Kepel, Professor für Politikwissenschaft am Institut d'Etudes Politiques (Paris) und international bekannter Islamwissenschaftler, stellt in seiner Darstellung der Entwicklung des Islamismus die aus heutiger Sicht verblüffende These auf, dass der Islamismus im Niedergang begriffen sei. Die französische Originalausgabe aus dem Jahre 2000 (die übrigens nicht als "Schwarzbuch" vermarktet wurde, sondern den schlichteren Titel "Jihad. Expansion et déclin de l'islamisme" trägt) wurde nach dem 11. September 2001 für die deutsche Übersetzung nicht verändert; vielmehr bekräftigt Kepel im Vorwort zur deutschen Ausgabe seine Position. Die These vom Niedergang des Islamismus mag fragwürdig erscheinen, doch das sollte einen keinesfalls von der Auseinandersetzung mit dem Buch abhalten: Kepel legt in erster Linie eine sehr anregend geschriebene und außerordentlich informative Analyse der Entwicklung des Islamismus in den verschiedenen Ländern der islamischen Welt vor. Ausgehend von den Vordenkern, zu denen er vor allem den ägyptischen Muslimbruder Saiyid Qutb, den pakistanischen Politiker Maududi sowie Ayatollah Khomeini zählt (48-61), kennzeichnet er in drei Teilen den Aufstieg, die Ausbreitung und den Niedergang des Islamismus. Den Aufstieg führt er wesentlich auf das Scheitern des arabischen Nationalismus zurück, das aus muslimischer Sicht mit der vernichtenden Niederlage der arabischen Staaten im Sechstagekrieg gegen Israel 1967 offenkundig wurde. Die Phase des Aufstiegs endete mit der islamischen Revolution in Iran 1979, die für die Entwicklung des Islamismus eine einschneidende Bedeutung hatte. Von nun an kam es zu einer raschen Ausbreitung der Bewegung (2. Phase), in der sich jedoch erste Widersprüche und Machtkämpfe unter den Islamisten zeigten. In deren Folge kommt es aus Sicht des Autors in den Neunzigerjahren zu einem Niedergang des Islamismus, der wesentlich auf den schwindenden Rückhalt in der Bevölkerung zurückzuführen ist: Die brutale Gewalt, die die Islamisten sowohl als Herrscher (im Iran oder in Afghanistan) als auch als terroristische Untergrundkämpfer (z. B. in Algerien) anwenden, schreckt eine zunehmende Zahl von Menschen in der arabischen Welt ab. Im Anschlag vom 11. September 2001 sieht Kepel folglich nicht das Zeichen einer wachsenden, sondern einer schwindenden Macht: Die vollständig von den gesellschaftlichen Realitäten losgelösten Gotteskrieger versuchten mit dem spektakulären Attentat ihren drohenden Untergang abzuwenden; nur eine übermäßig repressive Reaktion seitens der USA könnte ihnen dazu verhelfen, ihr Ziel einer neuen Mobilisierung der Massen zu erreichen (siehe 19). Bei Kepels Prognose des Niedergangs des Islamismus scheint aber doch der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein. Das Kapitel über Osama Bin Laden (in das die jüngsten Ereignisse in der Folge des 11. September 2001 nicht mehr eingearbeitet wurden) endet mit der Folgerung: "In Anbetracht der politischen Sackgasse, in die der radikale Flügel [u. a. Bin Ladens Attentate gegen die US-amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam] den Islamismus geführt hat, kann die fromme Mittelschicht nur auf Distanz zu ihm gehen und über andere Wege ihre Integration in die moderne Gesellschaft vorantreiben." (381) Von diesem Integrationswillen ist seit dem 11. September jedoch noch weniger zu merken als zuvor; vielmehr scheint der Islam einer wachsenden Zahl von Muslimen der Abwehr von Globalisierungsprozessen und insbesondere des westlichen Pluralismus und Individualismus zu dienen.