher Einnahmen finanziert werden – zum Beispiel dadurch, dass Steuersysteme progressiver gestaltet werden. Im Allgemeinen mag die Stärkung der Rolle des Privatsektors unter dem Gesichtspunkt der Effizienz wünschenswert sein, aber – wie der jüngste Bericht über Ungleichheit verdeutlicht – dies wird sich möglicherweise negativ auf die Einkommensverteilung auswirken. Angesichts der durchwachsenen Bilanz öffentlich-privater Partnerschaften (niederländisches Außenministerium 2013) erscheint diese Forderung auch fehl am Platz zu sein. Damit soll der Privatsektor nicht verteufelt werden. Ich habe an anderer Stelle (Lay 2017) dargelegt, dass öffentliche Investitionen private Investitionen sinnvoll ergänzen können und grundsätzlich die Idee des „Pakts mit Afrika“ begrüßt. Ich würde mir wünschen, dass er auch unter argentinischer Präsidentschaft die ihm gebührende Aufmerksamkeit erfährt.
Schließlich können die Vorteile einer weitergehenden Globalisierung und des technologischen Fortschritts fairer verteilt werden, wenn diese Prozesse unter ausdrücklicher Berücksichtigung von Gerechtigkeitszielen gemanagt werden. Maßnahmen zur Verwirklichung von inklusivem Wachstum müssen progressive Steuer- und Transfersysteme beinhalten, die die Herausforderung einer zunehmenden Vermögensungleichheit effektiver angehen. Die G20 wären das richtige Forum, um diese Maßnahmen voranzubringen.
Anmerkungen
1 Sämtliche G20 Dokumente und Erklärungen finden sich unter Bundesregierung (2017).
2 Vgl. zum Beispiel, Narlikar (2017) und Snower (2017).
3 In der G20-Erklärung der Staats- und Regierungschefs heißt es, die G20-Mitgliedstaaten vereinbarten „den Austausch von Erfahrungen mit der Minderung der Anpassungskosten der Liberalisierung von Handel und Investitionen sowie des technischen Wandels und zu geeigneten nationalen Maßnahmen“.
4 Dies hat auch Macri in seiner Rede eingeräumt (G20 Argentina website 2017).
Literatur
Bak, Céline, Amar Bhattarchaya, Ottmar Edenhofer und Brigitte Knopf (2017): Towards a Comprehensive Approach to Climate Policy, Sustainable Infrastructure, and Finance, (19. Dezember 2017).
Berger, Axel (2017): What Remains of the G20 Hamburg Summit?, in: Die aktuelle Kolumne, 10. Juli, Bonn: German Development Institute / Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE).
Bundesregierung (2017), Übersicht der Gipfeldokumente der G7/G8/G20, (19. Dezember 2017).
Frey, Carl Benedict (2017): The Future of Jobs and Growth: Making the Digital Revolution Work for the Many, 18. März, (19. Dezember 2017).
G20 Argentina website (2017): Overview of Argentina’s G20 Presidency 2018, Building Consensus for Fair and Sustainable Development, 1 December, (19. Dezember 2017).
Gulati, Ashok, Homi Kharas und Joachim von Braun (2017): Targeting G20 Investments in Agriculture to End Rural Hunger, 16. Oktober, (19. Dezember 2017).
Hansen, Gerrit (2017): Germany fails at G20 Fossil Fuel Subsidy Review, Blog post, Germanwatch, November, (19. Dezember 2017).
IMF (2017): IMF Fiscal Monitor: Tackling Inequality, Washington, DC: IMF.
Lay, Jann (2017): The G20 Compact with Africa: An Incomplete Initiative, GIGA Focus Africa, 2, Juni, (19. Dezember 2017).
Narlikar, Amrita (2017): The Real Power of the G-20, in: Foreign Affairs.
Niederländisches Außenministerium (2013): Public-Private Partnerships in Developing Countries: A Systematic Literature Review, IOB Study, 378, (19. Dezember 2017).
Nolte, Kerstin, Wytske Chamberlain und Markus Giger (2016), International Land Deals for Agriculture. Fresh Insights from the Land Matrix: Analytical Report II, (19. Dezember 2017).
Snower, Dennis J. (2017): The G20 Summit was more Successful than you Think, (19. Dezember 2017).
Der Beitrag ist bereits in englischer Sprache veröffentlicht worden:
Lay, Jann (2017): The G20 under Argentina’s Presidency: Time to Deliver on the Hamburg Promises, GIGA Focus Global, 06. Dezember.
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