/ 18.06.2013
Michel Winock
Das Jahrhundert der Intellektuellen. Aus dem Französischen von Judith Klein
Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH 2003 (édition discours 28); 885 S.; geb., 49,- €; ISBN 3-89669-948-2Der Autor (Professor für Zeitgeschichte am Pariser Institut d'études politiques) versucht, „die Geschichte der Intellektuellen - in der Bedeutung, die das Wort 1898 während der Dreyfus-Affäre angenommen hat - nachzuzeichnen. Es enthält also keine Ideengeschichte [...] und noch weniger eine Darstellung der kulturellen Leistungen der letzten hundert Jahre" (13). Gemeint sind damit tatsächlich die ersten 75 Jahre des 20. Jahrhunderts, und der Terminus „Intellektuelle" bezeichnet ausschließlich Franzosen. Drei Leitfiguren stehen nach Ansicht des Autors paradigmatisch für drei ebenso deutlich unterscheidbare Phasen oder Epochen der Entwicklung des Intellektuellen als gesellschaftspolitischem Typus: Maurice Barrès für die Zeit von der Affäre Dreyfus bis zum Ersten Weltkrieg; André Gide in der anschließenden Zwischenkriegszeit und während der deutschen Okkupation; Jean-Paul Sartre schließlich von der Befreiung Frankreichs 1944 bis zu seinem Tod 1980, von vielen zugleich als Auftakt zum Ende der „Ära der Intellektuellen" Anfang der 80er-Jahre wahrgenommen (in kurzer Folge sterben bis 1983 u. a. Roland Barthes, Raymond Aron und Michel Foucault). Winock stützt seine Darstellung auf jahrzehntelange Forschungen und Seminararbeiten zu Einzelaspekten von Leben, Werk und Wirkung der Genannten, an denen ihn vor allem ihre polarisierende, Kontroversen auslösende und steuernde Wirkung interessiert. Facettenreichtum und Widersprüchlichkeit dieser im Wesentlichen politischen beziehungsweise ideologisch-weltanschaulichen Debatten werden anhand vielfältiger Zitate aus zum Teil entlegenen Quellen herausgearbeitet; Entwicklungsstrukturen des intellektuellen Engagements zwischen 1898 und 1975 treten hervor, gerade auch im scharfen Gegensatz der Stimmen und der Parteinahme in politischen Tagesfragen, von der antisemitischen Kampagne um die Jahrhundertwende bis hin zur Antikommunismusdebatte im Zusammenhang mit Veröffentlichungen über den „Archipel Gulag".
Michael Hein (HN)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
Rubrizierung: 5.46 | 2.23 | 2.61 | 2.64 | 2.22
Empfohlene Zitierweise: Michael Hein, Rezension zu: Michel Winock: Das Jahrhundert der Intellektuellen. Konstanz: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/19665-das-jahrhundert-der-intellektuellen_22883, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 22883
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Arbeitsstelle für graphische Literatur, Universität Hamburg, freier Lektor, Übersetzer, Publizist.
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