/ 30.05.2013
Eva Sänger / Malaika Rödel (Hrsg.)
Biopolitik und Geschlecht. Zur Regulierung des Lebendigen
Münster: Westfälisches Dampfboot 2012 (Forum Frauen- und Geschlechterforschung 35); 288 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-89691-235-0Zu Beginn steht die Erkenntnis, dass sich das Verständnis von Biopolitik, trotz oder gerade wegen der herrschenden Hochkonjunktur des Begriffs, zunehmend von der ursprünglichen Verbindung zu einer Herrschaftskritik entfernt; die Biopolitik taucht anscheinend nur noch als beschreibende Kategorie auf. Die Fortschritte der Medizin, der Gen‑ oder Nanotechnik – kurz, der Lebenswissenschaften – verdecken damit aber den inhärenten Zusammenhang von Wissen und Macht, auf den das Foucault’sche Konzept verweist. Besonders aus Sicht der Geschlechterforschung ist also zu beklagen, dass der spezifische Nexus zwischen dem normierenden (und damit beherrschenden) Zugriff auf das Lebendige und der Reproduktion der Geschlechterverhältnisse aus dem Blick gerät. An diesem Punkt setzen die Autor_innen des Bandes an, um „das begriffliche Instrumentarium im Anschluss an Foucaults Ausführungen zur Biopolitik [zu] erweitern, das Konzept heuristisch fruchtbar [zu] machen oder es selbst einer kritischen Analyse [zu] unterziehen“ (13). Zunächst steht die Wissensproduktion zum Lebendigen selbst im Fokus, deren Gefahren nicht nur darin liegen, einen unproblematischen Bezug zum Begriff des Lebens zu reproduzieren (Susanne Lettow), sondern auch, dass vermeintliche Wahrheiten etabliert werden, die sich vom „Leistungsembryo“ (67) und der Präimplantationsdiagnostik (Bettina Bock von Wülfingen) bis zur „selbstbestimmten Fremdbestimmung“ (Petra Schaper‑Rinkel, 101) im Optimierungswahn erstrecken. Im zweiten Teil richtet sich der Blick auf die Techniken der Bevölkerungsregulierung und die Verbindung von demografischen Daten, die politisch auf die Bevölkerung zurückwirken, etwa in der Familienpolitik (Susanne Schultz) oder der Volkszählung (Linda Supik). Aber auch in der Migrationspolitik gibt es solche Mechanismen, wenn sich etwa „eine erstaunliche Konvergenz [… von] Anti‑Trafficking‑Politiken und Anti‑Einwanderungspolitiken“ (Sabine Hess, 144) nachvollziehen lässt. Im letzten Teil widmen sich die Autor_innen schließlich dem nach Foucault so bedeutenden Scharnier zwischen den Polen der Biopolitik: der Sexualität. Diese unterliege immer noch der heteronormativen Prägung durch das Wahrheitsregime der Biomedizin, dem „‚Entweder‑Oder‘ der Geschlechterzuweisung“ (200). Demgegenüber stehen beispielsweise Fragen nach Inter‑ (Ulrike Klöppel) oder Transsexualität (Uta Schirmer) und schließlich generell nach den Perspektiven für eine „Kraft zu fliehen“ (Mike Laufenberg, 266), die eine biopolitische Analyse bieten kann.
Alexander Struwe (AST)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rubrizierung: 2.263 | 2.343 | 2.36 | 2.27 | 5.44 | 3.5
Empfohlene Zitierweise: Alexander Struwe, Rezension zu: Eva Sänger / Malaika Rödel (Hrsg.): Biopolitik und Geschlecht. Münster: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/216-biopolitik-und-geschlecht_43638, veröffentlicht am 02.05.2013.
Buch-Nr.: 43638
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B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe-Universität Frankfurt am Main.
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