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/ 19.06.2013
Felix Mühlberg

Bürger, Bitten und Behörden. Geschichte der Eingabe in der DDR

Berlin: Karl Dietz Verlag 2004 (Rosa-Luxemburg-Stiftung: Texte 11); 329 S.; brosch., 14,90 €; ISBN 3-320-02947-9
Von der Beschwerde einer einfachen Bürgerin über den schlechten Service in einem Restaurant bis zur an den Berliner Amtskollegen gerichteten Bitte der Dessauer Oberbürgermeisterin, den nach Berlin ziehenden Sohn mit einer Wohnung zu versorgen: Die Eingaben der DDR-Bürger umfassten alle Bereiche ihres Lebens. Statistisch gerechnet habe zwischen 1949 und 1989 jeder Haushalt eine Eingabe verfasst, schreibt der Autor, adressiert u. a. an den Bürgermeister, an zuständige Verwaltungen oder an die Fernsehsendung PRISMA, meist aber an den Staatsrat als höchste Instanz. Die Eingabe - ein formloses Schreiben - basiere auf zwei Elementen der deutschen Rechtspflege: dem Petitionsrecht und der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Letztere wurde in der DDR jedoch 1953 abgeschafft und anstelle dessen ein Eingabenerlass veröffentlicht, der jedem Einreicher einer Eingabe eine Antwort innerhalb einer bestimmten Frist zusagte. Aus einer spontan entstandenen Praxis habe sich damit „eine Form der Konfliktlösung" (275) entwickelt, mittels derer die Bürger individuelle und gesellschaftliche Probleme mit dem Staat kommunizierten. Mühlberg sieht darin nicht in erster Linie ein obrigkeitsgläubiges Verhalten, sondern geht von einem „gesellschaftlichen Grundkonsens" (27) von Bevölkerung und Staat aus, der sich vor allem auf soziale Sicherheiten, niedrige Preise für Wohnungen und Grundnahrungsmittel sowie die Vollbeschäftigung bezogen habe. Auf dieser Basis sei nicht Recht, sondern Gerechtigkeit gefordert worden. Den Eingaben, mit denen sich die Bürger über Versäumnisse und Fehlleistungen der Verwaltungen beschwerten, schreibt Mühlberg deshalb „plebiszitäre Eigenschaften" (28) zu. In seiner Analyse der Rhetorik und in den abgedruckten Originaltexten wird allerdings deutlich, dass die Bürger Bittsteller waren, die Anspruch auf eine Antwort, nicht aber auf eine Erfüllung ihrer Wünsche hatten. Dennoch bewertet der Autor die Eingabe als „ein Instrument der Konfliktbewältigung vor allem gegenüber der Verwaltung" (275) und als maßgeblich bei der Herausbildung einer spezifischen Konfliktkultur in der DDR.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Felix Mühlberg: Bürger, Bitten und Behörden. Berlin: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/20774-buerger-bitten-und-behoerden_24223, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 24223 Rezension drucken
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