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/ 19.06.2013
Pierre Boom / Gerhard Haase-Hindenberg

Der fremde Vater. Der Sohn des Kanzlerspions Guillaume erinnert sich

Berlin: Aufbau-Verlag 2004; 415 S.; geb., 22,50 €; ISBN 3-351-02567-X
Unter politikwissenschaftlichen Gesichtspunkten ist dieses Buch nicht relevant. Oder doch? Zumindest zeigt es ganz unspektakulär und gleichzeitig sehr eindringlich, welche Auswirkungen Politik und Ideologie im geteilten Deutschland auf das Leben eines Menschen haben konnten. „Der fremde Vater" ist Günter Guillaume, dessen Enttarnung als DDR-Spion zum Rücktritt von Bundeskanzler Brandt beitrug. Sein Sohn Pierre, der den Mädchennamen seiner Mutter angenommen hat, wurde als 17-jähriger im April 1974 völlig unvorbereitet Zeuge der Verhaftung seiner Eltern. An diesem Punkt setzt eine Mischung aus Autobiografie und Biografie ein, für die Boom zusammen mit dem Journalisten Haase-Hindenberg seine Vergangenheit noch einmal gründlich recherchiert hat. Interviewt wurden nicht nur Familieangehörige und Freunde, sondern zum Beispiel auch der ehemalige Stasi-Führungsoffizier seiner Eltern. Was waren die Motive vor allem von Günter Guillaume, der sich im rechten Flügel der SPD und als Vertrauter Brandts etabliert hatte? Guillaume hatte sich bei seiner Verhaftung als Offizier der DDR bezeichnet und damit überhaupt erst den letzten Beweis seiner Spionagetätigkeit geliefert. Er gab sich als Überzeugungstäter und drängte seinen Sohn zur Übersiedlung in die DDR. Boom schildert nicht nur seine geradezu fürsorgliche Betreuung (und Kontrolle) durch die Stasi. Es folgt auch eine der sicher besten Beschreibungen der DDR-Funktionäre, die es sich in ihren Privilegien bequem gemacht hatten, sich auf einem Flug nach Moskau die Taschen mit westlichen Schokoladenriegeln voll stopften und gleichzeitig gegen die Perestroika wetterten. Boom selbst, der sich als Linker versteht, gelang es nicht, sich zu integrieren. Zu hohl erschienen ihm die ideologischen Phrasen, die schon seine Mitschüler nachplapperten, um sich die Chance auf ein Abitur nicht zu verstellen. Schließlich gewann Boom mühsam Abstand zu seinen Eltern, deren Spionagetätigkeit er immer weniger verstand. 1988 reiste er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach etlichen Verhandlungen mit der Stasi aus der DDR aus.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.32.3132.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Pierre Boom / Gerhard Haase-Hindenberg: Der fremde Vater. Berlin: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/20733-der-fremde-vater_24181, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 24181 Rezension drucken
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