/ 04.06.2013

Kari Palonen
Das 'Webersche Moment' Zur Kontingenz des Politischen
Opladen: Westdeutscher Verlag 1998; 352 S.; kart., 52,- DM; ISBN 3-531-12997-XDer finnische Politikwissenschaftler Palonen versucht mit dieser begriffsgeschichtlichen Studie die Kategorie der Kontingenz für einen modernen Politikbegriff fruchtbar zu machen. Pococks Arbeit zu Machiavelli (The Machiavellian Moment, 1975) bildet thematisch wie methodisch den Horizont, vor dem der Autor seine Interpretation entfaltet. Im traditionellen - erst durch Nietzsche aufgebrochenen - Verständnis dient Politik (auf der Basis von Tugenden bzw. "objektiv" ausgewiesener Sicherheiten) einer abwehrenden Bewältigung von Kontingenz (26 ff.). Webers lange nicht ausreichend anerkannte Leistung bestehe eben darin, durch seine strikt nominalistische, handlungstheoretische Konzeption Kontingenz als konstitutives Merkmal des Politischen verstanden zu haben. An die Stelle des klassischen Schemas "fortuna/virtu" tritt das Schema "Nebenfolgen/Chancen"; mit dieser radikalen Ablösung von traditionellen Hintergrundgewißheiten liege die entscheidende Wende im "Weberschen Moment [...] in Webers Priorität des Möglichen gegenüber dem Wirklichen" (150). Die sich daraus ergebende Formalisierung und Verzeitlichung der begrifflichen Elemente des Weberschen Politikkonzepts zeigt Palonen - im Hauptteil seiner Arbeit - in einer subtilen Diskussion der Zeitanalyse Webers (59 ff.), seiner Wissenschaftskonzeption (102 ff.) und schließlich an "Politik als Beruf" (152 ff.). Der unverkennbare aktuelle Boom des Kontingenzbegriffs - sei es im Zuge sogenannter "post-moderner" Perspektiven, sei es in politiktheoretischen Versuchen, auf "Globalisierung" zu reagieren - bedeutet für Palonen "weniger ein Ende als vielmehr einen Triumph des Weberschen Moments" (333). Dies versucht er im dritten Teil anhand neuerer theoretischer Behandlungen von Kontingenz zu demonstrieren (217 ff.). Insgesamt stellt die Studie eine anregende, wenn auch vielfach bestreitbare Aufwertung der Selbständigkeit des "Politischen" dar. Ironischerweise ist es ein soziologischer Klassiker, der hier die Basis für eine "handlungstheoretische Gegengeschichte zu den soziologistischen Deutungen der gegenwärtigen politischen Theorie" (19) abgibt.
Inhaltsübersicht: I. Einleitung: 1. Die Kunst, Kontingenz zu behandeln: 1.1 Die These; 1.2 Die Kontingenz als aktueller Topos; 1.3 Die post-gesellschaftliche Politik; 1.4 Ansatz und Strategien. 2. Das Machiavellische Moment der Kontingenz: 2.1 Sprachen der fortuna in Machiavellis Kontext; 2.2 Machiavelli zur Kontingenz des Politischen; 2.3 Von der fortuna zur Korruption. 3. Zwischen Machiavelli und Weber: 3.1 Aspekte der Kontingenzabwehr; 3.2 Nietzsche und die Aufwertung des Zufalls. II. Kontingenz und Politik bei Max Weber: 4. Das Verschwinden der fortuna?; 5. Max Webers Kritik am Unpolitischen; 5.1 Der Mangel an politischer Urteilsfähigkeit: Baumgarten und Weber; 5.2 Das Unverständnis der Staatsräson; 5.3 Die Untertanenmentalität; 5.4 Pazifismus und Gewaltgemeinschaft; 5.5 'Verwissenschaftlichung' als Bevormundung der Politik; 5.6 Bürokratisierung als modernes Paradigma des Unpolitischen; 5.7 Figuren des Unpolitischen in der Weberschen Welt. 6. Die Webersche Konzeptualisierung der Kontingenz: 6.1 'Dekonstruktion' der Totalitätsfiguren; 6.2 Die Entzauberung der Wissenschaft; 6.3 Die Webersche Handlungstheorie; 6.4 Instrumente der kontingenten Erkenntnis; 6.5 Die Konzeptualisierung der Kontingenz als Alternative. 7. Die Kontingenz des Politischen bei Weber: 7.1 Die Thematisierung des Politischen bei Weber; 7.2 Die Topoi der Kontingenz des Politischen; 7.3 Instrumente der Politik; 7.4 Der Idealtypus Politiker; 7.5 Ethos des Politikers: Eingrenzung und Ausnutzung der Kontingenz. 8. Das Webersche Moment des Politischen. III. Das Webersche Moment nach Weber: 9. Vorbemerkung; 10. Im Schatten Webers: die Grundlosigkeit der Politik: 10.1 Entzauberung der Welt: unpolitische und politische Antworten; 10.2 Carl Schmitt: Eindeutigkeit durch Entscheidung; 10.3 Helmuth Plessner: Spiel zwischen Umbruch und Ordnung; 10.4 Walter Benjamin und die Politik der Aktualisierung; 10.5 Die Kontingenz der Zeit als Politikum. 11. Die Kontingenz der Existenz als Ausgangspunkt des Handelns: 11.1 Politik als Akzent der menschlichen Situation; 11.2 Hannah Arendt: Anfang, Virtuosität und Maßlosigkeit der Politik; 11.3 Jean-Paul Sartre: Das Spiel der Negativitäten; 11.4 Michael Oakeshott: Kontingenz der Deliberation; 11.5 Kontingenz und ihre Eingrenzungen im Handeln. 12. Kontingenz als Voraussetzung des Politischen: 12.1 Kontingenz als Schlagwort; 12.2 William E. Connolly: Politik statt Heimweh; 12.3 Ulrich Beck: "was Max Weber ... nicht sehen konnte"; 12.4 Das halbe Ende des Weberschen Moments. 13. Politik als Doppelspiel der Kontingenzen.
Thomas Mirbach (Mir)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.46 | 5.1
Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Kari Palonen: Das 'Webersche Moment' Opladen: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/5147-das-webersche-moment_6766, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 6766
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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