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/ 06.08.2015
Sven Ellmers

Freiheit und Wirtschaft. Theorie der bürgerlichen Gesellschaft nach Hegel

Bielefeld: transcript Verlag 2015 (Sozialphilosophische Studien ); 198 S.; 29,99 €; ISBN 978-3-8376-3012-1
Diss. FernUni Hagen; Begutachtung: T. Bedorf. – In der Kritischen Theorie wird das Werk Hegels eher stiefmütterlich behandelt – sofern nicht gleich ganz ignoriert wird, findet es in der Regel allenfalls Erwähnung als Bezugspunkt des Marx‘schen Denkens. Die wohl bedeutendste Ausnahme bildet Axel Honneths Sozialphilosophie: Er gründet seine Theorie der Anerkennung explizit auf eine Rekonstruktion der Hegel‘schen Moral‑ und Rechtsphilosophie. Sven Ellmers teilt die Ansicht, dass eine kritische Gesellschaftstheorie von einer stärkeren Bezugnahme auf Hegel profitieren kann – Hegels Sittlichkeitsbegriff sei für ein umfassendes Verständnis gemeinschaftlicher Lebensführung zentral. Honneths Ausführungen seien diesbezüglich aber unscharf und unzureichend. Seine Argumentation entwickelt Ellmers in drei Schritten durch eine detaillierte Auseinandersetzung mit den Theorien von Hegel, Marx und Honneth. Unter analytischen Gesichtspunkten ist Hegels Theorie der bürgerlichen Gesellschaft demnach der Marx‘schen Theorie zwar eindeutig unterlegen, sein Versuch, die kapitalistische Gesellschaft unter Gesichtspunkten von Moral und Sittlichkeit zu beleuchten, liefert jedoch auch heute noch Ansatzpunkte, die die kritische Gesellschaftstheorie mit Blick auf zentrale normative Grundfragen bereichern können. Honneth hat Hegels Gedanken diesbezüglich zwar ausführlich aufgegriffen und weiterentwickelt, bleibt aber – und das ist Ellmers zentraler Kritikpunkt – in mehreren wesentlichen Aspekten hinter Hegel zurück. So streicht Honneth insbesondere Hegels „Korporation“ aus seinem Ansatz, ohne dafür allerdings ein funktionales Äquivalent zu finden. Folglich gelingt es Honneth nicht, kritisiert der Autor, einen Freiheitsbegriff zu entwickeln, der über ein Verständnis von individueller Freiheit hinausgeht – was in der Konsequenz verhindert, die komplexen Zusammenhänge zwischen Individuum und Gesellschaft, zwischen familialer Vergemeinschaftung einerseits und Vergesellschaftung andererseits zu erfassen. Für eine fundierte normative Gesellschaftskritik ist dies aber unabdingbar. Denn Freiheit kann eben nicht nur individuelle Zweckverfolgung bedeuten, so die Argumentation, sie äußert sich gleichsam in der Fähigkeit, individuelle Bedürfnisse zugunsten der Befriedigung gemeinsamer Erfahrungen und kollektiven Zusammenlebens zurückzustellen. Erst auf diesen Überlegungen basierend lässt sich aber über ein freies Gemeinwesen nachdenken – wie Ellmers überzeugend darlegt, kann die Auseinandersetzung mit Hegel hierbei wertvolle Instruktionen liefern.
{BW}
Rubrizierung: 5.15.335.42 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Sven Ellmers: Freiheit und Wirtschaft. Bielefeld: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/38719-freiheit-und-wirtschaft_47115, veröffentlicht am 06.08.2015. Buch-Nr.: 47115 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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