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/ 19.06.2013
Giorgio Agamben

Ausnahmezustand. (Homo sacer II.1) Aus dem Italienischen von Ulrich Müller-Schöll

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2004 (edition suhrkamp 2366); 113 S.; 9,- €; ISBN 3-518-12366-1
Auch „Ausnahmezustand", der in sich abgeschlossene erste Band von Teil 2 des Homo sacer-Projektes von Agamben, dürfte die Politikwissenschaft ebenso irritieren wie der die Reihe eröffnende „Homo sacer" selbst (siehe ZPol 1/03: 551). In der außerordentlich kompakt formulierten Abhandlung lassen sich drei Argumentationsstränge unterscheiden. Zunächst die im Rahmen einer begrifflich-semantischen Genealogie vorgenommene Dekonstruktion jener wissenschaftlichen Mythologeme, mit deren Hilfe politische Theorie wie Rechtstheorie versuchten, den Ausnahmezustand (und komplementär das Widerstandsrecht) in eine legale Ordnung einzubinden. Agamben zeichnet in diesem Zusammenhang - exemplarisch am römischen Recht - ebenso subtil wie anregend das paradoxe Unterfangen nach, „die Ausnahme in die Rechtsordnung selbst einzuschließen, und zwar durch Schaffung einer Zone der Unbestimmtheit, in der Tatsache und Recht zusammenfallen" (35). Weniger überzeugend erscheint indes der zweite - in Auseinandersetzung mit Derrida, Schmitt und Benjamin geführte - Argumentationsstrang, bei dem Agamben der theoretischen Lokalisierung des Ausnahmezustandes zugleich konstitutive Bedeutung für die Frage „Was heißt politisch handeln?" (8) zuschreibt. Der in dieser Perspektive eröffnete politische Raum - „wahrhaft politisch ist [...] nur solches Handeln, das den Bezug zwischen Gewalt (violenza) und Recht rückgängig macht" (104) - bleibt eigentümlich leer. Problematisch wirkt schließlich der dritte - zeitdiagnostische - Argumentationsstrang, der den Ausnahmezustand als herrschendes Paradigma heutigen Regierens behauptet. Agamben konstruiert in diesem Kontext mit der allen westlichen Demokratien unterstellten Tendenz zur „gouvernementalen Republik" (26 f.) eine politische Verfallsgeschichte, die auch durch das empirische Beispiel des rechtsfreien Raums Guantanamo nicht plausibel wird.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Giorgio Agamben: Ausnahmezustand. Frankfurt a. M.: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/21031-ausnahmezustand_24539, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 24539 Rezension drucken
CC-BY-NC-SA
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