/ 22.06.2013
Willi Winkler
Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos: Das mysteriöse Leben des François Genoud
Reinbek: Rowohlt 2011; 352 S.; 19,95 €; ISBN 978-3-87134-626-2Ein einzigartiges Schlaglicht wirft der Journalist Winkler auf die Allianz, die – auf der Basis eines gemeinsam geteilten Antisemitismus – nationalsozialistische Sympathisanten und Protagonisten des arabischen Terrorismus eingegangen sind. Als Kristallisationspunkt tritt der Schweizer François Genoud auf, wobei sich die Frage aufdrängt, was ohne sein Einwirken alles nicht passiert wäre. Die Geschichte, die man fast nicht glauben möchte, beginnt mehr oder weniger damit, dass der NS-Anhänger Genoud nach dem Krieg die eigentlich unveräußerlichen Urheberrechte am schriftlichen Nachlass von Joseph Goebbels erwirbt – nicht ohne den Erben die Hälfte des künftigen Gewinns zu versprechen. Es wird über Jahrzehnte ein äußerst einträgliches Geschäft, wie Winkler schildert, ermöglicht durch Juristen und Politiker, die versäumten, ähnlich wie im Falle Hitlers diese Rechte einzuziehen. Und Genoud findet reichlich Abnehmer dieser und anderer Werke einstiger NS-Größen. So ist das Institut für Zeitgeschichte in München unter der Federführung von Martin Broszat bereit, viel Geld für die Veröffentlichungsrechte der Goebbels-Tagebücher zu bezahlen, wobei nie so richtig klar wird, welchen Erkenntnisgewinn man sich davon eigentlich versprochen hat. Aber weite Teile der Historikerzunft scheinen, so liest man es heraus, bis mindestens in die 70er-Jahre hinein hinter dem Schutzschild von Aufklärung und Vergangenheitsbewältigung vom Nationalsozialismus fasziniert gewesen zu sein. Ähnliches gilt für die Medien wie der Spiegel, die ebenfalls für Veröffentlichungsrechte zahlten. Winkler hat vor allem aber auch recherchiert, wofür Genoud das Geld wieder ausgab: Er bezahlte unter anderem die Verteidigungen von Eichmann und Barbie, unterstützte den algerischen Befreiungskrieg, arabische Terroristen bei Flugzeugentführungen sowie Schutzgelderpressungen und vor allem den Terroristen Carlos, den er auch nach seiner Verhaftung betreute. Es erscheint geradezu unglaublich, dass Genoud ungestört agieren konnte. Aber mehrere Geheimdienste scheinen in ihm keine Gefahr gesehen zu haben. Sie meinten, so Winkler, ihn als Informationsquelle nutzen zu können. Vor allem aber der damalige BKA-Präsident Dickopf hat Genoud zudem wohl aus Sympathie gewähren lassen – Winkler geht ausführlich auf die Rolle Dickopfs ein, dem es gelungen war, seine NS-Vergangenheit zu verschleiern: „Sein Wirken oder vielmehr sein Nichtwirken hat tatsächlich das Entstehen der Internationale des Terrors begünstigt; kein schlechter Erfolg für einen ehemaligen SS-Mann, dem 1945 die Arbeitslosigkeit drohte.“ (199)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.25 | 2.1 | 2.5 | 2.312 | 2.67 | 4.41
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Willi Winkler: Der Schattenmann. Reinbek: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/33364-der-schattenmann_39912, veröffentlicht am 20.04.2011.
Buch-Nr.: 39912
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Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
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