/ 03.11.2016

Akim Jah / Gerd Kühling (Hrsg.)
Die Deportation der Juden aus Deutschland und ihre verdrängte Geschichte nach 1945
Göttingen: Wallstein Verlag 2016 (Fundstücke 4); 64 S.; brosch., 9,90 €; ISBN 978-3-8353-1860-1Mit diesem Band setzt der International Tracing Service (ITS) seine kleine, aber sehr engagierte Reihe fort, die zwei Zielen dient: der komprimierten Wissensvermittlung über die Verbrechen des NS‑Regimes sowie der kritischen Reflektion der eigenen unrühmlichen Rolle bei deren Aufarbeitung (siehe dazu Buch‑Nr. 47601 und 48087) im Kontext der politischen Kultur nach 1945. Auch dieses vierte Fundstück setzt sich wieder aus zwei sich ergänzenden Beiträgen zusammen. Zunächst gibt Akim Jah einen knappen Überblick über die Deportation der Jüdinnen und Juden aus dem „Großdeutschen Reich“. Kurz wird rekapituliert, dass die Menschen zusahen, wie ihre jüdischen Nachbarn zur Aufgabe ihres Besitzes und in die Züge in Richtung Osten gezwungen wurden, sie selbst bereicherten sich nicht selten an deren Habe. Dieser staatlich organisierte Raubzug ist in dem Beitrag ein wichtiges Stichwort, ebenso wie das „‚arbeitsteilige Verbrechen‘“ (19), das die Deportationen waren. Dies geht unter anderem aus den Gestapo‑Dokumenten hervor, die dem ITS überliefert sind, außerdem aus Schriftstücken über die Absprachen etwa mit den Reichsbahndirektoren, mit denen der Abtransport der Menschen organsiert wurde. Schließlich bedankte sich das Deutsche Rote Kreuz schriftlich für die Überlassung von Gegenständen aus dem Besitz der Deportierten. Unter Hinweis auf die vielfältigen Dokumente im Archiv des ITS legt der Autor damit dar, dass Deportationen und Holocaust über weite Teile gut dokumentiert sind, zudem wurden nach Kriegsende weitere Verzeichnisse der Deportierten angefertigt. Jah kritisiert, dass dieses Wissen über Jahrzehnte kaum genutzt wurde, worunter vor allem die überlebenden Opfer zu leiden hatten. Ihnen wurde es erschwert oder gar verunmöglicht, Entschädigungsansprüche für ihre ermordeten Angehörigen geltend zu machen, weil der ITS nicht willens war, selbst bei einer eindeutigen Verschleppung nach Auschwitz den Todesfall festzustellen – eine angemessene Einordnung und wissenschaftliche Auswertung der Dokumente unterblieb lange. Im zweiten Beitrag fasst Gerd Kühling den Umgang mit den Deportationen von 1945 bis in die Gegenwart mit dem Fokus auf Berlin zusammen, Stichworte sind die unterlassende oder verschleppte juristische Aufarbeitung der Deportationen und das Desinteresse an oder das Verhindern von aussagekräftigen Denkmalen bis in die 1990er‑Jahre hinein. Erst seit „dem Ableben der Täter, Mitläufer und Profiteure“ (44) – aber auch der Opfer, so ist hinzuzufügen – ist die deutsche Gesellschaft eher bereit, sich zu erinnern. Kühling hebt abschließend das dezentrale Erinnerungsprojekt der „Stolpersteine“ positiv hervor; zu erwähnen wäre noch, dass dieses aber nach wie vor in München auf öffentlichem Grund verboten ist, die Gedenksteine konnten dort bisher nur auf Privatgrundstücken eingelassen werden.
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Rubrizierung: 2.35 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Akim Jah / Gerd Kühling (Hrsg.): Die Deportation der Juden aus Deutschland und ihre verdrängte Geschichte nach 1945 Göttingen: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/40156-die-deportation-der-juden-aus-deutschland-und-ihre-verdraengte-geschichte-nach-1945_48476, veröffentlicht am 03.11.2016. Buch-Nr.: 48476 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA