/ 05.06.2013
Niall Ferguson
Der falsche Krieg. Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Klaus Kochmann
Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1999; 509 S.; geb., 49,80 DM; ISBN 3-421-05175-5Was führte zum Ersten Weltkrieg? Weshalb dauerte er über vier Jahre? Und was hat ihn beendet? Ferguson tritt mit dem Anspruch auf, die bisherigen Forschungsergebnisse mit ihrem Gegenteil zu konfrontieren: War denn der deutsche Kriegsrat vom Dezember 1912 tatsächlich der Auftakt zum Krieg, wie es Fritz Fischer deutete, oder war nicht vielmehr dieser Kriegsrat eine Reaktion auf die britischen Andeutungen, man werde es nicht zulassen, daß Deutschland die Hegemonie auf dem Kontinent erlangen würde? Ferguson argumentiert über weite Phasen seines Buches überzeugend, daß es sinnvoll ist, klassische Deutungen über den Ersten Weltkrieg mit Fakten zu konfrontieren, die diese Deutungen auf den Kopf stellen. Etwa von der Einkreisung, denn letztendlich hätte auch die deutsche Seite nicht Unrecht, wenn sie die diplomatischen Bemühungen Großbritanniens als den Versuch wertete, das Reich zu isolieren. Weshalb griff Großbritannien in den Krieg ein? Wegen der Verletzung der belgischen Neutralität, hieß es offiziell, aber Ferguson zeigt, daß die britischen Planungen auch nicht weniger zimperlich mit dieser Neutralität umgingen als der Große Generalstab in Berlin. Fergusons schwungvolle und interessant zu lesende Analyse kann dennoch nicht restlos überzeugen. Wenn denn der deutsche Militarismus, die wirtschaftliche Rivalität, der deutsch-britische Flottenwettlauf, die fixe Idee von der Einkreisung etc. keine hinreichenden Gründe für den Krieg lieferten, weshalb kam er dennoch zustande? Hier greift Ferguson auf die Zukunftserwartung zurück, die auch schon von Fritz Fischer formuliert wurde: Die deutsche Seite hat eben eher zugeschlagen als die andere Seite, um einem erwarteten militärischen Nachteil zuvorzukommen. Insgesamt gesehen bietet Fergusons mitunter spekulative Darstellung genügend Ansätze, um bestehende, nicht mehr hinterfragte Deutungsmuster auf den Prüfstand zu stellen.
Inhalt: 1. Die Mythen des Militarismus; 2. Imperien, Bündnisse und Vorkriegs-Appeasement; 3. Großbritanniens Krieg der Illusionen; 4. Waffen und Soldaten; 5. Öffentliche Finanzen und nationale Sicherheit; 6. Die letzten Tage der Menschheit: 28. Juni bis 4. August 1914; 7. Augusttage: Mythos "Kriegsbegeisterung"; 8. Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit: Der vergeudete Vorteil; 9. Strategie, Taktik und Verluste; 10. "Maximales Blutbad zu minimalen Kosten": Kriegsfinanzierung; 11. Der Todesinstinkt: Warum Soldaten kämpfen; 12. Kapitulation und Gefangennahme.
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 2.311 | 2.61
Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Niall Ferguson: Der falsche Krieg. Stuttgart: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/8009-der-falsche-krieg_10604, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 10604
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Dr., Historiker.
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