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/ 30.05.2013
Kai Hafez

Freiheit, Gleichheit und Intoleranz. Der Islam in der liberalen Gesellschaft Deutschlands und Europas

Bielefeld: transcript Verlag 2013 (xtexte); 370 S.; kart., 29,80 €; ISBN 978-3-8376-2292-8
Kai Hafez entfaltet ein breites Panorama über die Stellung des Islams in Europa und besonders in Deutschland auf der Grundlage einer umfangreichen Analyse der Sekundärliteratur. Dabei differenziert er zwischen den Systemen „Recht und Politik“, „Gesellschaft“, „Medien“, „Wissenschaft und Bildung“ und „Kirche“, in denen er die Stellung des Islams untersucht und diese zusätzlich einer Bewertung unterzieht. Hafez‘ Ideal ist eine deliberative multikulturelle Gesellschaft, die sich den Prinzipien Freiheit, Gleichheit und Solidarität verschrieben hat und in der das liberale Primat der Menschenrechte in Kombination mit Formen der Anerkennung und Toleranz gilt. Die zentrale These des Autors lautet, dass in Europa im Verhältnis zum Islam ein Bruch zwischen dem politisch‑rechtlichen System auf der einen und der Gesellschaft auf der anderen Seite vorherrscht oder zumindest droht. Im Rechtssystem sieht Hafez bei allen weiterhin bestehenden Problemen eine positive Entwicklung hin zu einem anerkennungsorientierten Vorgehen gegenüber dem Islam. Die Politik wiederum befinde sich in einem ambivalenten Zustand, da Parteien einerseits fortschrittliche Ideologien erkennen ließen, an der Parteibasis aber eine Islamfeindlichkeit vorherrsche, durch die sich ein Druck entwickele, über Mehrheitsbeschlüsse kulturelle Hegemonien zu festigen oder auszubilden. Die europäischen Regierungen nähmen hingegen vornehmlich eine „Wächterfunktion“ (304) gegen gesellschaftliche Diskriminierung ein, die aber noch zu häufig dann ende, wenn sicherheitspolitische Themen im Zusammenhang mit dem Islam zur Sprache kommen. Das eigentliche Problem macht Hafez letztlich jedoch in der Gesellschaft und den Medien aus, in denen das Solidaritäts‑ und Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Mehrheitsgesellschaft und der islamischen Minderheit fehlten. Hier bestehe eine bis tief in die bürgerlichen Kreise hineinreichende intolerante Haltung gegenüber dem Islam, die der Autor unter anderem mit den auch von ihm durchgeführten Studien zum – nicht unumstrittenen – Konzept der Islamophobie belegt. Über Bildungsinitiativen und symbolische Formen der Integration sowie über intensive Dialoge zwischen Mehrheit und Minderheit soll sich die liberale Gesellschaft seiner Ansicht nach neu erfinden und eine Politik der Differenz und Anerkennung entstehen lassen. Auch wenn man nicht allen Argumentationen folgen möchte und man sich bisweilen eine differenziertere Abhandlung wünscht, handelt es sich bei Hafez‘ Analyse um eine gewinnbringende Lektüre, die sich als Überblick und Diskussionsgrundlage zum Thema Islam in Europa sehr gut eignet.
Jan Achim Richter (JAR)
Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.352.3312.3332.343 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Kai Hafez: Freiheit, Gleichheit und Intoleranz. Bielefeld: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/214-freiheit-gleichheit-und-intoleranz_43635, veröffentlicht am 30.05.2013. Buch-Nr.: 43635 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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