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/ 04.06.2013
Hardy Bouillon

Freiheit, Liberalismus und Wohlfahrtsstaat. Eine analytische Untersuchung zur individuellen Freiheit im Klassischen Liberalismus und im Wohlfahrtsstaat

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 1997; 184 S.; brosch., 56,- DM; ISBN 3-7890-4642-6
Habilitationsschrift Fachbereich I der Universität Trier. - Das Ziel des Buches ist die Erarbeitung einer präzisen Definition des Begriffs individueller Freiheit. Eine solche Definition vermißt Bouillon in den Diskussionen des klassischen Liberalismus, was exemplarisch an den Arbeiten Humboldts (Kap. 1) und Hayeks (Kap. 2) demonstriert wird, mit welchen sich der Autor kritisch auseinandersetzt, deren Absage an den Wohfahrtsstaat er jedoch teilt und mit einem festeren theoretischen Fundament versehen will. Denn das Fehlen einer Definition der individuellen Freiheit ist nach Meinung Bouillons für das Anliegen des Liberalismus, die Verteidigung der Freiheit, hinderlich. Das begriffsanalytische Vorhaben verfolgt mithin von vornherein das Ziel, die zu findende Freiheitsdefinition so zu konstruieren, daß sie als Abgrenzungskriterium gegenüber dem Wohlfahrtsstaat verwendet werden kann. Somit ist das Axiom (und nicht das Resultat) der Arbeit ein behaupteter Widerspruch zwischen individueller Freiheit und Wohlfahrtsstaat. Vermittelt durch eine Analyse der Begriffe des Zwangs und der Handlungsbeschränkung gelangt Bouillon (Kap. 3) zu seiner Definition, nach welcher eine Person individuelle Freiheit genießt, "so lange sie - in eine Doppelwahlsituation gestellt - eine negative Metawahl treffen darf, ohne dabei künstliche Folgekosten Dritter, die sich auf ihren privaten Handlungsspielraum auswirkten, erwarten zu müssen" (126, ebenso 177). Die Argumentation wird durch eine Klärung des Begriffs der öffentlichen Güter (Kap. 4) vervollständigt, da die Freiheitsfeindlichkeit des Wohlfahrtsstaates im Bereitstellen von durch Zwang finanzierten öffentlichen Gütern gesehen wird. Zweifellos besticht Bouillons erfreulich kurze Arbeit durch ihre stringente und logisch präzise Argumentation, die freilich nur so lange akzeptabel scheint, als man ihre Prämissen akzeptiert. Und genau hier liegt die Fragwürdigkeit des Unternehmens: Bouillon geht von Voraussetzungen aus, die exakt so konstruiert sind, daß sie alle wesentlichen Probleme des modernen Sozialstaates von vornherein ausblenden. Das ist für eine rein begriffsanalytische philosophische Arbeit zweifellos legitim, trägt aber zur theoretischen Diskussion über den tatsächlich bestehenden Sozialstaat und seiner Probleme schon deshalb nichts bei, weil der - im übrigen völlig ungeklärt gelassene - Begriff des Wohlfahrtsstaates, den Bouillon vor Augen hat, mit dem Sozialstaat der westlichen Demokratien gar nichts zu tun hat. Wie viele andere liberale Theoretiker orientiert sich auch Bouillon am Bild des absolutistischen Wohlfahrtsstaates, der sich um das Glück, d. h. "die Wohlfahrt", seiner Bürger zu sorgen habe. Schon ein kurzer Blick auf die Geschichte des modernen Sozialstaats und seiner Theorie zeigt, daß der Sozialstaat gerade nicht Wohlfahrtsstaat in diesem Sinne ist und es nach dem Konzept des modernen Verfassungsstaates auch gar nicht sein darf. Er ist vielmehr der Staat, der unter Bedingungen modernen Wirtschaftens die Freiheit des einzelnen zu wahren und zu schützen hat und um der Freiheit willen besteht, was namentlich Lorenz von Stein schon vor eineinhalb Jahrhunderten aufgezeigt hat. Solches ist jedoch kaum zu verstehen, wenn man von einem minimalistischen Freiheitsverständnis ausgeht, das von einer anthropologischen Fiktion lebt. In dieser Fiktion bleibt auch Bouillons Arbeit befangen.
Michael Henkel (MH)
Priv.-Doz. DR., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 5.45.332.23 Empfohlene Zitierweise: Michael Henkel, Rezension zu: Hardy Bouillon: Freiheit, Liberalismus und Wohlfahrtsstaat. Baden-Baden: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/3441-freiheit-liberalismus-und-wohlfahrtsstaat_4547, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 4547 Rezension drucken
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