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/ 05.06.2013
Alex Demirović

Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999 (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1440); 983 S.; 39,80 DM; ISBN 3-518-29040-1
Gesellschaftswiss. Habilitationsschrift Frankfurt a. M. ‑ Von den anderen Darstellungen der Frankfurter Schule, die entweder wissenschafts‑ (Wiggershaus) oder theoriegeschichtlich (Dahms) ansetzen, unterscheidet sich Demirovic's breit angelegte "wissensarchäologische[...] Analyse" (14) zunächst in der thematischen Bestimmung ihres Gegenstandes. Im Zentrum seines Interesses steht die intellektuelle Praxis, also das breite Spektrum von Publikationen und Lehrtätigkeiten, wissenschaftspolitischen und öffentlichen Aktivitäten, das Adorno und Horkheimer nach ihrer Rückkehr aus dem amerikanischen Exil entfaltet haben. Mit Bezug auf Gramsci, Foucault und Bourdieu sucht Demirovic keinen hermeneutischen Zugang zu deren Schriften; er möchte vielmehr die Praxis dieser Theorie ‑ auch wenn sie vielfach in Gestalt von Texten auftritt ‑ als Aktivität interpretieren, die in der Sphäre der Zivilgesellschaft (im Sinne Gramscis) einem bestimmten Modus von Gesellschaftskritik ‑ durchaus in Konkurrenz gegenüber anderen "Wahrheitspolitiken" ‑ Geltung verschaffen will (9 ff.). Vor diesem Hintergrund bilden die vielfältigen diskursiven Praktiken Adornos und Horkheimers sowie die Resonanz, die sie im intellektuellen Feld gefunden haben, das primäre Material dieser Studie. Und dem Verfasser gelingt es in beeindruckender Weise, gerade in der ‑ über weite Strecken spannend zu lesenden ‑ mikrologischen Darstellung der Aktivitäten "unterhalb" der Hauptwerke, sei es im Lehrbetrieb, sei es in den fachpolitischen Auseinandersetzungen über das Selbstverständnis der Soziologie (264 ff.), eine übergreifende praktische Intention der beiden Leitfiguren der Frankfurter Schule zu entwerfen. Darüber hinaus fällt aus der so interpretierten intellektuellen Praxis auch ein anderes Licht auf die theoretischen Werke (hier vor allem Adornos [508 ff.]); das gilt zumal für die "Dialektik der Aufklärung", die Demirovic mit guten Argumenten ‑ und entgegen der gängigen Auffassung ‑ als "politisches Buch" (75, 42 ff.) liest, weil sie die Uneindeutigkeit von Gesellschaftskritik, die zugleich immanent und transzendent operiert, reflexiv vergegenwärtigt. Von anderen Studien unterscheidet sich diese Arbeit auch in der Überzeugung, daß Horkheimer und Adorno in ihrer theoretischen Praxis "das historisch beeindruckende und immer noch wirksame Beispiel einer intellektuellen Haltung [geben], die die Fähigkeit einschließt, sich den gesellschaftlichen Widersprüchen zu überlassen, um deren Notwendigkeit um so entschiedener im Zeichen der möglichen Freiheit in Frage zu stellen" (960). Inhalt: Einleitung: Intellektuelle und ihre Praxis. Theoretische Gesichtspunkte für eine Analyse der Kritischen Theorie. 1. Verwaltete Welt und objektive Vernunft: 1.1 Sprachloser Nonkonformismus? Zum Profil des kritischen Intellektuellen; 1.2 Der Blick auf Deutschland. 2. Selbstführung und Führung: 2.1 Die Rückkehr aus dem Exil; 2.2 Die Selbsterziehung der deutschen Universität; 2.3 Hochschule und rationale Gesellschaft. 3. Die Sorge um den Nachwuchs: 3.1 Die Einstellungen der Studierenden; 3.2 Politisches Bewußtsein und Demokratie. 4. Das Institut für Sozialforschung und die Formierung der Soziologie als Disziplin: 4.1 Die Nachkriegssituation der westdeutschen Soziologie; 4.2 Kritische Theorie ‑ Marxismus ‑ Soziologie. Das Beispiel Heinz Maus; 4.3 Konkurrenz und Repräsentation; 4.4 Die disziplinäre Integration von Soziologie und Phi1osophie; 4.5 Kritische Soziologie zur Demokratisierung Deutschlands: 4.5.1 Projekte und diskursive Vernetzungen; 4.5.2 Das "Gruppenexperiment"; 4.5.3 Reflexive Soziologie und Erziehungssystem. 4.6 Prüfung und Rekrutierung; 4.7 Die Lehrpraxis der Frankfurter Schule; 4.8 Politik zur Gestaltung der Fachöffentlichkeit. 5. Theoretische Praxis: 5.1 Das Glück des performativen Selbstwiderspruchs; 5.2 Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben: 5.2.1 Die Konstruktion der paradoxen Redeposition; 5.2.2 Das Netz der Resonanzen (1). 5.3 Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft: 5.3.1 Dialektische Kritik der spätkapitalistischen Gesellschaft; 5.3.2 Das Netz der Resonanzen (2). 5.4 Die Notwendigkeit der Philosophie: 5.4.1 Philosophie jenseits der Fachwissenschaft; 5.4.2 Aspekte der Hegelschen Philosophie. 5.5 Negative Dialektik: 5.5.1 Die Zeit der Theorie; 5.5.2 Die Seminare zur Negativen Dialektik; 5.5.3 Das Netz der Resonanzen (3). 5.6 Das lösende Wort ‑ Zur Kunst gesellschaftskritischen Schreibens; 5.7 Hinausführende Praxis ‑ revolutionärer Konservatismus. 6. Der soziologische Intellektuelle. Zum Streit um das Wissenschaftsverständnis in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie; 7. Schwierigkeiten bei der Verwirklichung der Vernunft: 7.1 Kritische Theorie und Sozialistischer Deutscher Studentenbund; 7.2 Der Deutungskonflikt um Theorie und Praxis.
{Mir}
Rubrizierung: 5.25.425.43 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Alex Demirović: Der nonkonformistische Intellektuelle. Frankfurt a. M.: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/8244-der-nonkonformistische-intellektuelle_10870, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 10870 Rezension drucken
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