Zuspitzung der Nuklearkrise. Die Entwicklung 2017 im Spiegel der Analysen
In den Analysen verschiedener Thinktank lässt sich die Eskalation der nordkoreanischen Nuklearkrise im Laufe des Jahres 2017 nachvollziehen. Ihr stellen die Expert*innen Überlegungen darüber entgegen, wie eine politische Lösung des Konflikts gestaltet werden könnte – ein Krieg wird konsequent abgelehnt. Zunehmend zeichnet sich ab, dass die maximale Forderung nach einer Denuklearisierung Nordkoreas kurzfristig keine Aussicht auf Erfolg hat, der Fokus wendet sich daher stufenweisen Konzepten zu. Deutlich wird zudem, dass die USA keine allzu großen Hoffnungen auf China setzen sollten.
Der Zauberlehrling in der Ballade von J. W. Goethe wurde zwar mit den Geistern, die er rief, nicht alleine fertig, aber immerhin eilte ihm dann doch noch sein Meister zu Hilfe. Die USA befinden sich nun allerdings in der Situation, in der sie selbst das Problem lösen müssen, das vor Jahrzehnten unter ihrer Ägide seinen Ausgang genommen hat: die Erfindung der Atombombe. 1968 versuchten die damaligen Nuklearmächte USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China, mit dem Vertrag über die Nichtverbreitung (Atomwaffensperrvertrag) das Vernichtungspotenzial dieser Technologie zu bändigen, indem deren Besitz auf sie beschränkt werden sollte. Aber es blieb nicht dabei, die Geister ließen sich nicht mehr in die Ecke drängen – es wird mittlerweile davon ausgegangen1 , dass auch Indien, Pakistan, Israel und Nordkorea atomar aufgerüstet haben. Die Ukraine dagegen hat sich von der atomaren Bewaffnung, die sie aus der Sowjetunion übernommen hatte, getrennt.
Während im Falle von Indien, Pakistan und Israel die Entwicklung weltweit zwar mit Sorge, aber ohne Alarmismus beobachtet wurde, liegen die Dinge mit Blick auf Nordkorea gänzlich anders. Geschuldet ist diese weitaus kritischere Wahrnehmung verschiedenen Faktoren. Am Ausgangspunkt steht die unverschuldete Teilung Koreas nach dem Zweiten Weltkrieg, weil die USA das Land nach Jahrzehnten der japanischen Besetzung als nicht reif für die Unabhängigkeit erachteten – obwohl es dies zuvor 1.300 Jahre lang gewesen war.2 Es folgte Anfang der 1950er-Jahre der Korea-Krieg, begonnen vom kommunistischen Norden, der annahm, die USA würden nicht für den Süden kämpfen. Es war eine Fehleinschätzung, die mutmaßlich insgesamt vier Millionen Menschen das Leben kostete; am Ende verlief die Grenze wieder dort, wo sie sich am Anfang befunden hatte: am 38. Breitengrad. Allerdings kam es nur zu einem Waffenstillstand, die USA und Nordkorea haben bis heute keinen Friedensvertrag geschlossen – die einstigen Kriegsgegner stehen sich nach wie vor misstrauisch gegenüber.
Nach dem Krieg begann Nordkorea, nach atomarer Rüstung zu streben, mit einem Wissenstransfer aus der Sowjetunion nahm es die Entwicklung auf. Die USA sahen und sehen sich gefordert, das Entstehen dieser neuen Bedrohung aufzuhalten. Die Administrationen von Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama versuchten mit einer Mischung aus Druck und Sanktionen sowie unter Hinzuziehung anderer Staaten wie China, Japan und Südkorea dem nordkoreanischen Regime Einhalt zu gebieten. Allerdings zeichnet sich schon länger dessen Sturheit ab, der Erhalt der eigenen Macht steht – ein weiterer Faktor – über allem, auch über Gesundheit und Wohlergehen der eigenen Bevölkerung.
Kim Jong-un, der derzeitige Diktator in Pjöngjang, lässt das Atom- und Raketenprogramm massiv vorantreiben. Trotz der Verlautbarungen, dieses diene nur dem eigenen Schutz, wird das Land von seinen Nachbarn Südkorea und Japan sowie von den USA als deren Verbündeten gegenwärtig als große Bedrohung wahrgenommen. Während Obama auf strategische Geduld setzte, zeigt sich sein Nachfolger Donald Trump entschlossen, das Nordkorea-Problem als wichtigste sicherheitspolitische Aufgabe seines Landes lösen zu wollen. Damit sind im Laufe des Jahres 2017 zwei politische Persönlichkeiten aufeinandergestoßen, die die Welt verbal an den Rand eines Kriegs gebracht haben.
In den Analysen verschiedener, vor allem US-amerikanischer, Thinktanks lässt sich diese Eskalation nachvollziehen. Ihr stellen die Expert*innen Überlegungen darüber entgegen, wie eine politische Lösung des Konflikts gestaltet werden könnte – ein Krieg wird konsequent abgelehnt. Zunehmend zeichnet sich ab, dass die maximale Forderung nach einer Denuklearisierung Nordkoreas kurzfristig keine Aussicht auf Erfolg hat, der Fokus wendet sich daher stufenweisen Konzepten zu, die auch ein Zugehen auf Nordkorea einschließen. Dazu könnte ein Aussetzen der gemeinsamen Militärmanöver der USA mit Südkorea gehören. Deutlich wird zudem, dass die USA keine allzu großen Hoffnungen auf China setzen sollten: Es ist zwar ebenfalls an einer atomwaffenfreien koreanischen Halbinsel interessiert, aber mehr noch an einem stabilen Nordkorea und an der eigenen Machtposition in der Region.
Bruce Jones / Jonathan D. Pollack
North Korea threat brings out Trump's serious side
Nikkei Asian Review, 7. März 2017
Im Wahlkampf habe Donald Trump die Sicherheitsgarantien für die Verbündeten der USA in Ostasien infrage gestellt und Südkorea und Japan vorgeschlagen, sich selbst atomar zu bewaffnen. Von seinem Vorgänger Barack Obama auf die Bedrohung durch Nordkorea explizit hingewiesen, habe Trump dann nach seinem Amtsantritt seinen Kurs insofern korrigiert als er Verteidigungsminister James Mattis nach Südkorea und Japan entsandt habe – es sei die erste Auslandsreise eines Kabinettsmitglieds gewesen. Beiden Ländern sei weiterhin Unterstützung zugesichert und Nordkorea vor weiteren Provokationen gewarnt worden. Der Ansatz allerdings, China in eine Lösung des Nordkorea-Konflikts einzubeziehen, erweise sich als schwierig umzusetzen, da Trump zum einen die „Ein-China-Politik“ der Volksrepublik nicht anerkannt habe und zudem in handelspolitischen Fragen auf Konfrontationskurs gegangen sei.
John R. Allen / Richard C. Bush / Robert Einhorn / Steven Pifer / Jonathan D. Pollack / Evans J. R. Revere / Tarun Chhabra / Bruce Jones
Averting catastrophe: U.S. policy options for North Korea
Brookings Institution, Report, April 2017
Bruce Jones, Direktor des Brookings Foreign Policy Program, hat sechs Brookings-Experten zu ihren Analysen und Politikempfehlungen hinsichtlich der Nordkorea-Krise befragt. Als Ergebnis hält er fest, dass die Bedrohungen, die vom nordkoreanischen Atom- und Raketenprogramm ausgehen, im Mittelpunkt der US-amerikanischen Sicherheitspolitik stehen müssen. Ein militärischer Konflikt sollte angesichts erwartbarer Hunderttausender Opfer in Zusammenarbeit mit China verhindert werden. Gemeinsam sollte auf Nordkorea wirtschaftlicher und diplomatischer Druck mit dem Ziel ausgeübt werden, dass es seine Atom- und Raketenprogramme einfriert und sich dann denuklearisiert. Als Schwelle für ein präventives militärisches Eingreifen der USA benennen die Experten den bevorstehenden Start einer nordkoreanischen nuklearen Interkontinentalrakete.
Michael Swaine / Bruce Klingner / Zhu Feng / Ryan Mitchell / Francesco Sisci / John Delury / Carla Freeman / Chen Weihua / Shen Dingli
What’s the Best Way for Trump to Persuade China to Up the Pressure on North Korea?
ChinaFile Conversation, 25. April 2017
Zusammengestellt sind die Kommentare verschiedener Experten angesichts der jüngsten Entwicklung: Am 16. April 2017 scheiterte ein Raketentest Nordkoreas, die USA warnten das Land vor weiteren Provokationen. Chinas Präsident Xi Jinping aber habe in einem Telefonat mit Donald Trump auch die USA zur Zurückhaltung aufgerufen. Dabei sei ungewiss, ob China tatsächlich wie von den USA erhofft Nordkorea nur Mäßigung drängen und sich an den Sanktionen beteiligen werde – der Handel mit Nordkorea habe im ersten Quartal 2017 sogar zugenommen und zwar um satte 37,4 Prozent gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Fu Ying
The Korean nuclear issue: Past, present, and future. A Chinese perspective
Brookings Institution, Report, 30. April 2017
Fu Ying, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Nationalen Volkskongresses Chinas, bietet eine chinesische Perspektive auf die koreanische Nuklearfrage. Sein Papier lässt keinen Zweifel zu, dass sich die Volksrepublik weiterhin an ihre Maxime der Nichteinmischung in die Angelegenheiten eines anderen Landes hält. Gleichwohl sei man an einer atomwaffenfreien nordkoreanischen Halbinsel interessiert und habe deshalb seit 2003 bei der Vermittlung von Gesprächen zwischen Nordkorea und den USA geholfen. Allerdings sei das tiefe Misstrauen, das zwischen diesen beiden Ländern herrsche, bei der Suche nach einer Lösung des Konflikts hinderlich. Die Volksrepublik setze dennoch weiterhin auf den politischen Dialog.
Richard Rhodes / Michael Schellenberger
Atoms for Pyongyang. Let North Korea Have Peaceful Nuclear Power
Foreign Affairs, Snapshot, 23. Mai 2017
Anfang Mai habe Trump verkündet, dass er mit dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un „under the right circumstances“ zusammentreffen würde. Die Autoren streichen heraus, dass es tatsächlich Verhandlungsstoff gebe: Wie schon sein Großvater und sein Vater verlange Kim Jong-un die Zusicherung, dass sein Land nicht angegriffen werde, sowie die Lieferung von Strom, um die eigene Wirtschaft ankurbeln zu können. Diese Stromlieferungen sollen die Wasserkraftwerke ersetzen, die die USA im Korea-Krieg zerstört hätten. Zusagen hinsichtlich dieser beiden Forderungen seien bereits 1994 für die Clinton-Administration der Schlüssel gewesen, um von Nordkorea die Zusage zu erhalten, dass es seine Plutoniumproduktion einstelle.
Jonathan D. Pollack / Evans J. R. Revere
What the United States should do about the death of Otto Warmbier
Brookings Institution, Order from Chaos, 20. Juni 2017
Der US-amerikanische Student Otto Warmbier war während einer touristischen Reise in Nordkorea verhaftet worden, weil er in einem Hotelflur ein Propagandaplakat abgehängt hatte. Er wurde zu 15 Jahren Haft in einem Arbeitslager verurteilt und dann nach 18 Monaten der Inhaftierung im Zustand des Wachkomas in die USA gebracht. Dort verstarb er wenig später, am 19. Juni 2017. Die Autoren rekapitulieren die nordkoreanische Doppelstrategie, einerseits durch die Verhaftung US-amerikanischer Staatsbürger der eigenen Bevölkerung Macht zu demonstrieren und andererseits Zugeständnisse der USA zu erpressen. Letzteres sei allerdings nie nennenswert gelungen.
Jonathan D. Pollack
North Korea has tested an ICBM. Now what?
Brookings Institution, Order from Chaos, 6. Juli 2017
Nordkorea habe zum ersten Mal erfolgreich eine ballistische Interkontinentalrakete des Typs Hwasong-14 getestet und sei damit in der Lage, Alaska und möglicherweise einige der kleineren Inseln der hawaiianischen Kette zu erreichen. Sorge bereite zudem, dass die Rakete nach Aussage des Regimes mit einer Atombombe bestückt werden könnte. Allerdings habe sich die Bedrohungssituation, anders als viele Kommentatoren meinten, in diesem Sommer nicht grundlegend verändert: In erster Linie seien nach wie vor nicht die USA, sondern Südkorea und Japan bedroht. In den USA sorge man sich, dass Kim Jong-un irrational handele, sich nicht abschrecken lasse und Druck auf Südkorea und Japan ausüben könnte. Auch werde die Gefahr gesehen, dass Nordkorea sein nukleares Knowhow exportieren könnte.
Sergey Radchenko
Why Won’t China Help With North Korea? Remember 1956
ChinaFile, 9. Juli 2017
Die kurzen Flitterwochen zwischen Donald Trump und Xi Jinping seien schon wieder vorbei, schreibt Sergey Radchenko, Professor für Internationale Beziehungen an der Cardiff University und Global Fellow am Woodrow Wilson Center for International Scholars: Am 29. Juni 2017 seien eine chinesische Bank, eine chinesische Reederei und zwei chinesische Staatsangehörige mit Sanktionen belegt worden. Ihnen werde vorgeworfen, Nordkorea bei der Umgehung der Sanktionen geholfen zu haben. Dabei sei es keine neue Idee, sich auf China zu stützen, um Druck auf Nordkorea auszuüben – zumal es wie die USA ein Interesse daran habe, dass die koreanische Halbinsel atomwaffenfrei sei. Allerdings verfolge China eigene außenpolitische Ziele und habe dabei seine Machtposition im Blick. In Analogie zur derzeitigen Situation rekapituliert Radchenko das Ringen Chinas und der Sowjetunion um Einfluss, festgemacht auch damals – im Kontext des Koreakriegs – an den Beziehungen zu Nordkorea.
Evans J. R. Revere
The Trump administration’s North Korea policy: Headed for success or failure?
Brookings Institution, Order from Chaos, 10. Juli 2017
Der Trump-Administration sei vorgeworfen worden, über keine schlüssige Nordkorea-Politik zu verfügen. Die eigentliche Frage sei aber vielmehr, meint Evans J. R. Revere, ob die Regierung ihre im Entstehen begriffene Nordkorea-Politik überhaupt umsetzen könne. Zunächst habe die Trump-Administration eine militärbasierte Haltung eingenommen, die vom nordkoreanischen Regime als Bluff interpretiert worden sei. Es habe seinerseits mit Drohungen und einer Fortsetzung seiner Aufrüstung reagiert. Aus Sicht Washingtons wiederum erscheint es damit nicht bereit für ernsthafte Verhandlungen. Einige Experten rieten daher zu einem neuen Vorgehen: Dem nordkoreanischen Regime müsse verdeutlicht werden, dass seine Stabilität von seiner atomaren Abrüstung abhänge – die Sichtweise Kim Jong-un soll damit vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die US-Regierung sollte in sich abgestimmt vorgehen, könne aber nicht auf nennenswerte Unterstützung durch China hoffen. Dieses sei zunächst an einem unabhängigen Nordkorea interessiert und erst dann an dessen Denuklearisierung.
Jeffrey A. Bader
Why deterring and containing North Korea is our least bad option
Brookings Institution, Order from Chaos, 8. August 2017
Jeffrey A. Bader erklärt, welche Art von Politik gegenüber Nordkorea derzeit untauglich ist. Dazu würde der unkalkulierbare Versuch zählen, es mit einem Präventivschlag in die Knie zu zwingen, oder die Hoffnung, die chinesische Regierung werde das sicherheitspolitische Problem der nordkoreanischen Aufrüstung lösen, oder das Angebot von Verhandlungen ohne Vorbedingungen – Nordkorea habe deutlich gezeigt, dass es daran nicht interessiert sei. Der Autor empfiehlt vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen, die zu einem Erfolg führten, die klassische Kalte-Krieg-Strategie, in der Abschreckung und Eindämmung gekoppelt werden. Es gelte, langfristig zu denken.
David Albright
North Korea’s Nuclear Capabilities: A Fresh Look
Institute for Science and International Security, Report, 9. August 2017
In dieser Präsentation wird aufgezeigt, auf welchem Stand sich das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm tatsächlich befindet und was bis 2020 an Aufrüstung zu erwarten ist. Es ist demnach nicht auszuschließen, dass Nordkorea seit Ende 2016 über 13 bis 30 Atomwaffen verfügt und in der Lage ist, seine Nodong-Raketen mit Plutonium-basierten Sprengköpfen zu bestücken. Außerdem strebt Nordkorea danach, seine Waffen weiterzuentwickeln, und verfügt über ausreichend Plutonium für bis zu zwölf Kernwaffen mit einem Verbundkern aus Plutonium und waffenfähigem Uran. Wahrscheinlich ist es ferner mittlerweile in der Lage, thermonukleare Waffen zu entwickeln. Es ist davon auszugehen, dass Nordkorea bis zum Jahr 2020 über 25 bis 50 Atomwaffen verfügen wird.
Ryan Hass / Susan Shirk / Orville Schell / Seong-Hyon Lee / Mira Rapp-Hooper / Roland Hinterkoerner / Chen Weihua / Bill Bikales
Should China Support the U.S. in a War with North Korea?
A ChinaFile Conversation, 10. August 2017
Am 9. August 2017 drohte Trump Nordkorea einer Vernichtung mit „fire and fury“. Wenige Stunden später spekulierte das Regime in Pjöngjang darüber, die US-amerikanische Pazifik-Insel Guam angreifen zu können. Die Möglichkeit eines militärischen Konflikts zwischen Nordkorea und den USA schien damit so wahrscheinlich wie seit Jahrzehnten nicht, China mahnte auf beiden Seiten Besonnenheit an. Wie wird sich China selbst verhalten, was sollte es tun? Die befragten Expert*innen sehen keine Anzeichen dafür, dass es sich im Falle einer weiteren Eskalation auf die Seite der USA stellen wird. Vielmehr werde es vor allem versuchen, seine eigene Machtposition in der Region auszubauen. Daher werde zwar eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel angestrebt, aber nicht ein nichtkommunistisches, wiedervereinigtes Korea.
John Nilsson-Wright
In North Korea Standoff, What Does Kim Jong-un Really Want?
Chatham House, 14. August 2017
Zwar zeige das Regime in Pjöngjang keine Anzeichen für eine Gesprächsbereitschaft. Dennoch sollten die USA nach Meinung von John Nilsson-Wright prüfen, welche diplomatischen Angebote sie Nordkorea machen können, damit dieses sein Atom- und Raketenprogramm zunächst zumindest einfriert. Denkbar wären langfristig Gespräche über einen Friedensvertrag zur offiziellen Beendigung des Koreakrieges, erste Schritte zur diplomatischen Anerkennung Nordkoreas (etwa durch die Einrichtung einer US-Verbindungsmission in Pjöngjang) oder ein Abkommen über den Abbau konventioneller Waffen auf der Halbinsel. Hinter diesen Vorschlägen steht die These, dass Kims Ambitionen im Bereich der Nuklear- und Raketentests auch Ausdruck der Identitätspolitik sind, deren Anfänge in den 1960er-Jahren datieren. Da der jetzige Diktator aber eigentlich das Land wirtschaftlich entwickeln wolle (und müsse), seien wirtschaftliche Sanktionen ein geeigneter Schritt mit kurzfristiger Wirkung, um eine Gesprächsbereitschaft unumgänglich zu machen. Nilsson-Wright bezeichnet allerdings die sprunghafte und aggressive Rhetorik Trumps als „Wild Card“, die ein gezieltes Vorgehen der USA womöglich erschwere.
Robert Einhorn
Approaching the North Korea challenge realistically
Foreign Policy at Brookings, Report, 14. August 2017
Der derzeitige Ansatz der Trump-Administration, den Druck auf Nordkorea zu erhöhen, um das Land zum Abbruch seines Raketen- und Atomprogramms zu zwingen, habe wenig Aussicht auf Erfolg. Und auch wenn China ermuntert werden könnte, sich stärker zu engagieren, werde es doch alles unterlassen, was das Regime in Pjöngjang destabilisieren könnte. Von sich aus werde dieses niemals auf das verzichten, was seiner Ansicht nach seinen Bestand sichert. Daher schlägt der Autor vor, ein abgestuftes Konzept der Denuklearisierung zu prüfen, das Nordkorea Anreize zur Kooperation biete. Sollte ein solches abgestuftes Konzept keinen Erfolg haben, bleibe nur die durchgeplante Strategie von Abschreckung und Eindämmung.
James M. Acton
Some Nuclear Ground Rules for Kim Jong Un
Carnegie Endowment for International Peace, 16. August 2017
Der Zeitpunkt sei eingetreten: Nordkorea sei in der Lage, mit einer mit einem atomaren Sprengkopf bestückten Rakete die USA zu erreichen. Möglichst zügig sei daher eine Vereinbarung anzustreben, um die Gefahr eines Angriffs zu bannen. So sollte Nordkorea zusagen, keine Raketentests durchzuführen, die Südkorea oder Japan überfliegen, und als Gegenleistung dafür müssten die USA ihre strategischen Bomberausbildungsflüge innerhalb einer vereinbarten Entfernung des nordkoreanischen Luftraums beenden. Zugleich sollten die USA ihren Verbündeten in Ostasien ein verlässlicher Partner sein.
Kerry Brown
Time for China to Step Up in North Korea Crisis
Chatham House, 4. September 2017
Die gegenwärtige Nuklearkrise biete China die Gelegenheit, eine wichtige Rolle zu spielen – und diese sollte es ergreifen. Bei einem überzeugenden Auftreten gegenüber Nordkorea würde China – und die Welt – gewinnen. Kerry Brown fordert die Volksrepublik damit auf, ihre außen- und sicherheitspolitisch passive Rolle hinter sich zu lassen, die Nordkorea überhaupt erst Spielraum eingeräumt habe. Ein nuklear aufgerüstetes Nordkorea sei aber eben auch für China kein „kleiner Bruder“ mehr, sondern ein unkalkulierbarer Nachbar.
Michael D. Swaine
Time to Accept Reality and Manage a Nuclear-Armed North Korea
Carnegie Endowment for International Peace, 11. September 2017
Jeder, der die wachsende Krise auf der koreanischen Halbinsel in den vergangenen Wochen verfolgt habe, sei mit zahlreichen Vorschlägen konfrontiert worden, geschrieben aus fast allen erdenklichen Blickwinkeln. Trotz der Unterschiede zwischen diesen Perspektiven hätten sich die meisten dieser Vorschläge nach wie vor auf die Frage konzentriert, wie das Regime in Pjöngjang dazu gebracht werden könnte, seine Atomwaffen aufzugeben. Dieses Ziel aber scheine mit jedem neuen nordkoreanischen Raketen- und Nukleartest immer weniger realisierbar zu sein. Dies deute darauf hin, dass die politischen Entscheidungsträger in den USA, China, Südkorea und Japan einen realistischeren Ansatz verfolgen müssen, der auf Abschreckung, Eindämmung und eine Reihe von Maßnahmen zur Krisenbewältigung ausgerichtet sei. Im Hintergrund stehe, dass jegliche Anwendung direkter Gewalt gegen Nordkorea unkalkulierbare Folgen haben würde und verantwortungslos sei – weder könne ein Gegenschlag ausgeschlossen werden noch sei es angesichts zahlreicher (und unterirdischer) Standorte wahrscheinlich, dass die nuklearen Fähigkeiten Nordkoreas einfach auszuschalten seien. Südkorea würde zudem nur nichtmilitärische Maßnahmen unterstützen. Nicht zu vergessen sei, dass Nordkorea keineswegs irrational handele: Ein unprovozierter nuklearer Angriff auf die USA sei auszuschließen.
Dmitri Trenin
What’s the U.S.’s Best Chance with North Korea? Russia
Carnegie Moscow Center / New York Times, 18. September 2017
Nordkorea werde nicht durch Sanktionen dazu gebracht werden, seine atomaren Ambitionen aufzugeben, schreibt Dmitri Trenin. Daher müsse es von einer strategischen Zurückhaltung überzeugt werden, verbunden mit der Aussicht, dass sich neue wirtschaftliche Perspektiven eröffnen. Als Vermittler biete sich dabei Russland an. Zum einen verfüge Nordkorea zu diesem traditionell über vertrauensvolle Verbindungen, zum anderen sei Russland zwar selbst Atommacht, von der aktuellen nordkoreanischen Aufrüstung aber nicht unmittelbar bedroht. Solange keine direkten Gespräche zwischen den USA und Nordkorea stattfinden, sollte nach Ansicht des Autors Russland versuchen, Einfluss auf Nordkorea zu nehmen.
Shen Dingli / Bonnie S. Glaser / Seong-Hyon Lee
What Will China Do if the U.S. Attacks North Korea?
A ChinaFile Conversation, 21. September 2017
Vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen habe US-Präsident Trump Nordkorea angedroht, es zu zerstören, sollte es die USA oder einen seiner Alliierten bedrohen, so die Autoren. Falls China gefordert wäre, in einen eskalierenden Konflikt zu intervenieren – auf welcher Seite würde dies sein? Nach Ansicht der Experten sollte sich Nordkorea trotz eines immer noch bestehenden Pakts mit China nicht allzu sehr auf dieses verlassen, vor allem dann nicht, wenn es selbst einen militärischen Konflikt eröffne. China würde sich dann auf das Völkerrecht berufen können und nicht unterstützend eingreifen. Ob es sich aber eindeutig auf die Seite der USA stellen würde, werde von deren konkreten weiteren Vorgehen abhängen. Eindeutige Bündnispartner gibt es in diesem Konflikt, so ist hier herauszulesen, nicht mehr.
Paul Haenle
The North Korean Nuclear Threat: The View from Beijing
Carnegie Endowment for International Peace, 17. November 2017
Nachzuhören ist ein Gespräch, das Jen Psaki mit Paul Haenle geführt hat, dem Direktor des Carnegie-Tsinghua Centers. Haenle hatte im US-Verhandlungsteam bei den Sechs-Parteien-Gesprächen über Nuklearverhandlungen während der Bush-Administration das Weiße Haus repräsentiert, außerdem diente er als Kommandant der Armee zweimal in der US-Botschaft in Beijing. Das Gespräch fand nach der Asien-Reise von Präsident Trump statt, erörtert wird die chinesische Haltung zur nuklearen Bedrohung durch Nordkorea. Haenle betont, dass für China Stabilität der wichtigste Faktor sei. Zu Nordkorea sei die Beziehung historisch gewachsen, das Land werde zugleich als strategische Pufferzone und ein Krieg als schlecht für die eigenen Interessen gesehen. Aber es sei eine so hohe Frustration in der chinesischen Regierung über Nordkorea wie nie zuvor zu beobachten, es zeichne sich ein „fundamental shift“ ab. Die roten Linien, die die chinesische Regierung gegenüber Nordkorea ziehe, seien allerdings nicht durch die Aufforderungen der USA, mehr Druck auszuüben, bestimmt. Für China inakzeptabel wäre ein nordkoreanischer Nukleartest über dem pazifischen Ozean oder ein Test, bei dem die chinesische Bevölkerung von einem Fallout betroffen wäre. Auf die Frage, was die USA unternehmen sollten, stellt Haenle zunächst fest, dass sich Trump in seiner Nordkorea-Politik in erster Linie durch seine Tweets von seinen Vorgängern unterscheide – politischen Druck hätten auch die Vorgänger-Administrationen aufgebaut. Wichtig sei es jetzt, eine Tür für Verhandlungen offen zu halten, da eine militärische Lösung keine Option sei. Festzustellen sei allerdings, dass sich Kim Jong-un deutlich von seinem Vater und Vorgänger unterscheide, der das Atom- und Raketenprogramm zurückhaltender vorangetrieben habe.
Daniel L. Byman
Putting the North Korea terrorism designation in context
Brookings Institution, Order from Chaos, 21. November 2017
Präsident Trump habe Nordkorea wieder auf die Liste der „sponsor of terrorism“ gesetzt, auf der auch Iran, Sudan und Syrien stehen. Diese Liste sei ungenau und wenig hilfreich, kritisiert Daniel L. Byman – mit ihr werde nur ausgesagt, wer ein Feind der USA sei, aber nicht, wer den Terrorismus sponsere und damit grundsätzlich eine Gefahr darstelle. So fehle beispielsweise Pakistan auf der Liste.
Frank Aum
United States-North Korea Stuck in Dangerous Zero Sum Game. But options exist to avoid military confrontation
United States Institute of Peace, 29. November 2017
Frank Aum erörtert, wie die Strategie angesichts der jüngsten Raketentests gegenüber Nordkorea aussehen könnte. Zum einen sei zu beobachten, dass der Druck aus den USA auf China langsam Wirkung zeige, auch wenn die Angst vor einem Kollaps des Regimes in Pjöngjang nach wie vor groß sei. Zum anderen sei das Ziel einer Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel zu überdenken. Zunächst könnte in kleineren Schritten vorangegangen werden, um überhaupt Erfolge zu erzielen. Um größeres Vertrauen von China zu gewinnen, sollten die gemeinsamen Militärmanöver der USA und Südkoreas zeitweilig ausgesetzt werden.
Sheena Chestnut Greitens
North Korea’s activities in Southeast Asia and the implications for the region
Brookings Institution / Chicago Council on Global Affairs, 29. November 2017
Seit der Amtsübernahme von Donald Trump nehme Nordkorea einen zentralen Platz in der Außen- und Sicherheitspolitik seiner Administration ein. Dabei sei bislang wenig beachtet worden, inwieweit Nordkorea in südasiatische Strukturen eingebunden sei, vor allem über diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen. So seien etwa Malaysia und die Philippinen wichtige Partner, auch und vor allem in der Schattenwirtschaft. Auch habe die ASEAN bisher Nordkorea nicht aus seinem regionalen Forum, das sicherheitspolitischen Fragen gewidmet ist, ausgeschlossen. Angesichts dieser Vernetzung sei es nicht erfolgversprechend, wenn die USA nur auf China und Nordkorea selbst Druck ausübten beziehungsweise für Letzteres Sanktionen verhängten. Diese werden ohne die Unterstützung der südasiatischen Länder keine nennenswerte Wirkung entfalten.
Riccardo Alcaro / Ettore Greco
The Challenge from North Korea. Fostering Regional Security and Nonproliferation
Council on Foreign Relations, Global Governance Working Paper, 29. November 2017
https://www.cfr.org/report/challenge-north-korea
Nordkoreas Entwicklung von Nuklear- und ballistischen Waffen stelle eine Bedrohung für die internationale Sicherheit dar und gefährde das globale Nichtverbreitungsregime. Ein präventiver Schlag gegen das Regime aber gelte es unbedingt zu vermeiden. Vielmehr müsse mit einer Strategie der Abschreckung und Eindämmung, verbunden mit koordinierten Sanktionen durch die in der Region liegenden Länder, die Gefahr entschärft werden, dass die Ereignisse außer Kontrolle gerieten. Unter den gegenwärtigen Umständen sei keine Lösung der Nordkorea-Krise zu erwarten, das Ziel müsse zunächst eine höhere Vorhersehbarkeit in den regionalen Beziehungen sein. Solange alle Beteiligten wüssten, wo der Stolperdraht sei, der einen Großbrand auslöse, wäre das Risiko, dass sie absichtlich hineingingen oder versehentlich hineinstolperten, weitaus geringer als heute.
1https://www.icanw.de/fakten/nuklearwaffen-eine-chronologie/
2siehe hierzu Matthias Naß: Countdown in Korea, München 2017. Siehe die Rezension.
Außen- und Sicherheitspolitik
Aus den Denkfabriken
David Albright / Sarah Burkhard / Allison Lach / Andrea Stricker
Countries Involved in Violating UNSC Resolutions on North Korea
Institute for Science and International Security, Report, 5. Dezember 2017
Zwischen März 2014 und September 2017 haben laut dieser Auswertung 49 Länder in irgendeiner Form die Sanktionen gegenüber Nordkorea unterlaufen. An erster Stelle wird Namibia genannt, dann Kuba, Tansania und Angola – diese und weitere aufgeführte Länder stehen, so ein Hinweis, auf dem Corruption Perceptions Index (CPI) von Transparency International ebenfalls ganz oben. Offenbar sucht sich Nordkorea für finanzielle Transkationen und den Handel mit (Rüstungs-)Gütern gezielt Staaten mit schwachen Institutionen und/oder hoher Korruption aus.
Michael Paul
Brennpunkt Nordkorea: Donald Trump gegen Kim Jong-un
Blätter für deutsche und internationale Politik 1/18
In dieser Analyse wird der Annahme widersprochen, der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un sei ein unberechenbarer Irrer. Tatsächlich folge er einer klaren Strategie mit dem Ziel, „die USA und ihre Streitkräfte mittels der Atomrüstung von der koreanischen Halbinsel [zu] verdrängen“ (44). Zentrales Problem sei, dass Nordkorea bei dem Versuch, so die eigene Sicherheit zu erhöhen, die anderer Staaten gefährde – damit bestehe ein Sicherheitsdilemma. Michael Paul sieht angesichts bereits geschaffener Tatsachen, abzulesen an verschiedenen Raketen- und atomaren Tests, das oberste Ziel der USA einer vollständigen Denuklearisierung Nordkoreas als momentan nicht zu erreichen an. Als „realistische Zwischenlösung“ (49) identifiziert er ein pragmatisch an Rüstungskontrolle orientiertes Regime, mit dem die Tests beendet und der aktuelle Nuklearwaffen- und Raketenbestand Nordkoreas eingefroren würde. Als Gegenleistung müssten humanitäre Hilfe und wirtschaftliche Unterstützung angeboten werden. Dieses Verfahren sei in der Vergangenheit erfolgreich gewesen. Daher sei der dialog-orientierte Kurs des südkoreanischen Präsidenten zu unterstützen. Von China dagegen, so wird deutlich, wird nicht allzu viel Unterstützung zu erwarten sein.
Literatur
Virginie Grzelczyk
North Korea’s New Diplomacy. Challenging Political Isolation in the 21st Century
Basingstoke, Palgrave Macmillan 2018
Yangmo Ku / Inyeop Lee / Jongseok Woo
Politics in North and South Korea. Political Development, Economy, and Foreign Relations
London, Routledge 2018
Michael J. Mazarr
North Korea and the Bomb. A Case Study in Nonproliferation
Basingstoke, Palgrave Macmillan 1997
Patrick McEachern / Jaclyn O’Brien McEachern
North Korea, Iran and the Challenge to International Order. A Comparative Perspective
London, Routledge 2018
Ramon Pacheco Pardo
North Korea – US Relations under Kim Jong II. The Quest for Normalization?
London, Routledge 2016
Gideon Rose
North Korea and the Bomb
New York, Foreign Affairs 2017
Gilbert Rozman / Sergey Radchenko (Hrsg.)
International Relations and Asia's Northern Tier: Sino-Russia Relations, North Korea, and Mongolia
Basingstoke, Palgrave Macmillan 2018
Rezension
Matthias Naß
Countdown in Korea. Der gefährlichste Konflikt der Welt und seine Hintergründe
München, C. H. Beck 2017
Nordkorea testet fortlaufend seine Raketen und hat mutmaßlich erfolgreich eine Wasserstoffbombe gezündet, US-Präsident Donald Trump dem Land die Vernichtung mit „Feuer und Zorn“ angedroht. Die Weltgemeinschaft muss fürchten, am Rande eines Atomkriegs zu stehen. Der Journalist Matthias Naß rekapituliert die Genese dieses seit Jahrzehnten schwelenden Konflikts und zeigt die Interessen der involvierten Akteure auf. Auf der Grundlage seiner eigenen Recherchen und wissenschaftlicher Analysen zeichnet er das Bild einer eskalierenden Konfrontation, die dennoch nur politisch zu lösen sein wird.
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