Anders als der Titel suggeriert, geht es in dem schön edierten Essay der als freie Publizistin in Berlin lebenden Biologin und Ökologin nicht primär um deutsche Debatten. Ihr Thema ist vielmehr die Frage nach der Fähigkeit Europas, sich angesichts globaler Entwicklungen in Politik, Ökonomie und Umwelt von politisch-gesellschaftlichen Fiktionen zu befreien. Die von ihr dargestellte "apokalyptische" Verzerrung der Realitätswahrnehmung in der Klima- und Migrationsdiskussion dient der Autorin als Zeugnis für ihren Befund, daß das politisch-gesellschaftliche Denken in Europa auf lineare und statische Weise überkommenen Kategorien verhaftet bleibt, die es erschweren, sich auf die neuen Herausforderungen einzustellen: "Europa [wird] alt und müde" (69). Anregend sind die Ausführungen nicht nur aufgrund der unerschrockenen Nüchternheit der Autorin im Umgang mit den kontroversen Debatten, sondern auch wegen der Vielfalt interessanter Perspektiven. Dies spiegelt sich darin, daß immer wieder aktuelle Themen aufgegriffen und mit den Hauptfragen des Essays verknüpft werden. So verweist Margolina auf einen Zusammenhang zwischen der Statik der sozialstaatlichen Mentalität und der Unfähigkeit zu einer realistischen Einwanderungspolitik (61 ff.). An anderer Stelle wird das Prinzip des ius sanguinis im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht kritisiert (158 ff.). Es ist nicht die Absicht Margolinas, Rezepte oder konkrete Lösungsvorschläge für die komplexen politischen Probleme Europas zu offerieren. Indem ihre Ausführungen aber ein "zweifelndes Gewissen" erzeugen, leistet die Autorin einen Beitrag zum "Abschied vom eindimensionalen Denken" (135).